Ausserbörslicher Aktienhandel: In Krisenzeiten ein Fels in der Brandung?

OTC-X Indizes verlieren 2022 nur marginal

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Bisher bietet das Jahr 2022 für Anleger im ausserbörslichen Markt einen gewissen Schutz vor dem Sturm an den Börsen. Bild: stock.adobe.com

Für Anleger war 2022 bisher ein Jahr zum Vergessen. Die Kurse von börsenkotierten Aktien befinden sich nicht nur in der Schweiz im Sinkflug. Seit Jahresbeginn hat der SPI Extra-Index mehr als ein Viertel seines Wertes verloren. Auch Kryptowährungen erwiesen sich, anders als von vielen Kryptofans erwartet und versprochen, nicht als Inflationsschutz. Hingegen behielt Gold zumindest seit Jahresbeginn seinen Wert. Geld verdienen liess sich vor allem mit Rohstoffen.

Von grossen Kursverlusten verschont blieben auch die Anleger, die in ausserbörslich gehandelte Aktien investiert sind. Gemessen am OTC-X Liquidity-Index, welcher die 50 liquidesten auf OTC-X gehandelten Aktien umfasst, liegt das Minus seit Jahresbeginn lediglich bei 2,1%. Und der alle 246 Titel umfassende All Share-Index liegt mit 0,5% sogar leicht im Plus. Sind die ausserbörslich gehandelten Aktien also ein «Fels in der Brandung», bilden sie einen Stabilitätsanker für das Portfolio?

Seit Jahresbeginn haben Schweizer Aktien gemessen am SPI-Extra-Index mehr als ein Viertel an Wert eingebüsst. Quelle: www.money-net.ch
Ein Markt für «buy-and-hold»

Ein Blick in die fast 20-jährige Geschichte der Plattform OTC-X zeigt, dass der ausserbörsliche Aktienmarkt mit wenigen Ausnahmen die starken Kursbewegungen der Aktienmärkte nicht oder weniger ausgeprägt nachzeichnet. In Hausse-Phasen an den Hauptmärkten gewinnen die ausserbörslich gehandelten Titel also weniger als die börsenkotierten Aktien. In Bärenmärkten wie aktuell verzeichnen sie geringere oder gar keine Verluste. Die niedrige Volatilität des Marktes ist primär auf drei Faktoren zurückzuführen: die geringere Liquidität am Markt, die hohe Qualität der Unternehmen und den breiten Sektormix.

Zu den Investoren, die ausserbörslich gehandelte Aktien kaufen, gehören zum grossen Teil Privataktionäre. Darunter gibt es einerseits Aktionäre, die aus Verbundenheit mit dem Unternehmen oder wegen des jährlichen Generalversammlungsbesuch die Anteile halten. Andererseits finden sich auch auf Nebenwerte spezialisierte Vermögensverwaltungen sowie vermögende Privatpersonen, die stock-picking in dem Nischensegment betreiben. Beide Aktionärstypen haben eines gemeinsam: Sie investieren langfristig. Auch die wenigen institutionellen Anlagegefässe, dazu gehören die Beteiligungsgesellschaft Nebag, der OTC-X Fund der Berner Kantonalbank, der Quantex Nebenwertefonds und der Substanzwerte Fonds von AMG, verfolgen einen «buy-and-hold»-Ansatz. Aufgrund der geringen Liquidität benötigen gerade professionelle Käufer Geduld, um Positionen auf- oder abbauen zu können. Baisse-Phasen bieten oftmals erst die Möglichkeit, eine grössere Aktienposition im OTC-X Segment aufzubauen.

Allerdings ist es in dieser Phase auch nicht möglich, grössere Positionen über den Markt abzubauen, ohne starke Kursrückgänge zu provozieren. Da es auch keine Derivate auf ausserbörslich gehandelte Titel gibt, welche Kursbewegungen verstärken, entwickelt sich der ausserbörsliche Aktienmarkt auch in Krisenzeiten stabil. Ebenso gibt es nur wenige Fonds, die aufgrund von Rücknahmen gezwungen sein könnten, im dümmsten Moment ihre Positionen zu liquidieren. Ein solcher «sell-off» bleibt am OTC-Markt in der Regel aus.

Der 5-Jahresvergleich zeigt, dass ausserbörslich gehandelte Aktien weniger volatil sind, als die börsenkotierten Titel. Chart: www.money-net.ch
Langfristiges Denken dominiert

Nicht wenige der ausserbörslich gehandelten Aktiengesellschaften bestehen seit mehr als 100 Jahren: Dazu zählen beispielsweise die AG für die Neue Zürcher Zeitung, die Rigi Bahnen und die Bad Schinznach AG. Die lange Tradition schützt zwar nicht vor Managementfehlern, doch in der Regel werden die KMU teilweise über Jahrzehnte umsichtig von einem gleichbleibenden Managementteam geführt. Kurzfristige Ex-und-hopp-Manager findet man hier nur selten. Kommt hinzu, dass hinter den Unternehmen meist Ankeraktionäre stehen, die solche Exzesse nicht zulassen bzw. durch ihre Mitarbeit im Verwaltungsrat die Weichen richtig stellen.

Unternehmen mit soliden Bilanzen

Ein weiterer Pluspunkt der ausserbörslich gehandelten Aktiengesellschaften ist die hohe Bilanzqualität. Eigenkapitalquoten von weit über 50% und eine hohe Nettoliquidität machen die Firmen in Krisenzeiten unabhängig von Bankkrediten. Auch da gerade in den (zu Ende gehenden) Zeiten von Null- bzw. Negativzinsen nicht immer die optimale Eigenkapitalrendite erzielt werden konnte, dürfte diese konservative Finanzierung in den kommenden Monaten für Krisenresistenz sorgen. Dank der Berichterstattung nach Obligationenrecht (OR) können auch stille Reserven gebildet werden. Bilanzakrobatik wie aktivierte Eigenleistungen oder Markenrechte und Goodwill sucht man in den Jahresabschlüssen der nichtkotierten Nebenwerte vergeblich. «Zeitbomben» wie Wertberichtigungen auf den Goodwill, die das eine oder andere börsenkotierte Unternehmen noch treffen dürften, werden bei den ausserbörslich gehandelten Firmen daher eher nicht hochgehen; auch die die Finanzierungskosten dürften aufgrund steigender Zinsen nicht explodieren.

Breite Diversifikation möglich

Zu insgesamt zehn Branchen zählen die Unternehmen, deren Aktien auf OTC-X gehandelt werden. Auch dieser Aspekt dürfte für das gute Abschneiden der ausserbörslichen Nebenwerte in diesem Jahr gesorgt haben. Allein der Subindex Banken steht seit Jahresbeginn mit 3,1% im Plus. Kein Wunder, denn die rund 30 Regionalbanken haben auch im Krisenjahr 2021 gut gewirtschaftet. Die aktuellen Zinsanpassungen bei den Hypothekarkrediten dürften nun etwas Entlastung bei der Zinsmarge bringen, die lange unter Druck war.

Positiv entwickelt haben sich auch die Kurse der Aktien im Tourismus- und Freizeitbereich, litt diese Branche doch in den letzten zwei Jahren am stärksten unter der Corona-Pandemie. Seit dem Ende der Corona-Massnahmen hat sich die Lage in den Tourismusregionen wieder verbessert. Auch im Eventbereich zeichnet sich eine Normalisierung ab. Touristen aus aller Welt sind – mit Ausnahme der Chinesen – wieder zurück in der Schweiz. Der Vorteil hier: Der Ukraine Krieg tangiert diese Unternehmen bisher wenig.

Anders im Energiesektor: Die Anteile von Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien gehören klar zu den Siegern. Ganz schwierig hingegen ist die Lage bei den Gasversorgern, allen voran der Westschweizer Holdigaz SA. Deren Aktie hat im Jahr 2022 am meisten gelitten. Auch wenn das Unternehmen in den vergangenen Jahren stark in die Bereiche erneuerbare Energien und Gebäudetechnik investiert hat, so entfallen noch rund zwei Drittel des Umsatzes auf das Geschäft mit Erdgas. Wenig überraschend haben sich Investoren im Frühjahr von dem dank seiner Dividendenkontinuität als «Obligationenersatz» bekannten Titel verabschiedet. Der Kursverlust seit Jahresbeginn liegt bei fast 20%. Mitte Juli werden hier Zahlen zum Geschäftsjahr 2021/22 erwartet.

Hauptindizes OTC-X
Index 23.06.2022 YTD %
Liquidity 1’217.07 -2.1
Premium 1’379.43 -0.8
TOP50 2’785.42 -1.8
All Share 5’308.11 0.5
Branchenindizes
Banken 2’225.86 3.1
Bergbahnen 2’878.41 -3.2
Beteiligungsgesellschaften 1’006.27 10.5
Energie 3’229.78 -5.2
Immobilien 2’283.91 -2.3
Industrie 6’830.05 0.2
Medien 12’370.52 2.6
Nahrung und Getränke 2’307.41 1.1
Tourismus / Freizeit / Sonstiges 2’568.65 15.2
Transport / Verkehr / Logistik 5’841.92 0.8
Quelle: www.otc-x.ch
Fazit

Das Beispiel Holdigaz zeigt, dass auch der ausserbörsliche Markt nicht immun gegen geopolitische Verwerfungen ist. Ebenso werden die Inflation und steigende Zinsen nicht spurlos an den Unternehmen vorbeigehen. Gerade für Regionalbanken und Immobiliengesellschaften könnte das Szenario längerfristig steigender Zinsen bei einer Abkühlung am Immobilienmarkt einen negativen Einfluss auf die Rentabilität haben. Die Industrieunternehmen müssen sich ebenfalls mit steigenden Rohmaterialpreisen und Lieferengpässen auseinandersetzen. Auch die Tourismusindustrie dürfte diese Effekte spüren.

Obwohl die Entwicklung am ausserbörslichen Aktienmarkt im 1. Halbjahr 2022 den Anschein erweckt, als ob die Unternehmen krisenresistent sind, könnte der Schein trügen. Dauert der Krieg in der Ukraine länger an, steigen die Preise für Energie und andere Rohstoffe weiter. Dies wird die Inflation und schlussendlich auch die Zinsen weiter nach oben treiben. In diesem Fall dürfte der ausserbörsliche Aktienmarkt mit einer Verzögerung von rund sechs Monaten korrigieren, auch wenn die Korrektur wegen der geringeren Liquidität weniger stark als an den Hauptbörsen ausfallen wird. Eine gute Aktienauswahl bleibt daher auch hier entscheidend für den Anlageerfolg. Die Auswahl unserer Redaktion ist unter unseren Favoriten 2022 zu finden.

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