Klingelnberg: Kraftvoller Turnaround dank neuer Anwendungen

Teilnehmer der Energieträger-Transformation

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Klingelnberg Hybrid Metrology ist eine Kombination aus taktiler und optischer Messtechnik. Bildquelle: klingelnberg.com

Es gibt sie, die Dinosaurier der Maschinenbaubranche, die sich auf etablierte Technologie konzentrieren und dabei ihr Bestes geben, hoffentlich auch zur Freude ihrer Aktionäre. Der tiefgreifende Wandel insbesondere in der Energieerzeugung und in der Wahl des Energieträgers unserer Mobilität von heute und morgen führt jedoch bereits dieser Tage zu schrumpfenden Märkten in genau jenen Technologien, die man heute etabliert nennt – und in 20 Jahren vielleicht «museumsreif». Und es werden spezielle Investoren an solchen Aktien interessiert sein, die, wie Warren Buffett es einmal so treffend ausdrückte, den letzten Zug aus einem weggeworfenen Zigarrenstummel nehmen möchten.

Es gibt auch die andere Seite des Kapitalmarktes, auf der Akteure aus dem Nichts hippe Investmentthemen mit (durchaus nachvollziehbar!) gigantischem Potenzial besetzen und die Märkte der Zukunft nebst einen Anteil an deren Wertschöpfung für ihren heutigen Börsenwert reklamieren –  gewiss fällt jedem mindestens ein passendes Beispiel ein. Maschinenbau an sich gehört eher nicht zu den Geschäftstätigkeiten, die die wachsende Gemeinde der Neobroker-App-Anwender zu elektrisieren vermag.

Die weite Übergangszone zwischen diesen beiden Polen ist mit Unternehmen besetzt, die sich mehr oder weniger schnell auf die neuen Anforderungen einstellen können (und wollen) und entsprechend mehr oder weniger gute Chancen haben, auch in 20 Jahren noch als Publikumsgesellschaft an der Börse relevant zu sein. Man muss hierbei unterscheiden, ob beifallheischendes Greenwashing versucht wird («Unsere Duft-Wunderbäumchen kann man auch ins E-Auto hängen, also sind wir Teil dieses riesigen Wachstumsmarktes…») oder tatsächlich an der Evolution teilgenommen wird. Der heutige Analysekandidat tut genau das, nämlich sein Produktangebot passend zur Kundennachfrage adjustieren, ohne die angestammten Geschäftsfelder über Bord zu werfen.

Kein «Sand im Getriebe» – im Gegenteil!

Das traditionsreiche Maschinenbauunternehmen Klingelnberg mit Sitz in Zürich, zwei Produktionsstandorten in Deutschland sowie Vertriebs- und Serviceeinheiten in zehn weiteren Ländern weltweit gilt als markt- und innovationsführend bei Maschinen zur Bearbeitung und Kontrolle von Zahnrädern. Solche Zahnräder werden in Getrieben und sonstigen Kraftübertragungen aller Art eingesetzt. Die Firmengruppe tritt unter den Marken Oerlikon (für Kegelrad-Technologie), Höfler (für Stirnrad-Technologie) und Klingelnberg (für Präzisionsmesszentren, Antriebstechnik und Lohnverzahnung) auf.

Sowohl auf der Seite der Produkte agiert das Unternehmen als integrierter Systemanbieter als auch bei den mit einem effizienten Einsatz verbundenen Dienstleistungen: Inbetriebnahme, Wartungsverträge, Produktionsbegleitung, Kalibrierung, Ersatzteilversorgung und Reparatur, Generalüberholung und technisches Update älterer Anlagen, Schleifservice für zugehörige Werkzeuge, aber auch Datenmanagement und Schulungen. Eine über 200 Mitarbeiter starke Forschungs- und Entwicklungsabteilung sorgt dafür, dass Kundenbedürfnisse laufend ihren Niederschlag in neuen Anwendungen, Produkten und Services finden. Insgesamt beschäftigte die Gruppe zuletzt 1’217 Personen.

Neue Verzahnungstechnologien für neue Kundenanforderungen

Die Anwendungen der Verzahnungstechnologie von Klingelnberg reichen von Antrieben für Automobile und Nutzfahrzeuge, Bahngetriebe, Bergbau/Fördertechnik, Industriegetriebe, Landwirtschaft, Luftfahrt, maritime Antriebstechnik, Mühlengetriebe, Nutzfahrzeuge, Öl- und Gasindustrie, Rennsport-Getriebe, bis zu Roboterindustrie, E-Mobilität und Windkraft sowie andere erneuerbare Energien. Teile des Kundenportfolios sind im beständigen Wandel: Auch E-Autos brauchen Zahnräder, wenn auch nicht im klassischen Getriebe.

Alternative Verbrennungsmotoren, die Wasserstoff, Biogas oder nicht erdölbasierte Biofuels nutzen, brauchen wiederum ähnliche Komponenten wie die vom Nachfragerückgang betroffenen Verbrenner. Wie hoch der Anteil neuer Technologien am Umsatz aktuell bereits ist, darüber hüllt sich das Unternehmen in Schweigen. Zumindest sei er «wesentlich» und überkompensiere den Wegfall klassischer Kunden – und das bei gleichzeitig erfreulich höheren Margen. Leider verstecken sich die zukunftsträchtigen Technologien in sämtlichen Segmenten mit jeweils unterschiedlichem Gewicht.

Strukturwandel verpasst…

Wie bereits in der Vergangenheit berichtet wurde, enttäuschte Klingelnberg schon mehrfach durch überschätzte eigene Prognosen und präsentierte zwar steigende Auftragseingänge, aber sinkende Umsätze und seit 2019/20 operative Verluste, die fast 9% des Umsatzes erreichten. In Bezug auf diverse externe Effekte mag dies teilweise nachvollziehbar sein: Weder eine Covid-Pandemie mit in der Folge unterbrochenen Lieferketten noch die Überflutung des Produktions- und Logistikstandortes Hückeswagen oder die Ukraine-Krise gehören zu den betriebsüblich einkalkulierten Szenarien.

Doch abgesehen davon warf es die Frage auf, ob die Anpassung an sich verändernde Märkte noch rechtzeitig gelingt. Während im Geschäftsjahr 2021/22 der Umsatz konstant blieb, die Flutschäden repariert und die betroffenen Betriebsstätten neu aufgebaut und bedeutend erweitert wurden, scheint das erste Halbjahr des Jahres 2022/23 mehr als nur eine Rückkehr zur Normalität und den Abbau aufgestauter Kundenaufträge abzubilden. Nach Regionen verteilen sich die Umsätze des Unternehmens zu 40% auf EMEA mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Deutschland und die Schweiz, 42% auf APAC und 18% USA, wo Klingelnberg im Wettbewerb mit dem starken, dort beheimateten Konkurrenten Gleason-Pfauter steht.

…oder doch noch die «richtigen Produkte zur richtigen Zeit»?

Wegen der Covid-Pandemie froren eine Reihe von Wirtschaftszweigen ihre Investitionen weitgehend ein. Solche Nachholeffekte in der Luftfahrtindustrie, der Rohstoffgewinnung und im Schiffbau sorgen nun ebenso für volle Auftragsbücher wie die im (Ukraine-)Krisenmodus befindliche Energieversorgung mit ihren allerorten hastig hochgefahrenen Kapazitäten bei Gewinnung, Transport und Verarbeitung fossiler Energieträger. Gleichzeitig treffen neue, innovative Entwicklungen des Hauses, wie z.B. das Präzisionsmesszentrum für bis zu 1’520 mm Durchmesser grosse und 8’000 kg schwere Zahnräder für den Einsatz in Windenergieanlagen auf starke Nachfrage.

Namentlich China trage zum starken Wachstum derjenigen Unternehmensbereiche bei, die Produkte für regenerative Energiegewinnung anbieten. Zusätzlich zeigen neu gewonnene Referenzprojekte aus dem Bereich E-Mobility, dass Klingelnberg die passenden Lösungen parat hat. Per September 2022 entsprach der rekordhohe Auftragsbestand mit insgesamt 286 Mio. Euro dem 1.8-fachen der Umsatzerlöse der beiden vorgehenden, vollen Geschäftsjahre. Nimmt man den um 150% gestiegenen Umsatz der sechs Monate April-September 2022 als Basis, so würde alleine der vorhandene Orderbestand die Auslastung für mehr als ein Jahr sicherstellen.

Wie zukunftsfähig sind Zahnradschleif- und prüfmaschinen?

Grundsätzlich ist es einem Getriebe egal, woraus die Kraft stammt, die es überträgt. Mit Konstruktionen gemäss dem aktuellen Stand der Technik wird die Effizienz der Kraftübertragung verbessert und wertvolle Energie (egal aus welcher Quelle) eingespart. Wo ein Austausch des Energieträgers derzeit auf kurze Sicht noch nicht sinnvoll erscheint, kann energieeffizientes Design zumindest bis dahin die Nebenwirkungen teilweise eindämmen. Technologisch erscheint dies anspruchsvoll und toleranzsensibel – also durchaus Hightech. Lange, wartungsarme Laufzeiten der Bauteile sorgen ebenso für Nachhaltigkeit in Form von Ressourcenschonung wie die Überholung und Modernisierung älterer Anlagen mit moderner Sensorik und Elektronik.

Dank des schnell wachsenden Bedarfs nach E-Mobility kann Klingelnberg einerseits neue Kunden z.B. unter den E-Fahrzeugzulieferern gewinnen, andererseits benötigen Bergbauunternehmen für die Gewinnung des für die Energiewende nötigen Lithiums, Kupfers und Cobalts eine Menge präzise hergestellter und geprüfter Zahnräder. Seinen strategischen Fokus hat Klingelnberg auf den Sektor nachhaltiger Energiegewinnung und E-Mobility gelegt, bleibe aber gleichwohl Lieferant der Zulieferindustrie klassischer Verbrennertechnologien.

Bilanzielle Reserven deutlich verringert

46 Mio. Euro kumulierte operative Verluste der letzten drei vollen Geschäftsjahre, 25 Mio. Euro nicht abgesicherte Flutschäden und die Erweiterung des Standortes Hückeswagen haben ihre Spuren in der Eigenkapitalposition hinterlassen. Per September 2022 betrug sie gegenüber dem letzten Abschlussdatum stabile 109,4 Mio. Euro oder 39,3% der Bilanzsumme. Diese Kennzahl war zu Zeiten des Börsengangs mit ca. 60% bedeutend komfortabler. Selbst die vorteilhaften Halbjahreszahlen mit den gegenüber dem Vorjahreszeitraum 2.5-fachen Umsatzerlösen reichten nicht aus, um das Periodenergebnis wieder in die Gewinnzone zu hieven.

Einer der Gründe mag das abweichende Geschäftsjahr sein, das grob für eine «ein Drittel zu zwei Drittel»-Verteilung der Umsätze auf die Geschäftsjahreshälften sorgt. Eine Prognose für den Verlauf des aktuellen Geschäftsjahres ist daher von grosser Unsicherheit belastet – von weiteren Geschäftsjahren ganz zu schweigen. Vertraut man auf die vom Unternehmen selbst für das Geschäftsjahr 2022/23 in Aussicht gestellte EBIT-Marge von «6,0% plus x», so würde eine massive Ergebnisverbesserung ins Haus stehen.

Kursverlauf der Klingelnberg-Aktie seit IPO 2018. Chart: six-group.com

Seit dem IPO der Klingelnberg-Aktie an der SIX im Sommer 2018 hatten langfristig orientierte Aktionäre nicht allzu viel Spass an ihrem Investment, denn vom damaligen Allzeithoch bei 55 CHF ging der Kurs um über 70% in die Knie. Einen besonderen Blick verdient die Aktionärsstruktur: 53,5% der 8.84 Mio. Aktien sind in Familienhand, 15,5% liegen bei Fonds, 31% in Streubesitz. Eine überraschende «Corporate action» ist nicht wahrscheinlich, die Aktionäre sitzen gemeinsam mit der Familie Klingelnberg und dem Management im selben Boot.

Suche nach Vergleichsunternehmen
  • Neben der Klingelnberg Gruppe darf das US-Unternehmen Gleason-Pfauter mit weltweit 2’200 Mitarbeitern ebenfalls als Marktführer gelten, ist jedoch seit seinem MBO in 1999 dem öffentlichen Kapitalmarkt entzogen.
  • Die im OTC-Markt gehandelte Firma Reishauer in Wallisellen konzentriert sich auf Wälzschleifmaschinen und Zubehör, mithin einen Teilbereich von Klingelnbergs Spektrum. Die Reishauer-Tochter Felsomat produziert Fertigungslinien für Bauteile von Elektromotoren, zielt also über einen anderen Pfad teilweise auf dieselben Kunden wie Klingelnberg.
  • Der mit 43’500 Mitarbeitern bedeutend grössere, japanische Wettbewerber JTEKT verkauft sein wesentlich umfangreicheres Spektrum an Produkten und Dienstleistungen unter der Marke Toyota und kommt auf einen Börsenwert von 2.3 Mrd. CHF.
  • Die börsenkotierte Firma Starrag Group in Rorschacherberg bringt es mit 178 Mio. CHF auf eine vergleichbare Marktkapitalisierung (vs. 140 Mio. CHF bei Klingelnberg) und mit 1’316 Mitarbeitern auf knapp 300 Mio. CHF Umsatz. Teile der Kundschaft beider Unternehmen überschneiden sich, die Maschinen der Starrag und ihrer zahlreichen Konzerntöchter haben jedoch breitere (oder andersherum: weniger spezialisierte) Anwendungsmöglichkeiten.
ESG-Reporting: Fehlanzeige

Neben der verbesserungswürdigen Transparenz bei der Identifikation wirtschaftlicher Effekte aus neuen versus traditionell geprägten Technologien sollte eine marktübliche Berichterstattung zu Nachhaltigkeit bzw. ESG auf der Agenda stehen. Dieser Tage erwarten Investoren und Auftraggeber in der Regel die Definition konkreter Klimaziele, Messungen der Grössen wie Scope 1, 2, 3 und die Überprüfung der Zielerreichung. Der Hinweis des Unternehmens auf seine ISO 14001-Zertifizierung bietet insoweit wenig Greifbares. Auch die Berichterstattung, dass unter Befolgung der REACH-Verordnung der Europäischen Chemikalienagentur ECHA keiner der dort als besonders besorgniserregenden Stoffe in den vom Unternehmen vertriebenen Erzeugnissen enthalten sei, erscheint als Erfüllung von Minimalanforderungen.

Umso dankbarer muss man für den ersten Schritt in Form der Teilnahme an der «Blue Competence»-Initiative des VDMA sein, mit dem sich Klingelnberg zur Nachhaltigkeit im Maschinen‐ und Anlagenbau in Form der Einhaltung des Regelwerkes des Verbandes bezüglich Ökologie, Ökonomie und soziales Handeln verpflichtet hat. Gleichzeitig ist es Ziel der VDMA-Initiative, nachhaltige Lösungen der Branche bekannt zu machen, die zu neuen Energiekonzepten, zu einem effizienten Umgang mit knappen Ressourcen oder einer Verbesserung der Lebensqualität führen.

Fazit

In den beiden Vorjahren wurden 35% bis 38% des Jahresumsatzes im ersten Geschäftshalbjahr verbucht. Unter der vorsichtigen Annahme, dass es heuer 40% sein werden und negative Überraschungen ausbleiben, rechnet sich daraus für das laufende Geschäftsjahr ein Umsatz von rund 345 Mio. EUR hoch. Die bislang nicht vom Unternehmen korrigierte Prognose der EBIT-Marge von 6% (das «plus x» behandeln wir angemessen – nämlich als ungewiss) führt zu einem analog kalkulierten EBIT von gerundet 21 Mio. EUR. Auf Basis der Vorjahreszahlen und der Annahme, dass die Zinsbelastung etwas höher und die Steuerlast dank Verlustvorträgen und neuen Investitionen etwas niedriger liegt, läge das Nettoergebnis bei ca. 15 Mio. EUR oder 1.70 CHF je Aktie. Bei einem Kurs von 16 CHF errechnet sich ein aktuelles KGV von unter zehn. Alleine bis zum Niveau der Peer Group «Maschinenbau» mit KGVs von 15-25 scheint hier deutliches Potenzial zu schlummern, von weiteren operativen Erfolgen des Unternehmens ganz abgesehen. Hier ist Raum, um einen unternehmensspezifischen Bewertungsabschlag einzurechnen.

Der hohe Auftragsbestand und gleichzeitig wachsende Auftragseingang deuten an, dass die Firma auf dem richtigen Weg ist, ihre Produkte und Dienstleistungen am Markt gefragt sind und das absehbar gut laufende Geschäftsjahr keine Ausnahme bleibt. Es bleibt offen, wie lange sich insbesondere die institutionellen Investoren mit dem Fehlen einer zeitgemässen ESG-Berichterstattung zufrieden geben oder aber der Aktie mindestens schon aus regulatorischen Gründen den Rücken kehren.

Achtung: Das geringe Handelsvolumen gebietet Disziplin bei der Wahl der Positionsgrösse und Kurslimiten.

Englische Version

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