SNB: Die Irrfahrten der Nationalbank-Aktie

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Die SNB will den Franken stabilisieren und nicht den Aktionärsnutzen optimieren. Bildquelle: snb.ch

Vor einer Woche hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) basierend auf provisorischen Berechnungen einen Verlust von rund 132 Mrd. CHF für das Jahr 2022 angekündigt. Der Aktienkurs der SNB hat seit der Publikation dieses gigantischen Fehlbetrages rund 4% auf knapp unter 5’000 CHF korrigiert. Angesichts des Ausmasses der Vermögensreduktion ist das auf den ersten Blick eine unerwartete Stabilität des Aktienkurses. Auf dem gleichen Niveau notierte der Titel im vergangenen Oktober – in den Monaten dazwischen war das SNB-Papier bis auf 4’000 CHF gefallen.

Wilde Berg- und Talfahrt

Doch es gibt für das Papier kaum einen Grund, massiv zu fallen – oder im Erfolgsfall zu klettern, denn die SNB-Aktie ist eine spezielle. Doch in den vergangenen Jahren führte das Engagement von Spekulanten zu ungewöhnlichen Kurskapriolen – die rational nicht zu erklären sind. Die hohen Gewinne auf den Devisenvermögen zogen Aktionäre an wie das Licht die Motten, und es kam zu Kurssprüngen. Ende März 2018 kletterte der Kurs der SNB-Titel auf gegen 9’000 CHF. Nach einer Korrektur oszilliert die Notierung zwischen 4’000 und 6’000 CHF und schoss im März 2022 nochmals auf über 8’000 CHF.

Deutsche als Kurstreiber

In den Jahren 2019 bis 2021 wies die SNB hohe Gewinne von 49, 21 und 26 Mrd. CHF aus. Im Jahr 2018 fiel dagegen ein Verlust von fast 15 Mrd. CHF an. Diese Einnahmen und Fehlbeträge entstanden aus Interventionen an den Devisenmärkten und Bewertungsänderungen auf den entsprechenden Wertschriftenbeständen.

Die Treiber des SNB-Hypes liegen in Deutschland. Immer wieder tauchen die SNB-Valoren in Kaufempfehlungen von Börsenbriefen auf. Argumentiert wird mit den riesigen Gewinnen der SNB in den vergangenen Jahren. Verteilt auf die einzelnen Aktien kam man damit oft auf «innere Werte», die ein Vielfaches über den Aktiennotierungen lagen. Der Deutsche Professor Theo Sieger ist mit über 5% der Aktien hinter den Kantonen Bern und Zürich der drittgrösste Einzelaktionär.

BIZ als falsches Vorbild

Insbesondere für Deutsche, die ihr Vermögen im Ausland diversifizieren wollen, scheinen die SNB-Aktien ein ähnliches Sicherheitsgefühl wie Gold zu vermitteln. Zudem sind kotierte Notenbanken für viele Nichtschweizer ein Anachronismus. Börsenbriefschreiber beschwören deshalb immer mal wieder einen Rückkauf aller Aktien durch die SNB. Als Vorbild dient jeweils die BIZ, die Notenbank der Notenbanken. Zur Jahrtausendwende wurden deren Aktionäre mit einem üppigen Aufschlag ausgekauft.

Doch das ist Wunschdenken. Wahrscheinlich sind die SNB-Valoren selbst auf dem aktuellen Kursniveau noch überbewertet. Bevor im Jahr 2017 die Kursfantasie um die SNB aufkam, oszillierten die SNB-Aktien über Jahrzehnte um die 1’000 CHF. Und das mit gutem Grund, denn die SNB ist keine normale Aktiengesellschaft, sondern eine spezialgesetzliche. Das Aktienrecht findet neben dem Nationalbankgesetz nur ergänzende Anwendung. Die SNB setzt die Vermögenswerte ein, um den Franken zu stabilisieren und nicht, um den Aktionärsnutzen zu optimieren. Die Gewinne der SNB sind so gesehen nicht die Folge des Einsatzes des Aktienkapitals, sondern des Notenmonopols und des damit übertragenen öffentlichen Auftrags.

Dürftige maximale Dividendenrendite

Die Einflussmöglichkeit der privaten SNB-Aktionäre ist klein – Mitbestimmungs- und Vermögensrechte sind im Vergleich zu einer traditionellen AG stark eingeschränkt. Die Stimmkraft von Privataktionären ist auf 100 Aktien beschränkt. Die Mehrheit der Positionen im Bankrat bestimmt der Bundesrat. Insgesamt liegen 80% der Stimmrechte in den Händen öffentlicher Institutionen.

Ein Dividendenwachstum wegen erfolgreicher Geschäftstätigkeit kann sich der Aktionär abschminken. Die Ausschüttung ist auf 6% des Aktienkapitals beschränkt – das sind 15 CHF Maximaldividende pro Aktie. Damit errechnet sich aktuell eine theoretische Maximaldividende von 0,3%. Was angesichts der steigenden Zinsen nicht mehr allzu attraktiv erscheint. Im Fall eines Verlustes kann die Dividende ausfallen. Die SNB kann in ihrer Rechtsform auch nicht Konkurs gehen, aber selbst bei einer Liquidation würden die Aktionäre leer ausgehen.

SNB-Aktie: Ein illiquider Nebenwert

Die Gewinnverteilung erfolgt nicht nach dem Aktienrecht, sondern ist im Nationalbankgesetz geregelt. Die Vermögen, mit welchen die SNB die Geldpolitik betreibt, fallen nicht unter die Gewinnverteilung. Aber ausserhalb der Schweiz wird das kaum verstanden. So rechnete etwa der Finanznachrichtendienst «Bloomberg» für das Geschäftsjahr 2017 jedem Titel einen Gewinn von 43’911 CHF zu und kam so auf ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 0,07.

Die SNB-Aktien sind trotz des Milliardenumfangs vom Verlust (und in den Vorjahren vom Gewinn) an der Börse ein wenig liquider Nebenwert. Wegen der tiefen Handelsumsätze reagiert der Wert heftig auf Gerüchte und falsche Empfehlungen – sowohl nach oben als auch nach unten. Nachhaltig sind die extremen Kursbewegungen aber nie. Weil die SNB nicht Konkurs gehen kann, werden die Aktien oft mit einer ewig laufenden Bundesanleihe verglichen. Mit der aktuellen Rendite (2022 wahrscheinlich von 0%) und einer viel höheren Volatilität als «Eidgenossen» schneiden die Valoren in diesem Vergleich jedoch nicht sonderlich gut ab.

Sowohl die Kantone …

Die Aktionäre, die auf den grossen Reibach mit SNB-Aktien gehofft haben, stehen mit ihrer Fehleinschätzung nicht allein da. Auch die öffentliche Hand scheint die SNB falsch einzuschätzen. Die Finanzdirektoren der Kantone scheinen die «Rentabilität» der SNB nur schwer einschätzen zu können. Gemäss der Ausschüttungsvereinbarung aus dem Jahr 2021 schüttet die Nationalbank bei 10 Mrd. CHF Bilanzgewinn maximal 2 Mrd. CHF an Bund und Kantone aus. Mit jeden zusätzlichen 10 Mrd. CHF erhöht sich die Ausschüttung um 1 Mrd. CHF – das bis 40 Mrd. CHF. Für alle Gewinne über 40 Mrd. CHF werden 6 Mrd. CHF verteilt. Die Beträge für die Kantone werden anhand der Bevölkerungszahl berechnet.

Nur wenige Kantone wie Zug und Schaffhausen haben jedoch für das Jahr 2023 keinen SNB-Geldsegen aus dem vergangenen Geschäftsjahr budgetiert. Obwohl sich das Manko über das ganze Jahr 2022 abgezeichnet hatte, verschlossen die übrigen Kantone die Augen vor der Realität und kalkulierten wie in den Jahren zuvor mit der «Gratis-Teilfinanzierung». Bereits per Ende Juni 2022 summierte sich das Nationalbank-Manko jedoch auf 95 Mrd. CHF. Wider besseres Wissen budgetierte der Grosse Rat von Bern noch im Dezember eine SNB-Ausschüttung von 320 Mio. CHF. In den beiden Vorjahren waren jeweils fast eine halbe Milliarde Franken von der SNB zum Kanton geflossen, der einer der grössten Profiteure des interkantonalen Finanzausgleichs ist.

… als auch der Bund budgetiert imaginäre Gewinne

Aber wieso sollen die Kantone schlauer als der Bund agieren? Das Bundesbudget für das laufende Jahr wurde noch im Dezember 2022 mit einer Nationalbank-Ausschüttung von 670 Mio. CHF verabschiedet. Auf diese Art schaffte man es, die Vorgaben für die Schuldenbremse zu erfüllen. Auf Bundesebene dürften ab dem nächsten Jahr strukturelle Defizite in Milliardenhöhe anfallen, wenn die neue Finanzministerin Karin Keller-Suter nicht umgehend substanzielle Einsparungen vornehmen kann.

Aktienkurs SNB Aktie
Berg- und Talfahrt des SNB-Titels, doch ohne grosse Folgen, denn die SNB ist keine normale Aktiengesellschaft, sondern eine spezialgesetzliche. Chart: six-group.com

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