Macro Perspective: Bubble everything?

Neuer US-Präsident Biden wird zum Hoffnungsträger für die Weltwirtschaft

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„Wenn Sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“ Marie-Antoinette (zugeschrieben), 1755-1793, Königin von Frankreich bis 1791

Der Weltwirtschaft wird für 2021 ein Wachstum von 5% prognostiziert. Die Unternehmensgewinne sollen in den USA um 21% und in Europa sogar um 38% steigen. Der Trump-Spuk ist zu Ende, und alles Weitere sieht in den Augen der Investoren aus, als könne es nur noch besser kommen. Wäre da nicht die Pandemie, die trotz wirkungsvollen Impfstoffen noch immer um sich greift. Für erfolgreiche Investments wird es im neuen Jahr vor allem darauf ankommen, richtig abzuschätzen, welche Unternehmen, Sektoren und Börsen schon zu weit gelaufen sind und welche über bisher übersehenes Aufholpotenzial verfügen.

Die aktuellen Gewinnschätzungen für 2021 sind von erheblichen Unsicherheiten behaftet, da sie von Annahmen zum weiteren Jahresverlauf ausgehen, die immer wieder angepasst und verändert werden müssten. In der Praxis wird aber nicht immer oder nur unzureichend den tatsächlichen Entwicklungen Rechnung getragen. Es sind daher die Nachrichten zur Ausbreitung der Pandemie, den Rückschlägen bei der Durchführung der Impfkampagnen sowie den erneuten Lockdown-Bestimmungen, die besser als die Prognosen der Analysten das Tempo der wirtschaftlichen Erholung und damit der Entwicklung der Unternehmensgewinne vorhersagen lassen.

Analysten ohne Fantasie

So kann es dann zu überraschend guten Zahlen kommen, wie in der Schweiz bei Swissquote oder Zur Rose – die Kurse reagieren dann deutlich auf das Übertreffen der Konsensschätzungen der Analysten. Zu der Verunsicherung über die tatsächlichen Auswirkungen der Pandemie auf das Zahlenwerk der analysierten Unternehmen tritt auch noch ein Phänomen, das als „Anchoring“ bezeichnet wird. Wenn zehn Analysten ein Unternehmen covern, liegen die Gewinnschätzungen meist nah beieinander. Liegt die Range bei 1 USD bis 1.30 USD, wird sich ein elfter Analyst in der Regel etwa in der Mitte ansiedeln. Wenn auch häufig die Schätzungen um 1, 2 Cents verändert werden, grössere Anhebungen oder Absenkungen sind eher selten und finden meist erst nach der Vorlage von Zahlen statt, die für die Analysten dann auch eine deutliche Veränderung begründen können. Dass Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen teilweise Gewinnsteigerungen um 200% melden, findet in den Prognosemodellen oft noch keinen oder einen zu späten Niederschlag.

IBM und Intel enttäuschen

Auf der anderen Seite kommen Aktien von Unternehmen wie IBM am vergangenen Freitag schnell unter die Räder, wenn der schlecht angepasste Konsens der Analysten verfehlt wird. Die Aktie stürzte um über 10% ab, obwohl die Schätzungen für den Gewinn je Aktie erreicht wurden. Dagegen war die Umsatzentwicklung unbefriedigend, insbesondere im Software-Segment. Auch Intel enttäuschte, die Aktie verlor um 9%. Die Gewinnschätzungen wurden zwar übertroffen, doch das Update zur Produktion war ernüchternd. Beide Beispiele zeigen, dass Gewinnsteigerungen allein die Investoren nicht glücklich machen, es braucht auch berechtigte Wachstumsperspektiven, was sich eher im Umsatz niederschlägt. Kurzfristig kann der Gewinn durch Kostensenkungen und bilanzielle Massnahmen verbessert werden, doch wie nachhaltig ist die Marge, wenn es an Neugeschäft fehlt?

Small-Caps im Höhenflug

Der Optimismus der vergangenen Wochen führte zu vielen Kursausbrüchen, etwa bei Bankaktien und im Freizeit- und Reisesegment sowie insbesondere im Small- und Mid-Cap-Bereich, der im Russell-2000-Index abgebildet ist. Der Russell 2000 hat sich seit März 2020 mehr als verdoppelt.  Die oben genannten Aktien sollen am meisten und am schnellsten vom Abklingen der Infektionswelle und dem Wiederaufleben normaler Konsum- und Kaufgewohnheiten profitieren. Doch offensichtlich irrational wird es erst bei den schnell wechselnden „heissen“ Sektoren, wie zuletzt bei den wenigen Hydrogen-Aktien. So stieg die Plug-Power-Aktie in den letzten sechs Monaten um 1’500%. Das Kurs-Umsatz-Verhältnis beträgt nun 100!

Russell-2000-Index in den letzten fünf Jahren.
Magere Impfbilanz in den USA und in der EU

Tatsächlich hängt aber in den genannten Segmenten der Geschäftsgang weitgehend davon ab, wie schnell substanzielle Teile der Bevölkerung durch Impfung immunisiert sind. Für die USA sieht die aktuelle Zwischenbilanz so aus: 20.5 Mio. Impfungen sind durchgeführt. Ziel von Trump waren 20 Mio. bis Ende 2020. Der neue Präsident Joe Biden will 100 Mio. Impfungen innerhalb seiner ersten 100 Tage im Amt erzielen. Daran wird er sich messen lassen müssen. In der EU fällt die Bilanz noch schlechter aus. Bisher sind gerade einmal 5 Mio. Impfungen durchgeführt worden – wenig mehr als 1% der Bevölkerung.

Normalisierung um Monate verschoben

War der Konsens bisher, dass bereits ab April 30% der Populationen geimpft sein werden und dann auch aus klimatischen Gründen das Infektionsgeschehen rückläufig sein werde, so sieht es heute eher danach aus, dass die eigentliche Erleichterung nicht vor Spätsommer oder Herbst zu erwarten ist, wenn dann hoffentlich die zwei Drittel der Populationen geimpft sein werden, die erforderlich sind, um die sogenannte Herdenimmunität zu erreichen.

Politik überfordert

Die Gründe für die Verschiebung der Trendwende um 6 Monate sind vielfältig. Während damit zu rechnen war, dass es bei der Skalierung der Produktion der sukzessive zugelassenen Impfstoffe zu technischen Schwierigkeiten kommen kann, liegt der eigentliche Hauptgrund für das Impfdesaster in der mangelnden Kompetenz und Organisationsfähigkeit der politischen Entscheidungsträger. Zaudern, Zögern, Zweifeln sind schon an der Börse das Rezept für eine schlechte Performance. Doch bei einer tödlichen Jahrhundert-Pandemie sind die Auswirkungen politischer Fehl- oder Nicht-Entscheidungen fatal und noch weit folgenreicher. So kann sich der nun abgelöste US-Präsident Trump mehr als 400’000 Covid-Opfer auf die Fahne schreiben; das sind mehr Tote, als der Zweite Weltkrieg von den USA forderte.

Politik wird zum Kasperle-Theater

Dazu kommt als Nachweis der Inkompetenz das Kasperletheater um alles, was wesentlich für die Ansteckungsgefahr ist. Erst seit kurzem sind die N-95-Masken Pflicht, die tatsächlich die minimal 145 N grossen Viruspartikel filtern können. Das hätte jedoch jeder Politiker bereits vor einem Jahr von jedem Apotheker erfahren können. Die selbstgenähten Deko-Masken aus Baumwolle oder sonstigen Materialien sind nahezu nutzlos, auch die chirurgischen Alltagsmasken dienen primär dem Schutz des Operationspatienten vor Keimen des Chirurgen, bieten aber für den Träger einen nur geringen Schutz. Ein anderes Beispiel für bodenlose Inkompetenz ist die Diskussion um die Streckung der Impfintervalle und die Reduzierung der individuellen Dosen, etwa sechs Dosen aus einem Vial für fünf zu machen. Die Studienergebnisse und die Prüfungen und Zulassungen beschränken sich ausschliesslich auf die Dosierungen und Intervalle, die zugelassen sind. Das Lamentieren wird von den unisono berichtenden Medien aufgenommen und trägt dank deren oberflächlicher Berichterstattung zu der kollektiven Virus-Psychose bei, anstatt aufzuklären und für Nüchternheit zu sorgen. Ein solches nach Wählerstimmen heischendes Kasperle und Seppl-Theater ist jedoch verantwortungsvollen Staatsmännern unwürdig. Unter „normalen“ Umständen hätten bereits viele Rücktritte erfolgen müssen. Die demokratische Kontrollfunktion der Medien scheint mit den Lockdown-Massnahmen endgültig ausser Kraft gesetzt und durch Social-Media-Kollektiv-Unvernunft und Desinformation ersetzt worden zu sein.

Mutationen lösen Hysterie aus

Das gilt auch im Hinblick auf die nacheinander auftretenden Mutationen des Virus – UK, Südafrika, Japan, Brasilien …  – Viren tendieren dazu zu mutieren, das war lange bekannt. Pfizer testete 16 Covid-Mutationen, die die Wirksamkeit des Impfstoffs nicht einschränken. Das sei beruhigend, schliesse aber nicht aus, dass es bei der siebzehnten Mutation anders sei. Trotz der geringen Wahrscheinlichkeit berichten die Massenmedien hysterisch über jede neue Variante, deren Vordringen und Ausbreitung. Das wiederum sorgt bei den Politikern für Panik und eher kopflose Entscheidungen, wie die Grenzen dichtzumachen oder generelle Ausgehverbote auszusprechen. Die eher fundierten Einschätzungen von Experten wie Anthony Fauci gehen dagegen in der allgemeinen von Politikern und Medien befeuerten Hysterie unter.

Überbordender Optimismus an den Börsen

Unter den aktuellen Bedingungen mutet die anhaltend gute Stimmung an den Aktienmärkten zunehmend anachronistisch an. Es scheint, als haben sich die Finanzmärkte endgültig von der Realwirtschaft losgekoppelt und führen nun ein Eigenleben. Das legen jedenfalls die munter immer weiter erhöhten Indexziele, die Kapitalzuflüsse und die überschäumende Stimmung nahe. Dazu passt der erstmalige Markteinstieg einer Vielzahl neuer und junger Investoren, die oftmals nur steigende Kurse kennen und noch nie eine Baisse erlebt haben.

Hoffnungen ruhen auf Biden

Der Bogen wirkt schon ziemlich überspannt, und ein Geschmack von plötzlicher Korrektur liegt in der Luft. Die Realisierung, dass die Wirtschaft nicht schon im Frühjahr, sondern erst Monate später wieder allmählich zur Normalität findet, könnte für herbe Enttäuschungen sorgen, wie die Kursstürze bei IBM und Intel zeigen. Der Amtsantritt der Biden-Administration bietet den Anlegern allerdings in der gegebenen Gemengelage einen Joker. Gelingen ihm die ersten Vorhaben, wie eine beschleunigte und erfolgreiche nationale Impfkampagne, die Stimulierung von Investitionen und Konsum sowie die Schaffung einer neuen nationalen Einigkeit und die Reintegration in die globalen Abkommen wie Paris 2015, kann die Börse durchaus weiter aufblühen. Zeichnet sich erst ab, dass der Tiefpunkt der Corona-Pandemie durchschritten ist, können auch schnell wieder breiter Optimismus und neue wirtschaftliche Dynamik aufkommen.

Beispiel Israel

Ein Beispiel dafür ist Israel. Weil die Impfkampagne auch durch die gute Organisation bereits weit fortgeschritten ist, strömte massiv Kapital ins Land und hievte Aktienindizes und Währung deutlich höher. Die Investoren versprechen sich eine frühere und schnellere Erholung der Wirtschaft als im Rest der Welt.

Performance des Tel-Aviv-125-Index im vergangenen Jahr.
Attraktive britische Aktien

Der nächste Kandidat für eine ähnliche Entwicklung ist das UK. Durch die frühere Zulassung der Impfstoffe und höhere Bestellvolumina sind auf den britischen Inseln bereit 5 Mio. Menschen geimpft. Wie bei Israel sollte sich das bessere Management der Impfstoffversorgung und -kampagne früher in den BIP-Zahlen und den Unternehmensgewinnen manifestieren. Durch die endlosen Brexit-Unsicherheiten sind sowohl Börse als auch Währung in den letzten Jahren abgerutscht. Beides sieht nun attraktiv aus, bedenkt man die neu gefundene Agilität und die raschere Erholung der Wirtschaft.

Politik und Medien haben Vertrauen verspielt

Die Glaubwürdigkeit von Politikern, Wirtschaftsführern und Medien hat nicht zu Unrecht in der Krise weiter gelitten, wie eine internationale Umfrage im Rahmen des Edelman-Trust-Barometers ermittelte. Desinformation im Stile Trumps ist out. Was die Wähler in allen Wirtschaftsräumen wollen, ist, dass die Medien unparteiisch und objektiv berichten und die Regierungen nicht lügen und das Retten von Leben über die Wirtschaft stellen. Besser schlossen die CEOs ab, von denen sich die Befragten wünschen, dass sie mehr zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeiterschaft und die sozialen Aspekte sagen. Zwei Drittel erwarten, dass die Wirtschaftsführer die von den Politikern ungelösten Probleme angehen werden.

Es bleibt allerdings fraglich, ob die heutigen unfähigen Regenten vor ihrem Ende wenigstens zur Erkenntnis von Marie-Antoinette in ihrer Zeit in der Bastille kommen: „Wir hatten einen schönen Traum, und das war alles.“

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