HistoriX: Säntisbahn – Von zahlreichen Versuchen, die den Gipfel nie erreicht haben

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1935: Eröffnung der Säntis-Schwebebahn. Bild: saentisbahn.ch

Mit einer wirtschaftshistorischen Exkursion auf die Rigi haben wir das neue Blog-Format HistoriX begonnen und angekündigt, in unregelmässigen Abständen einen Blick in die Vergangenheit von Schweizer Unternehmen werfen zu wollen. Heute – unmittelbar vor dem Branchentalk Tourismus 2019 mit dem seit mehr als 100 Jahren aktuellen Thema „Erfolgsfaktoren von touristischen Grossprojekten“ – möchten wir die bewegte Vergangenheit der touristischen und verkehrstechnischen Säntis-Erschliessung beleuchten.

Bereits einleitend sei vorweggenommen, dass es nach der ersten Konzession 1887 bis ins Jahr 1935 dauern sollte, ehe nach vielen erfolglosen Anläufen, gescheiterten Finanzierungen und fast fünfzigjähriger Planung der Säntis-Gipfel doch noch mit einer Bahn erreicht wurde. Der Weg dorthin war abwechslungsreich, lang und steinig – im übertragenen Sinne, wie nicht wenige Wanderwege im Alpstein-Gebiet. Auch deshalb passt dieser Beitrag zum Thema des Branchentalks Tourismus, auch wenn sich die Zeiten und Finanzierungsmodelle seither natürlich geändert haben und nicht zuletzt Kapital – seien es Eigenmittel oder Fremdkapitalien – bedeutend einfacher verfügbar erscheint. „Kapital“ ist heute – anders als früher – kaum mehr ein limitierender Engpassfaktor, der anspruchsvolle Grossprojekte verhindert. In der Vergangenheit scheiterten allerdings nicht wenige visionäre Projekte an Finanzierungsfragen – oder auch einem unsicheren wirtschaftlichen wie politischen Umfeld.

Über mehr als 50 Jahre blieb die Erschliessung des Säntis-Gipfels mit Zahn- oder Seilbahnen ein kühner Traum. Neben allen technischen und finanziellen Schwierigkeiten war dieser zusätzlich geprägt von der historisch gewachsenen Rivalität der „Säntis-Kantone“ Appenzell Innerrhoden (AI) und Appenzell Ausserrhoden (AR). Auf dem Säntis treffen mit AI, AR und St. Gallen sogar gleich drei Kantone zusammen. Entsprechend vielfältig – und vielschichtig – waren von Beginn an auch die Interessen der Beteiligten.

Die „Eroberung“ des Säntis

Seit mehr als 150 Jahren gehört der Säntis (2’502m) mit seinem unvergleichlichen Panoramablick in 6 Länder, den Bodensee und die Voralpen inmitten des mächtigen Alpsteins zu den beliebtesten Schweizer Ausflugsbergen.

Der „Ansturm“ auf den Säntis und das Alpsteingebiet setzte ab etwa 1850 ein. Besonders beliebt war der landschaftlich exponierte Säntis-Gipfel von Anfang an bei Bergfreunden aus Süddeutschland und dem Bodenseegebiet. Spätestens mit der Aufklärung hatte die einst so gefürchtete Alpinwelt ihren Schrecken verloren – und mit der Epoche der Romantik an Faszination über die Landesgrenzen hinaus gewonnen.

Aus Süddeutschland betrachtet markiert der an klaren Tagen steil am Horizont über dem Bodensee aufragende Säntis-Gipfel nichts weniger als den aus weiter Ferne und aus vielen Regionen Süddeutschlands sichtbaren Einstieg in die Schweizer Alpenwelt. Während langer Zeit – vermutlich bis in die Gegenwart hinein – war und ist der Säntis ein „Sehnsuchtsort“ vieler schweizaffiner Süddeutscher.

Der Säntis als Tor zur Schweiz

Ganz am Anfang der Säntis-Geschichte steht – neben der Dramatik der Landschaft – auch die Entwicklung einer „Ausflugsgastronomie“ mit Berggasthäusern, die im Alpstein-Gebiet bis heute weit verbreitet sind und sich unverändert – obwohl bzw. weil zahlreiche davon nur zu Fuss erreichbar sind – grosser Beliebtheit erfreuen.

Ab 1846 gab es ein einfaches Gasthaus auf dem Säntis. Jakob Dörig, genannt „Schribes Jock“, errichtete zunächst eine einfache Bretterhütte, die innerhalb weniger Monate zu einer gemauerten Schutzhütte auf dem Säntisgipfel umgebaut wurde. Obwohl die Hütte nur aus einem Raum mit Heulagerpritsche als Schlafgelegenheit für 8 Personen bestand, nannte Dörig („Thörig“) sein Gasthaus – nicht frei von Ironie bei gleichzeitig grossem Selbstbewusstsein – „Grand Hotel Thörig“. Bereits im ersten Jahr soll der umtriebige Dörig alias Thörig alias Schribes Jock 600 Gäste empfangen haben. Es war der junge Dörig, der damit den Grundstein für das heutige Berggasthaus Alter Säntis auf dem Säntis-Gipfel legte. (Quelle: Berggasthaus Alter Säntis)

1873 bereits 3’000 Bergsteiger auf dem Gipfel

Ab dem Jahr 1846 – und damit lange vor der Entdeckung durch Instagram, Facebook und den US-Hollywoodstar Ashton Kutcher – wurde auch der unweit des schon damals beliebten Wildkirchli gelegene Aescher von Sennen bewirtet. Das Berggasthaus Aescher in seiner heutigen Form gibt es seit 1884. Damit gehört der Aescher zu den ältesten Berggasthäusern der Schweiz. Ab 1847 wurde auch der Hohen Kasten bewirtet, zunächst in einer Steinbaracke mit Heulager. Später folgten weitere Bergwirtschaften auf dem Kronberg (Jakobsalp, 1878), auf der Ebenalp, auf der Seealp oder auf der Meglisalp.

Zurück zum Säntis: Im Sommer 1873 sollen angeblich bereits rund 3’000 Berggänger den Säntisgipfel bestiegen haben.

Wenige Jahre zuvor, im Jahr 1869, wurde mit dem Bau der Rigibahn von Vitznau aus bis zur Staffelhöhe begonnen. Der Deutsch-Französische Krieg 1870/1871 und dadurch bedingte, ausbleibende oder verspätete Material- und Teilelieferungen führten zu einer Verzögerung beim Baufortschritt gegenüber den ursprünglichen Plänen, die den Bau und die Inbetriebnahme innerhalb von nur 8 Monaten vorsahen. Die Vitznau-Rigi-Bahn konnte schliesslich am 21. Mai 1871, nicht einmal zwei Jahre nach Baubeginn, im Beisein vieler geladener Gäste aus Politik und Wirtschaft feierlich als erste Bergbahn Europas eröffnet werden.
Was läge also – auch vor dem Hintergrund des damaligen Zeitalters der Eisenbahnpioniere – näher, als auch den Säntis-Gipfel angesichts der rasch fortschreitenden touristischen Entwicklung des Alpstein-Gebiets mit einer Bergbahn zu erschliessen?
Ab 1886 ging es los mit den Konzessionsgesuchen zur Säntis-Erschliessung mit einer Bergbahn.

Stamm-Aktie über 500 Franken der Appenzellerbahn-Gesellschaft vom 1. Januar 1886. Abbildung: wikipedia.de

Nach Eröffnung der verlängerten Eisenbahnstrecke Urnäsch–Appenzell im Jahr 1886 durch die Appenzeller Bahnen bewarb sich eine Gruppe um den AI-Landammann und AI-Nationalrat Karl Justin Sonderegger (nach manchen Quellen auch Carl Justin Sonderegger) – „trotz grosser Skepsis im Kanton“ – um eine Konzession für eine schmalspurige Eisenbahn (streckenweise Zahnradbahn) von Appenzell nach Wagenlücke unterhalb des Säntis-Gipfels, der sogenannten Säntisbahn. Diese neue Bahn sollte die Eisenbahnstrecke von Appenzell in Richtung Säntis verlängern.

Der Bundesrat erteilte diese Konzession am 13. Juni 1887, und die Appenzellerbahn als geplante Zubringerbahn zur Säntisbahn beteiligte sich an den Projektkosten. Allerdings schlug die Finanzierung fehl, und diese erste Konzession erlosch nach mehreren Fristerstreckungen 1899.

Praktisch parallel liefen weitere Bemühungen einer technischen Säntis-Erschliessung: Die Ingenieure Deutsch und Abt erarbeiteten 1891 ein Projekt einer Bahn bis zum „Alten Säntis“. Allerdings scheiterte auch für dieses Projekt die Finanzierung, ein formelles Konzessionsgesuch wurde nicht gestellt.

Projekte kamen, Projekte gingen

Landammann Sonderegger lässt sich von Rückschlägen und Widerständen – auch im eigenen Kanton – nicht entmutigen und gibt nicht auf: Er überarbeitet sein visionäres Projekt einer Säntis-Erschliessung mehrfach, alleine und mit Partnern unterschiedlichster Couleur. Im Jahr 1897 reichen Landammann Sonderegger und seine Mitstreiter ein neues Konzessionsgesuch ein: Eine Strassenbahn soll zur Seealp führen, eine Drahtseilbahn von dort zur Meglisalp. Am 22. Dezember 1899 wurde eine neue Konzession für eine elektrische Strassenbahn von Appenzell nach Wasserauen erteilt, verbunden mit der Auflage, die Linie bis zum 19. November 1900 zu vollenden. Erneut gelang es nicht, mit dem Bau zu beginnen. Diese neue Konzession verfiel im März 1901.

So ging es noch eine Weile hin und her. Projekte kamen, Projekte wurden geändert, Projekte gingen. Nichts funktionierte wie geplant, spätestens bei der Finanzierung war immer Schluss. Eine gute Übersicht über die verschiedenen Frühphasenprojekte einer Säntis-Erschliessung bietet der Museumsverein Appenzeller Bahnen.

Während die Finanzierung der Säntis-Erschliessung von der AI-Seite über die Säntisbahn „klemmte“, tauchte zwischenzeitlich – unterstützt von der Regierung des Nachbarkantons AR – die Idee einer Kombination aus Schmalspur- und Seilbahn, ausgehend von Urnäsch AR, auf.

Da sich die beiden Kantone – historisch gewachsen – in herzlicher Rivalität verbunden waren, gab es ein „Tauziehen“ um den besten Projektplan und die (erneute) Konzessionserteilung.

Nach einer erneuten Planänderung setzte sich Appenzell Innerrhoden – mit der Säntisbahn – schliesslich im Rennen um die erneute Konzessionsvergabe durch. Das redimensionierte Projekt von der AI-Seite beschränkte sich allerdings auf die Strecke Appenzell-Meglisalp.

Am 26. März 1909 wurde der damaligen Säntisbahn – nicht zu verwechseln mit der heute auf OTC-X gelisteten „Säntisbahn“ (Säntis-Schwebebahn AG) – eine neue Konzession für 80 Jahre mit Fristen für den Bau bis 1912 erteilt.

Die Bahn, die den Säntis-Gipfel nie erreicht hat –
trotz Aktienkapitalerhöhung 1910/1911

Eine Aktienkapitalerhöhung sollte es richten!

Ab Mai 1910 bot die massgeblich von Initianten aus AI getragene, Ende 1910 formell konstituierte Säntisbahn-Gesellschaft dem interessierten Publikum im Rahmen einer öffentlichen Zeichnung Aktien zum Kauf an, um auf diese Weise das mehrfach geänderte und neu konzessionierte Bahnprojekt zur Meglisalp doch noch finanzieren zu können.

Sie ahnen es vermutlich schon: Eerneut tauchten Probleme mit der Finanzierung auf, die Kosten des gesamten Projekts über rund 3.65 Mio. CHF bis zur Meglisalp erwiesen sich zunehmend als nicht mehr realistisch. Erneut gab es eine Konzessionsänderung, und die Säntisbahn wurde in vier Sektionen unterteilt, wobei für die Realisierung der Abschnitte 2 bis 4 keine verbindlichen Fristen mehr festgelegt wurden: Appenzell – Wasserauen, Wasserauen – Seealp, Seealp – Meglisalp, Meglisalp – Säntis.

Im Jahr 1911 wurden im Rahmen einer Kapitalerhöhung finanzielle Mittel für die 1. Sektion Appenzell-Wasserauen eingeworben (Abbildung).

Aktie über 500 Franken der Säntisbahn AG vom 31. Oktober 1911: Kapitalerhöhung für die 1. Sektion Appenzell-Wasserauen. Bild: wikipedia.de

Mit den frischen Mitteln aus der Kapitalerhöhung konnte am 1. Mai 1911 immerhin der Bau der Talstrecke von Appenzell nach Wasserauen (1. Sektion) in Angriff genommen werden. Der erste Abschnitt der geplanten Säntis-Bergbahn bis Wasserauen wurde schliesslich am 13. Juli 1912 eröffnet. Dieser Abschnitt besteht bis heute: In Wasserauen endet auch der Schienenverkehr der Appenzeller Bahnen.

Dabei blieb es dann auch – und der Säntis-Gipfel war, von Wasserauen aus betrachtet, ferner denn je und nur zu Fuss bzw. auf Umwegen über die erst deutlich später, im Jahr 1955 eingeweihte und ebenfalls auf OTC-X gelistete LSB Wasserauen-Ebenalp AG (www.ebenalp.ch) erreichbar.

Weitere Finanzierungsprobleme und der aufziehende 1. Weltkrieg in den Folgejahren verhinderten einen Weiterbau der Säntis-Bergbahn in den weiteren Sektionen, wie eigentlich vorgesehen. Das Projekt einer Säntis-Erschliessung über Wasserauen und die Megisalp musste aufgegeben werden – und wurde später auch nie mehr verfolgt. Die mit viel Euphorie als „Säntisbahn“ (Säntis-Bahn A.G.) ins Leben gerufene Gesellschaft endete schliesslich in Wasserauen und hat den Säntis-Gipfel entgegen vieler Planungs- und Finanzierungsschritte nie gesehen.

Ende 1930 ist die seit 1909 – also während 21 Jahren – gültige Konzession für die Streckenführung via Wasserauen und Meglisalp endgültig erloschen, nachdem es der Säntis-Bahn A.G. nicht gelungen war, innerhalb der gesetzlichen Fristen den Betrag von CHF 25’000 für die Projektierungskosten für die Strecke Wasserauen – Meglisalp zusammenzubringen.

Am 23. August 1933 – im benachbarten Deutschland wurde nur wenige Monate zuvor, im Januar 1933, Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt („Machtergreifung„) – gestand der Verwaltungsrat der Säntis-Bahn A.G. das Scheitern der Säntis-Bahn nach Meglisalp auch formell ein.

Ironie der Geschichte: Die unvollendete Säntisbahn, die den Säntis-Gipfel nie erreicht hat, wurde 1939 in Elektrische Bahn Appenzell-Wasserauen umbenannt und fusionierte 1947 zunächst mit der Appenzeller Bahn, die ihrerseits nach mehreren Fusionsschritten heute ein Teil der Appenzeller Bahnen AG ist (zum Aus der „alten“ Säntis-Bahn, siehe auch hier). Die Aktien der Appenzeller Bahnen AG sind wiederum auf OTC-X gelistet und werden dort sehr sporadisch gehandelt. Der Streubesitz der heutigen Appenzeller Bahnen AG in Höhe von 5% des Aktienkapitals (Geschäftsbericht 2018, S. 5) bei einer gleichzeitig sehr breiten Streuung – 2018 nahmen rund 350 Aktionäre an der GV teil – resultiert aus den „unzähligen“ Fusionen der Unternehmensgeschichte, darunter eben auch jener der „Säntis-Bahn A.G.“ in einer der vielen Vorgängergesellschaften. Bis heute wurden – dies nur als anekdotische Randnotiz – rund 11% des Aktienkapitals der Appenzeller Bahnen AG aus den Fusionen nicht umgetauscht. Es könnte sich dabei um einen Rekordwert handeln.

1935: Säntis-Schwebebahn AG als erste Luftseilbahn der Ostschweiz

Bereits im Jahr 1927 stand die Idee im Raum, den Säntis-Gipfel ab der Schwägalp – im Kanton Appenzell Ausserrhoden gelegen – mit einer Standseilbahn zu erreichen. Ein entsprechendes Konzessionsgesuch für eine Luftseilbahn von Kräzeren in der Gemeinde Urnäsch AR auf den Säntis, einschliesslich des Baus einer Zubringerpassstrasse, wurde im November 1927 von dem 1873 in St. Gallen geborenen und im Kanton AR tätigen Juristen Dr. Carl Meyer eingereicht. Meyer gilt als Gründer und Initiant der heutigen „Schwebebahn“ auf den Säntis und war schon früh in verschiedene Säntis-Projekte eingebunden, die sich jedoch alle aus den verschiedensten Gründen nicht verwirklichen liessen. Die Chronisten schreiben Meyer für das Jahr 1905 sogar – gemeinsam mit dem vorgängig bereits erwähnten AI-Landammann und AI-Nationalrat Karl/Carl Justin Sonderegger – ein gemeinsames Projekt einer Säntis-Erschliessung über Wasserauen AI zu, doch scheiterte auch diese Idee aus finanziellen Gründen aufgrund der zu erwartenden hohen Baukosten.

Nicht zuletzt die zugunsten der früheren Säntis-Bahn A.G. von der AI-Seite von 1909 bis Ende 1930 bestehende, aber nicht realisierte Konzession einer Säntis-Erschliessung verhinderte einen früheren Erfolg von Meyers Idee. Seine Stunde schlug erst, als das Säntis-Projekt von der AI-Seite im August 1933 final gescheitert war.

Nur einen Monat später, am 22. September 1933, erhielt Meyer „nach langem Hin und Her“ die Konzession „für die gewerbsmässige Beförderung von Personen mit regelmässigen Fahrten mit einer Luftseilbahn von der Schwägalp auf den Säntis“. Was bürokratisch klingt, war nichts weniger als die Erschliessung des Säntis-Gipfels von der Schwägalp AR aus mittels einer neu zu errichtenden Luftseilbahn.

Der während mehr als 50 Jahren von vielen Akteuren geträumte und von Dr. Carl Meyer letztlich in der 1933 neu gegründeten Säntis-Schwebebahn AG realisierte Traum einer verkehrstechnischen Säntis-Erschliessung erfüllte sich am 1. Juli 1935 nach nicht einmal zweijähriger Bauzeit. Die Luftseilbahn auf den Säntis war die erste Luftseilbahn der Ostschweiz und unter den ersten drei Luftseilbahnen der Schweiz. In ihrem Kern besteht die Luftseilbahn im Rechtskleid einer OTC-gelisteten Aktiengesellschaftmit vielen Modernisierungsschritten und Erweiterungsbauten – bis heute.

Meyers Hartnäckigkeit hat sich schlussendlich ausbezahlt. Die bis heute im Volksmund als „Säntisbahn“ – wie schon die „alte“ Vorgängergesellschaft, die technisch allerdings keine Vorgängergesellschaft war, sondern ein wirtschaftlicher Flop – bezeichnete neue Säntis-Gesellschaft war geboren, diesmal allerdings unter verbesserten Vorzeichen.

„Grössenwahn“ und visionäre „Macher“ ermöglichen touristische Leuchtturm-Projekte

Das Fazit kann nur lauten: Touristische Grossprojekte verlangen oft einen langen Atem, Hartnäckigkeit und nicht selten auch – im positiven wie im negativen Sinne – „eine Spur Grössenwahn“.

Der Tourismus lebt, wie andere Industrien auch, von neuen Ideen und einem positiven „Grössenwahn“. Von einem Wettstreit der Ideen um das beste Konzept.

Ohne „Grössenwahn“ und visionäre „Macher“ wären viele touristische Leuchtturm-Projekte ihrer Zeit angesichts innerer und äusserer Widerstände ‎unrealisiert geblieben. Oft waren es Einzelpersonen, aber auch politische und gesellschaftliche Strömungen, die eine Idee in ihrer Entstehungsgeschichte entweder begünstigt oder torpediert haben.

Heute käme in der Schweiz wahrscheinlich keiner mehr auf die Idee, einen noch unerschlossenen Gipfel  touristisch neu zu erschliessen, womöglich gar mit einer aus der Zeit gefallenen und im Unterhalt vergleichsweise (sehr) teuren Zahnradbahn mit ihren weitreichenden Eingriffen in Flora und Fauna. Zu gross wären die (finanziellen) Risiken, zu unkalkulierbar‎ die bürokratischen Auflagen, zu unberechenbar der sprichwörtliche „Zeitgeist“ – und mit ihm die Einsprachen der mächtigen Umweltverbände, um nur einige limitierende Faktoren zu benennen.

Stattdessen werden heute in erster Linie bereits bestehende Projekte mit teilweise riesigem finanziellem Aufwand „veredelt“, Reisezeiten optimiert, regulatorische Auflagen erfüllt und der Gästekomfort erhöht. Ski-Lifte werden – schon länger – beheizt, Gondel-Kabinen mit Glasboden und Swarovski-Kristallen versehen oder ein neues Open-Air-Erlebnis bei der Bergfahrt geschaffen. Ob Chrystal Ride, Royal Ride oder sonstige Erlebnis-Rides – der Fantasie scheinen nach oben, auch finanziell, kaum mehr Grenzen gesetzt.

Finanzielles Wettrüsten in den Alpen

Höher, schneller, teurer – das ‎finanzielle „Wettrüsten“ in den Alpen um die Gunst der Gäste ist in einem wettbewerbsintensiven Markt, in dem die Produkte ohne neue Erlebnisse vermeintlich immer austauschbarer werden, längst Realität geworden.

Aus der bewegten Säntis-Geschichte lassen sich auch Erfolg und Misserfolg von Projekten ableiten. ‎Während viele Projekte – rein wirtschaftlich betrachtet – „im Sande verlaufen“ und sich letztlich als Flop erweisen, entwickeln sich andere Projekte kommerziell erfolgreich und ziehen Anschlussinvestitionen mit hoher lokaler und überregionaler Wertschöpfungstiefe nach sich. Um an diesen Punkt zu kommen, braucht es nicht selten einen fruchtbaren Wettstreit der Ideen. Am Ende sollten sich – so zumindest die Theorie – die besten Ideen am Markt durchsetzen, während andere sprichwörtlich auf der Strecke bleiben.

Gar nicht so selten macht aber auch nur das „Timing“ einer Idee gepaart mit dem technischen Fortschritt und der Finanzierung den Unterschied‎ zwischen Erfolg und Misserfolg. Ein solcher Fall liegt, soweit wir es im Abstand von mehr als 100 Jahren aus einer Aussenperspektive beurteilen können, letztlich auch bei der unvollendeten Säntis-Bahn A.G vor: Das „richtige“ Projekt mit der „falschen“ Finanzierung, der „falschen“ Technik und alles zur „falschen“ Zeit mündete im finanziellen Fiasko für die Beteiligten.

Während sich die Säntis-Projekte der Jahrhundertwende alle als nicht realisierbar erwiesen und für die Kapitalgeber der ersten Stunde am Ende in einem Finanzdesaster endeten, mauserte sich die erst später, am 6. November 1933, gegründete und bis heute bestehende Säntis-Schwebebahn AG mit ihrem ursprünglichen Sitz in Urnäsch, Kanton Appenzell Ausserrhoden, seit ihrer Gründung zu einem erfolgreichen Bergbahnunternehmen, auch wenn die Unternehmensgeschichte genauso von Höhen und Tiefen geprägt war.

Wir stellen heute die These auf: Das „Timing“ der Schwebebahn-Gründung im November 1933 – unmittelbar nach dem finalen, letztlich aber mehr als 40 Jahre dauernden Scheitern des „anderen“ Säntis-Projekts von der AI-Seite – war in der Retrospektive, ungeachtet der aufziehenden politischen Entwicklungen im Nachbarland Deutschland – ein mehr oder weniger zufälliger, historischer Glücksfall für die heutige Säntis-Bahn, der eng mit dem Scheitern des Projekts von Wasserauen via Meglisalp, dem Konzessionsende 1930 und dem Eingeständnis des Scheiterns der „alten“ Säntis-Bahn A.G. im August 1933 verknüpft ist. Ohne dieses Scheitern von Wasserauen AI aus hätte es die Säntis-Erschliessung von Urnäsch AR bzw. der Schwägalp AR aus nie gegeben.

Wenige Jahre später, und die Säntis-Erschliessung hätte sich wegen der beginnenden Kriegswirren und der ausbleibenden Gäste in diesen Jahren wahrscheinlich nochmals deutlich verzögert, wenn denn der Gipfel nach den vielen Fehlschlägen seit 1887 überhaupt noch mit einer Bahn erschlossen worden wäre.

Pioniere der Grossprojekte sind ein historischer Glücksfall

Nicht allen touristischen Grossprojekten ist auch der wirtschaftliche Erfolg beschieden‎. Ohne „Grossprojekte“ – historisch betrachtet – sähe die touristische Landkarte der Schweiz heute allerdings auch sehr viel anders aus. Die Schweiz als Reiseland von internationalem Format wäre für Touristen – und sogar Aktionäre – weniger vielseitig. Es gäbe weder die Jungfraubahnen AG noch die Pilatusbahnen AG, Rigibahnen AG, Säntis-Schwebebahn AG und wie die erfolgreichen touristischen Grossprojekte des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts alle heissen. Insofern muss auch der Schweizer Tourismus diesen „Grossprojekt-Pionieren“‎ dankbar sein – ebenfalls ein historischer Glücksfall sozusagen.

Die Grossprojekte des 21. Jahrhunderts sind anders, weil sie – wie erwähnt – ganz andere Schwerpunkte setzen. Es geht nicht mehr um die Erschliessung bisher „unentdeckter“ Regionen oder Gipfel. Gipfel, die heute nicht erschlossen sind, werden auch kaum mehr erschlossen. Oder glaubt jemand ernsthaft daran, dass der Gipfel des Matterhorns noch mit einer Luftseilbahn oder – mehrere Nummern kleiner – das exponierte Buochserhorn am Vierwaldstättersee als Alternative zum Pilatus mit einer Bergbahn erschlossen wird? Nein.

Über allen Investitionen thront – vermeintlich – der Gast, manchmal vielleicht aber auch nur der Gestaltungs- und Verewigungswille eines „visionären Verwaltungsrats“.

Wird der Gast, das unbekannte Wesen, die hohen Investitionen in Erlebnisse, Komfort, Geschwindigkeit am Ende des Tages aber überhaupt zu würdigen wissen?

Überkapazitäten von heute sind die Investitionsruinen von morgen

Bei aller Euphorie sollte deshalb nicht vergessen werden: die Überkapazitäten von heute sind, wenn diese nicht genutzt werden können, die ‎Investitionsruinen von morgen. Daneben gibt es, historisch betrachtet, allerlei Mahnmale für fehlgeschlagene Investitionen im Tourismus-Bereich, so etwa den legendären „Wetterhorn-Aufzug“ mit den bis heute bestehenden Ruinen von Berg- und Talstation.

Wie die Geschichte rund um die Erschliessung des Säntis zeigt, bewegt sich die Tourismusindustrie mit ihren Grossprojekten – heute wie gestern – nicht selten auf einem schmalen Grat zwischen Gipfelsturm und Absturz. Aus Sicht von Aktionären sollten „Abstürze“ verhindert werden. Bei der heutigen, auf OTC-X gelisteten Säntis-Schwebebahn AG sehen wir dieses Risiko nicht, obwohl die Aktie – in der heutigen Struktur noch immer ein Liebhaberpapier – im Quervergleich zu anderen „Ausflugsbahnen“ aus einer fundamentalanalytischen Perspektive ungeachtet zuletzt starker Ergebnisse nicht günstig bewertet ist (siehe auch schweizeraktien.net vom 8. Mai 2019 zum Geschäftsjahr 2018).

 

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