Macro Perspective: Coronavirus-Baisse voraus … oder doch nicht?

Konjunkturindikatoren fallen und Aktienkurse steigen

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„Die Wahrheit macht oft den Eindruck des Unmöglichen.“ Fjodor Dostojewski, 1821-1881, Literat

Blickt man allein auf die globalen Leit-Indizes der Aktienmärkte, so deutet bisher noch wenig auf einen bevorstehenden Absturz hin. Ja, der Ausbruch der Coronavirus-Infektionswelle in China hat durchaus zu kleinen Korrekturen bei S&P 500, SPI und DAX gesorgt, doch zwischen den Korrekturen sorgen neue historische Rekordstände für Schlagzeilen. Gleichzeitig signalisieren Kupfer, Rohöl und Bondrenditen eine rapide Abschwächung der weltwirtschaftlichen Entwicklung. Wie passt das zusammen?

Noch Anfang Januar war die Welt für die meisten einigermassen in Ordnung. Doch mit der steigenden Zahl der Todesfälle in China und dann der Umsetzung der strengen Quarantänebestimmungen ist die Angst vor einer globalen Ausbreitung und potenziell Millionen Opfern stärker ins Bewusstsein getreten. Klar ist schon jetzt, dass es nicht, wie erhofft, eine kleine Sache ist, die schnell wieder vorbeigeht und wirtschaftlich ohne Auswirkungen bleibt. Laut Oxford Economics könnte der Schaden schnell auf über 1 Bio. USD steigen.

Noch keine Plateaubildung bei den Neu-Infizierten

Bis jetzt steigen die Zahlen der Infizierten und der Toten steil, wobei zwar der Hauptteil auf China entfällt, doch mittlerweile sind auch viele andere Länder auf allen Kontinenten betroffen. In den betroffenen Gebieten in China unterliegen mehrere Millionen Menschen Ausgangssperren. Dazu kommen mittlerweile auch viele Berichte über Machtmissbrauch und Missachtung der Menschenrechte. Der internationale Flugverkehr ist bereits stark beschränkt, viele Fluglinien fliegen China nicht mehr an. Die Einnahmeausfälle bewegen sich bereits im Milliardenbereich.

Internationale Auswirkungen

Betroffen sind auch zahlreiche westliche Unternehmen, die in China fertigen, zukaufen und absetzen. Verstärkt taucht auch das Coronavirus nun in Gewinnwarnungen oder als Grund für revidierte Prognosen auf. Wahrscheinlich sehen wir erst die Spitze des Eisbergs. Die Schweiz dürfte als Tourismusdestination sowie als Verkäufer und Exporteur von Luxus-Artikeln sogar mehr als andere Länder betroffen sein.

Ölpreis im Sturzflug

Während die Aktienmärkte unbeeindruckt ihrem Aufwärtstrend zu folgen scheinen, spricht der besonders konjunktursensible Ölmarkt eine andere Sprache. Nach diversen Schwächephasen im Vorjahr hatte sich der Preis der richtungsweisenden Sorte WTI bis Mitte Januar auf immerhin 63 USD vorgearbeitet. Dann folgte der Absturz auf unter 50 USD. Eine ähnliche Botschaft sendet Dr. Copper. Der Preis des zuverlässigen Frühindikators stürzte ebenfalls seit Januar um 10% ab. Die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen sank von 2% auf 1,5% – auch das ist ein klares Preis-Signal.

Baltic Dry Index für Capesize-Schiffe erstmals negativ

Doch der wohl schonungsloseste Indikator ist der Baltic Dry Index (BDI), dessen Abbildung der Entwicklung von Frachtraten ein unbeinflussbares Bild der Erwartungen für den Welthandel bietet. Der BDI ist nun neun Wochen in Folge gefallen. Was aber noch gravierender ist: Der Index für sogenannte Capesize Schiffe ist erstmals in der Geschichte negativ und bleibt trotz der Erholung der letzten Tage tief im negativen Bereich! Das heisst, dass Schiffe, die nicht durch den Panama-Kanal passen (Panamax-Klasse) sogar dafür bezahlen, Fracht übernehmen zu dürfen. Das ist immer noch günstiger, als die hohen Hafengebühren zu bezahlen. Dieser Indikator verspricht ganz offensichtlich nichts Gutes für die Wirtschaft.

Ungebremste Rallye?

Auffällig an der allgemein euphorischen Börsenberichterstattung ist, dass weder die Geschehnisse am Kupfer- noch am Öl- oder Anleihemarkt in Relation zu der ungebremsten Hausse bei den Aktien gesetzt werden. Immerhin handelt es sich um zuverlässige Frühindikatoren! Der Eindruck, der vermittelt wird, stimmt nicht. Dabei stimmt das Narrativ von der „ungebremsten Rallye“ sowieso nicht. Der Shanghai Composite Index stand vor der Bekanntmachung neuer Stimulierungsmassnahmen der Bank of China vom 17. Februar genau da, wo er Anfang Oktober 2019 stand – und immer noch unter dem Hoch von vor zwei Jahren. Bei britischen Aktien ist das Bild ähnlich deprimierend. Da im FTSE Index viele internationale Werte vertreten sind, gibt der FTSE-350 ein besseres Bild. Die Performance der letzten 12 Monate beläuft sich auf gerade 4%. Auch die 5-Jahresperformance ist mit 11% dürftig. Unter Berücksichtigung von Devisenverlusten wird das Bild, je nach Einstiegszeitpunkt, noch schlechter. Australien ist ein weiterer solcher Fall. Trotz der katastrophalen Brände zeigt sich der ASX mit 17% Wertzuwachs in den letzten 12 Monaten robust. Doch der Broad Market Index legte nur um 8% zu. Und auf USD-Basis sind es weniger als 3%.

Apple-Warnung mit kurzfristigem Effekt

In den USA steht die wirkliche Realisierung der Effekte des COVED-19 Virus noch aus. Als erstes grosses Unternehmen hat nun Apple davor gewarnt, dass die Guidance für das erste Quartal nicht erreicht werde. Über 13% des Umsatzes entfallen auf China. Davon könnte nun die Hälfte wegbrechen. Viele Apple-Stores sind geschlossen oder nur zeitweilig geöffnet. Die Produktion ist ebenfalls betroffen, da viele Zulieferer ihre Betriebe geschlossen haben oder nur eingeschränkt produzieren. Die internationalen Lieferketten sind unterbrochen, da weder Schiffe noch Flugzeuge für den Transport von oder nach China zur Verfügung stehen. Tatsächlich, so eine aktuelle Auswertung von FactSet, tauchte das Corona-Virus in 38% der Earnings Calls der Unternehmen seit Anfang Januar mindestens einmal auf.

90% Kursanstieg in 12 Monaten machen Apple anfällig

Nach der „Warnung“ von Apple stürzte die Aktie zwar im vorbörslichen Handel um über 3% ab, erholte sich aber zwischenzeitlich wieder. Die Warnung ist jedoch so formuliert, dass weitere negative Nachrichten nicht überraschen sollten. Wäre nun die Apple-Aktie weniger populär, so wäre es nicht so bedeutsam. Doch wenn so ein Aktien-Schwergewicht in den letzten 12 Monaten um 90% zugelegt hat und nun einen Börsenwert von 1’420 Milliarden USD repräsentiert, dann ist die Aktie auch für Gewinnmitnahmen anfällig.

Fünf Aktien – fünf Bio. USD Market Cap

Die Amazon-Aktie hat ebenfalls neues Rekordterrain oberhalb von 2’000 USD erobert. Market Cap: 1 Bio. USD. Auch Alphabet liegt auf Rekordniveau und weist eine Bewertung von 1 Bio. USD auf. Nimmt man noch Microsoft mit dem exorbitanten Anstieg und einer Market Cap von 1.4 Bio. USD und Facebook mit 0.6 Bio. USD dazu, so erreichen allein diese fünf Market Leader eine Kapitalisierung von 5.2 Bio. USD – fast gleichauf mit der Kapitalisierung der drittgrössten Börse der Welt in Tokio!

FTC weitet Ermittlungen gegen Monopolisten aus

Ganz abgesehen von den allgemeinen Sättigungstendenzen und den Auswirkungen des Virus-Ausbruchs sind die genannten Unternehmen auch allesamt von anderer Seite mit Herausforderungen konfrontiert. Nachdem sich schon mehrere Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Bürgervereinigungen und auch Ökonomen und Wissenschaftler mit der wettbewerbsschädigenden Monopolstellung der oben genannten Unternehmen beschäftigt haben, hat nun auch die Federal Trade Commission (FTC) angekündigt, ihre Ermittlungen zu vertiefen. Insbesondere soll es um die zahllosen Übernahmen von kleineren Unternehmen gehen, die nie gründlich im Hinblick auf Wettbewerbsbehinderung durch die Marktführer geprüft wurden. Hunderte oder sogar Tausende von Übernahmen könnten rückabgewickelt werden. In der EU und vielen anderen Ländern sind ebenfalls Bemühungen im Gange, den Monopolisten auf den Pelz zu rücken. Für Schlagzeilen sorgte die Auseinandersetzung zwischen Trump und Macron über die französische Einführung einer Digitalsteuer. Daher will Trump nun Zölle auf französischen Wein, Käse und weitere Produkte erheben, was andere europäische Länder mit gleichen Absichten abschrecken soll.

Most-crowded Trades

So oder so – die Aktien von Apple, Microsoft & Co sind nicht mehr attraktiv bewertet, sondern, wie bei „most-crowded trades“ üblich, überbewertet. Die Investoren scheinen zu unterstellen, dass die exponentiellen Kursanstiege ihre Berechtigung in der Diskontierung von weiterhin hohen Monopolgewinnen finden. Doch das könnte der grösste Trugschluss überhaupt sein. Denn Monopole behindern den Wettbewerb und haben deshalb keine lange Lebenszeit. Bei einer ernsthaft anti-monopolistischen Zerschlagung könnten jeweils Dutzende von Baby-Googles oder -Facebooks stehen, wie bei der Zerschlagung des Öl-Imperiums der Rockefellers, die erst zur Geburt von Exxon, Chevron, Mobil und 30 weiteren Unternehmen geführt hat.

Market Leader – Hausse

In einer anderen Betrachtungsweise sieht die starke Performance der US-Börsen, insbesondere seit Oktober 2019, weniger beeindruckend aus, rechnet man die 70% bei Microsoft in den letzten 12 Monaten, die 90% bei Apple usw. heraus. Natürlich gibt es auch andere US-Aktien, die steigen, wie Thermo Fisher Scientific oder Biogen, doch so breit, wie es scheint, ist die Marktstärke nicht. Sollten die unbestrittenen Führungsaktien aus diesem oder jenem Grund oder auch einer Kombination nun ihren Zenit erreicht haben und ein Plateau bilden oder gar korrigieren, dürfte die Stimmung an den Börsen schnell eine Eintrübung erfahren.     

Nifty-Fifty-Episode

Ähnliche Episoden an den Börsen hat es schon reichlich gegeben. Zwangsläufig kommen einem die „Nifty Fifty“ in den Sinn, deren beste Zeit in den 1970er Jahren abrupt endete . Es waren 50 hochkapitalisierte „Wachstumswerte“, nach damaligem Verständnis, darunter Aktien wie Avon, Black & Decker, Coca-Cola, Xerox und Disney. Die Stars waren aber Konglomerate wie ITT. Die Nifty Fifty haben den Bullenmarkt der 1960er und frühen 1970er Jahre angeführt, die nachfolgende Baisse infolge des ersten Ölschocks von 1973 sollte jedoch zeigen, dass gerade die Star-Aktien am tiefsten fallen sollten und viel länger benötigten als die marktbreiten Indizes, um sich wieder zu erholen. So gesehen handelt es sich heute in nochmals konzentrierter Form der Marktführerschaft nur noch um die „Nifty Five“, die über Wohl und Wehe der Wall Street bestimmen. Entsprechend ihrer Leitfunktion für den Rest der Börsenwelt sind diese fünf Aktien auch für die weitere Tendenz in Asien und Europa entscheidend.

Follow the Money

Ein wenig bedachter Faktor sind in diesem Kontext auch die Money-Flows. Hatten Privatanleger in 2019 immer stärker auf die Hausse an den Aktienbörsen gesetzt, so sind nun wieder Abflüsse zu verzeichnen, die überwiegend in Bond-Fonds und -ETFs fliessen. Bei fortgesetzten Abflüssen aus Aktien-Anlageprodukten, insbesondere den so beliebten passiven Index-Produkten, werden die Aktien der fünf Super-Stars überproportional leiden, denn eine hohe Marktkapitalisierung bringt auch eine hohe Index-Gewichtung mit sich.

Gold wieder über 1’600 USD

Es passt ins Bild, dass der Goldpreis am 18. Februar erstmals seit 2013 wieder über 1’600 USD pro Feinunze liegt. Das Edelmetall ist und bleibt ein sicherer Hafen für Anleger, die ihre Kaufkraft ohne grosse Risiken erhalten wollen. Die positiven Perspektiven für Gold waren mehrfach in der Macro Perspective hervorgehoben worden. Der Hauptgrund ist, dass es niemandes Zahlungsversprechen beinhaltet, wie bei Anleihen, Schuldverschreibungen und auch Bargeld. Zudem weisen Staatsanleihen im Nennwert von ca. 12 Bio. USD negative Renditen auf, womit ein wesentliches Argument gegen Gold wegfällt. 

So oder so – der Satz von Dostojewski trifft es auf den Punkt: „Bevor man handelt, muss man einen unbeschwerten Kopf haben und frei von Zweifeln sein.“

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