Tokenisierung: Wenn Werte in die Blockchain wandern

Ein Überblick zur Tokenisierung von Wertanlagen

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Jetzt nutzen auch Grossbanken die Blockchain für ihre Assets. Bringt das den Umschwung?

Ein zerstückeltes Gemälde, Air Jordan Sneakers und digitale Aktien: Sie haben viel mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick denken würde. Für alle drei gilt, dass ihre Eigentumsrechte in der Blockchain verewigt wurden. Die sogenannte Tokenisierung steht noch ganz am Anfang – doch sie läutet eine dramatische Wende ein.

Fälschungssichere Kunst, dank digitalem Fingerabdruck in der Blockchain

Titandioxid sollte den Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi letztlich überführen. Die weisse Farbe, gefunden in einem angeblich von 1914 stammenden Bild des Expressionisten Heinrich Campendonk, existierte zu Beginn des ersten Weltkrieges schlicht noch nicht. Und bald wurde klar: Beltracchi dürfte über einen Zeitraum von 40 Jahren bis zu 300 Gemälde dreist, aber gekonnt gefälscht haben. Ein Handwerk, das ihm und seiner Frau wohl 16 Millionen Euro einbrachte. Heute müsste sich Beltracchi ein anderes Einkommen suchen. Denn mit sogenannten «Non Fungible Tokens» (NFT) – nicht austauschbaren Wertmarken – lässt sich Kunst digital einwandfrei schützen. NFT beruhen auf dezentral gespeicherten Informationsblöcken in der Blockchain. Diese wiederum lassen sich wie ein Fingerabdruck anhand von Realwerten erstellen, im Fall des Gemäldes etwa anhand dessen exakter Topologie, per Laser abgetastet.  Die Blockchain-Technologie, die auch hinter Bitcoin und Co. steckt, hat somit das Potenzial, die Echtheit und die Eigentumsrechte an Besitztümern aller Arten fälschungssicher zu verewigen. Egal ob Immobilien, Rohstoffe, Edelmetalle, seltene Markenturnschuhe oder erlesener Wein das Potenzial für tokenisierte Vermögenswerte ist riesig. Besonders Werte, die bisher nicht auf dem Kapitalmarkt erhältlich waren, dürften künftig davon profitieren. Fintech-Exponenten sprechen dort von zig Billionen US-Dollar an möglichem Marktvolumen.

Seltene Sneakers sind eine Wertanlage, die zig Tausend Euro kosten kann. Drum liess sich Nike schon Ende 2019 ein Vorgehen patentieren, um die Unikate zu tokenisieren. Bild: handelsblatt.com

Blockchain übernimmt den Job der «Zwischenhändler»

Der Fall Beltracchi zeigt grundlegende Defizite von traditionellen Vermögenswerten: Deren Eigentumsverhältnisse, Rechte und Authentizität müssen von Intermediären wie Banken, Börsen, Kunstgalerien etc. – verbrieft und garantiert werden. Und der Kunde muss diesen Intermediären vertrauen. Mit der offenen sowie interoperablen Blockchain entfällt das. Dieses dezentrale, digitale „Kassenbuch“ übernimmt die Verbriefung und Authentifizierung, die relevanten Daten werden mit immensem rechnerischem Aufwand kryptografisch versiegelt – und weltweit gestreut. Selbst die Tokenisierung liquider Assets, wie Aktien und Bonds, bietet gegenüber dem traditionellen Wertpapierhandel Zeit- sowie Effizienzgewinne. Aufwendige Prüf- und Abstimmungsprozesse lassen sich mit der Blockchain nämlich schneller und günstiger abwickeln, gespart wird bei den Emissions- und Transaktionskosten. Dabei profitieren insbesondere die Anleger von höherer Transparenz, offeneren Märkten und reduzierter Marktmanipulation. Zudem wird das Investieren demokratisiert: Plötzlich kann auch Otto Normalverbraucher Unternehmen mit einem hohen Aktienpreis kaufen, zumindest den tokenisierten Bruchteil einer solchen Aktie. Oder Kleinanleger diversifizieren Portfolios in Assetklassen, die zuvor ausserhalb ihrer Reichweite lagen: etwa Teile einer populären Luxus-Immobilie oder eines legendären Oldtimers.

Doch die Tokenisierung hat auch ihre Kritiker und Gegner. Regulatoren befürchten ein rasch wachsendes, paralleles Schattenfinanzsystem, auf das Aufseher keinen direkten Zugriff mehr haben werden. Aktuell wird die Anschubfinanzierung für neue Unternehmungen im Krypto-Universum in der Regel von Risikokapitalgebern und Angel-Investoren bereitgestellt. Die professionellen Investoren verfügen über die Ressourcen und das Know-how, um umfangreiche Due-Diligence-Verfahren durchzuführen. In neuen Modellen mit Crowd-Sourcing wird unter Umständen auf diesen Prozess verzichtet – was neue Risiken birgt. Einige Fälle von eklatantem Betrug bei Gründungen von Krypto-Ventures sind bereits aktenkundig. Unter dem Pseudonym Evil Ape startete zum Beispiel ein NFT-Entwickler im September 2021 die Finanzierung eines digitalen Kunstprojekts und raffinierten Computerspiels. 798 Einheiten der Kryptowährung Ether konnte er von interessierten Anlegern einstreichen. Dann verschwand er mit dem Geld seiner Investoren – umgerechnet 2,7 Millionen Dollar.

Evolved Apes wurde auf dem NFT-Marktplatz OpenSea als Kunstprojekt und Spiel beworben. Affen, die ums Überleben kämpfen – und „Survival of the Fittest“. Doch Gewinner gab es nie, vom Betrüger abgesehen. Bild: DailyNationToday

BEKB, Daura, Sygnum: Schweizer Unternehmen lassen Taten sprechen

Seit Herbst 2021 hat die BEKB mit der Hypothekarbank Lenzburg und dem Kryptoaktien-Konsortium Daura eine Plattform für die Transaktion und die Verwaltung von tokenisierten Assets entwickelt. «Das Ziel, nämlich eine technologische Infrastruktur für die Emission, den Handel und die Verwahrung von digitalen Vermögenswerten zu entwickeln, haben wir nun erreicht», sagt Andreas Langenegger, Leiter der neuen Digitalbörse mit dem Namen SME|X. Den Fokus setzt die SME|X auf den Handel mit nichtkotierten Wertschriften von Schweizer KMU. Am 1. Dezember nahm der neue ausserbörsliche BEKB-Marktplatz seinen Betrieb auf. Die Sygnum Bank AG aus Zürich bezeichnet sich derweil als «weltweit erste Digital Asset Bank und Spezialist für Digital Assets mit globaler Reichweite». Letzten November gab sie bekannt, dass sie das VZ VermögensZentrum – ein unabhängiges, SIX-kotiertes Schweizer Finanzdienstleistungsunternehmen – als Partner für ihre B2B-Banking-Lösung gewinnen konnte. Und Sygnum hat wahrgemacht, was sich selbst der Jahrhundert-Kunstfälscher Beltracchi wohl nie hätte träumen lassen. Die Krypto-Bank tokenisierte das Gemälde „Fillette au béret“ von Pablo Picasso – und zerstückelte das digitale Abbild dann in 4000 (An-)Teile. Sie lassen sich nun über die Sygnum-Handelsplattform Sygnex kaufen und handeln. So muss heute also niemand mehr aufwendig Bilder fälschen, um einen farbechten Picasso sein Eigen zu nennen – oder zumindest einige Splitter davon. Dem spanischen Meister des Kubismus dürfte dieser Gedanke gefallen haben. Reduzieren und nochmals reduzieren…bis zum Maximum.

 

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