Etienne Jornod, VRP der NZZ: «Gute Journalisten sind nicht ein Kosten-, sondern ein Erfolgsfaktor»

Nach 10 Jahren verlässt der Verwaltungsratspräsident wegen des Erreichens der statutarischen Altersgrenze das Unternehmen

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Etienne Jornod
Etienne Jornod, der altershalber nach 10 Jahren als VR-Präsident der AG für die Neue Zürcher Zeitung zurücktritt, im Gespräch mit schweizeraktien.net. Bild: schweizeraktien.net

Die Generalversammlung der AG für die Neue Zürcher Zeitung am 15. April wird sein letzter Arbeitstag in Zürich sein. Etienne Jornod, 70, wird sein Amt an seine Nachfolgerin Isabelle Welton übergeben. Der Vollblut-Unternehmer, der mit Galenica und Vifor zwei Pharma-Unternehmen zum Erfolg geführt hat, kann aber nicht einfach aufhören, er wird weitermachen, jetzt mit der Firma OM Pharma in Genf, die er mit ein paar Freunden übernommen hat.

Schweizeraktien.net traf Jornod in seinem Büro an der Falkenstrasse in Zürich, um mit ihm auf die Dekade bei der NZZ zurückzublicken, die er geprägt hat. Meilensteine wie die Schliessung der NZZ-Druckerei in Schlieren 2015, die erfolgreiche Umsetzung der Digitalstrategie, der Zusammenschluss mit AZ Medien zum gemeinsamen Joint Venture CH Media oder der Auf- und Ausbau ab 2017 der Redaktion in Berlin, die dem Unternehmen in den letzten Jahren zehntausende neue Abonnenten gebracht hat, stehen für den Erfolg unter seiner Aegide. Gleichzeitig gab es aber auch immer wieder Kritik an seiner Strategie. Sei es das Unternehmen «NZZ Österreich», das scheiterte, oder die politische Ausrichtung von «NZZ Deutschland», die vielen zu rechtslastig ist.

Im Interview äussert sich Jornod zu Erfolgen und Misserfolgen, warum für ihn einzig und allein die Publizistik zählt und wie er die Zukunft der gedruckten Zeitung sieht. Und er berichtet von seinen anfänglichen Erfahrungen als Romand und gänzlich Medienfremdem in Zürich.

Herr Jornod, vor 10 Jahren haben Sie Ihr Amt angetreten. Damals schlug Ihnen aus Zürcher Kreisen viel Skepsis entgegen. Ein Romand, einer, der noch nie was mit Medien zu tun hatte, übernimmt die Verantwortung beim publizistischen Flaggschiff der Schweiz. Wie sind Sie damit umgegangen?

Dass man einen Neuenburger, der in Bern wohnt und der nicht einmal gut Deutsch kann, zur NZZ holt, war schon allerhand. Zumindest in den Augen vieler in Zürich. Wie ich damit umgegangen bin? Für mich war es zuallererst eine unglaubliche Ehre, in die publizistische Institution der Schweiz berufen zu werden.

Um Erfolg zu haben, habe ich zunächst einmal sehr gut zugehört. Ich musste verstehen, mit welchen Problemen die NZZ konfrontiert war. Dabei zeigte sich rasch ein klares Bild: Die tägliche Auflage der NZZ war am Sinken, genauso wie die Moral der Redaktion. Immer weniger Werbung, immer weniger Auflage. Bei der «NZZ am Sonntag» hingegen traf genau das Gegenteil zu. Sie ritt auf einer Erfolgswelle, es war die Erfolgsgeschichte im Haus. Man sagte mir dort, dass die Redaktion auf keinen Fall an die Falkenstrasse ziehen wolle (Bemerkung der Redaktion: die NZZaS wurde in der Mühlebachstrasse produziert, die tägliche Ausgabe an der Falkenstrasse). Jetzt ist die NZZaS längst gut am Hauptsitz integriert. Heute ist es so, dass die Tagesausgabe sehr digital und erfolgreich ist. Und im Sonntagsmarkt zeigen sich generell ein paar Herausforderungen.

Sie fanden also ein reformierungswürdiges Haus vor?

Es gab keine klare Strategie, keine klare Vision. Im Verwaltungsrat wurde vor allem über Artikel debattiert. Deshalb holte ich nacheinander zwei CEOs zur NZZ, die beide digital-affin waren und Journalismus und Journalisten mochten. Ich bin überzeugt, dass das den Unterschied machte. Für die Geschäftsleitung und den Verwaltungsrat war klar, dass wir zwar eine starke Marke hatten, aber dass die Leute auch bereit sein müssen, dafür in die Tasche zu greifen.

«Wir mussten unabhängiger von der Werbung werden, und das ging nur über kostenpflichtige Qualitätsinhalte»

Das habe ich die letzten 10 Jahre im Haus wie ein Mantra wiederholt: Wir mussten unabhängiger von der Werbung werden, und das ging nur über kostenpflichtige Qualitätsinhalte. Die Geschäftsleitung teilt diese Einschätzung vollumfänglich, und es ist ihr in den vergangenen zehn Jahren gelungen, die Transformation in die digitale Welt konsequent voranzutreiben. Wir sind sehr erfolgreich unterwegs mit unserer Digitalstrategie und wachsen im Digitalgeschäft. Wir haben einen Start-up-Esprit geschaffen und gleichzeitig den liberalen Geist und die Qualität, für die die NZZ steht, beibehalten. Kurz: Wir haben eine Institution in ein marktorientiertes Unternehmen transformiert.

Sie sagen, Sie wollten vor allem zuhören, das sei der wichtigste Schritt zum Erfolg. Am Anfang Ihrer Amtszeit mussten Sie der Redaktion zuhören, die sich gegen eine mögliche Berufung Markus Somms als Chefredaktor aussprach. Haben Sie die grössten Fehler am Anfang Ihrer Zeit bei der NZZ gemacht?

Ich habe eine klare Haltung zum Thema Fehler: Man darf, nein, man muss sogar Fehler machen, um zu lernen, wie man es nicht machen sollte. Wenn man keine Fehlerkultur hat, kann man auch keine Fortschritte erzielen. Vielleicht habe ich in dieser Zeit Fehler gemacht, aber ich habe der Redaktion gut zugehört und die entsprechenden Schlüsse daraus gezogen. Ich wollte eine Zeitung mit Ecken und Kanten. Was ich stattdessen vorfand, war eine Zeitung, die nicht mehr wusste, wofür sie steht. Politisch nicht, und auch auf der Führungsebene der Redaktion nicht. Mal links, mal rechts – es fehlte ein klares Profil. So zumindest sahen es die kritischen Stimmen.

Kommen wir zum Positiven. Was würden Sie als die bedeutendsten Erfolge in Ihrer Amtszeit bezeichnen?

Da gab es einige wichtige Meilensteine. Erstens sicher die Schliessung der Druckerei in Schlieren 2015. Das war damals sehr mutig. Alle haben mir gesagt, ich sei verrückt. Dank diesem Entscheid konnten wir die Kosten stark flexibilisieren, und das hat uns geholfen, die Digitalisierung voranzutreiben. Eine Rückkehr zu Print allein war dadurch ausgeschlossen.

«Die Stimmung ist das Gegenteil von vor 10 Jahren. Und der Grund dafür ist, dass wir mit der Publizistik Gewinn machen»

Zweitens die Unternehmenskultur: Wenn ich heute durch die Firma gehe und die Mitarbeitenden frage, wie es ihnen geht, sagen sie durchs Band, dass sie stolz sind auf unser Unternehmen. Wir sind heute eine andere Firma. Die Stimmung ist das Gegenteil von vor 10 Jahren. Und der Grund dafür ist, dass wir mit der Publizistik Gewinn machen.

Was führte Ihrer Meinung nach dazu?

Die NZZ hat die richtigen strategischen Massnahmen getroffen: die Druckerei geschlossen, den Fokus auf die Kundinnen und Kunden gesetzt, den «Digital First»-Ansatz konsequent umgesetzt und die Internationalisierung vorangetrieben. Mit Erfolg: 80 Prozent unserer Leserschaft lesen uns heute digital.

Sie haben zusammen mit dem Österreicher Veit Dengler NZZ Österreich ins Leben gerufen. Ein Projekt, das scheiterte. War das eine gute Lehre für die folgende NZZ Deutschland?

Wir haben in Österreich nicht einmal 1% des Umsatzes investiert – und man spricht von Scheitern. Ich kann das nicht nachvollziehen. Dinge auszuprobieren, gehört dazu. Der Entscheid, in Österreich einen Testlauf zu machen, geschah auch mit Blick auf den späteren Markteintritt in Deutschland.

Das Wichtigste damals war unser Entscheid, voll auf die Publizistik und damit auf Journalistinnen und Journalisten zu setzen. Gute Journalisten sind nicht ein Kostenfaktor, sondern ein Erfolgsfaktor. Wir brauchen die Besten. Sie sind entscheidend für unseren Erfolg, auch wirtschaftlich. Qualitätsjournalismus zu verkaufen, das ist der eine Teil der Erfolgsstrategie, der andere die Digitalisierung des Journalismus. Dadurch sinken auch die Kosten. Gerade im Vergleich zur gedruckten Ausgabe, wo 50% der Kosten in Druck und Vertrieb investiert werden.

In der Schweiz können wir zwischen 200’000 und 300’000 Abonnentinnen und Abonnenten generieren. Wenn wir das Doppelte an Abonnenten wollen, ist unser Heimmarkt aber zu klein. Dafür muss man in andere Märkte gehen, eben z.B. nach Österreich oder Deutschland.

Bekanntlich sind Sie in Deutschland nicht gescheitert.

Wir schreiben im deutschen Markt tatsächlich eine Erfolgsgeschichte: Wir haben in Deutschland 40’000 Abonnenten, verdoppelten 2021 unseren Umsatz mit den digitalen Abonnements und sind weiterhin auf Wachstumskurs.

Sie haben mit Galenica und Vifor viel Erfahrung gesammelt, was Investitionen in Research & Development anbelangt. Haben Sie von diesen Erfahrungen profitiert?

In der Pharmaindustrie reden wir von 20%, die in R&D investiert werden. Bei NZZ Österreich waren es, wie gesagt, 1%. Mit dieser Investition haben wir den Erfolg der NZZ in Deutschland finanziert.

Wer heute die NZZ liest, hat oft das Gefühl, ein deutsches Medium zu konsumieren. Auch wird immer wieder Kritik daran laut, dass Sie am rechten Rand fischen, was sich insbesondere auch in den Leserkommentaren manifestiert. Wo positioniert sich die NZZ politisch in Deutschland?

Die NZZ ist definitiv kein deutsches Medium. Aber was in Deutschland passiert, ist aufgrund der Grösse des Landes und der engen Verbundenheit mit der Schweiz natürlich relevant. Fakt ist, dass wir Leserinnen und Leser in der Schweiz und in Deutschland mit anderen Inhalten und eigener Aufmachung ansprechen.

«Man darf nicht vergessen, dass es in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg keine echte Debattenkultur mehr gibt»

Man darf nicht vergessen, dass es in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg keine echte Debattenkultur mehr gibt. Die Ereignisse von damals belasten Deutschland noch immer. Jeder, der liberal-konservative Positionen bezieht, wird an den rechten Rand gestellt. Es sind vor allem unsere Mitbewerber, die uns in diese Ecke drängen. Dahinter vermute ich aber ein anderes Motiv: Da sich unser Produkt erfreulich entwickelt, geht jedes Abonnement, das bei uns abgeschlossen wird, potenziell einem anderen Medienunternehmen verloren. Die kritischen Stimmen sind zwischenzeitlich weithin verstummt.

Wir erfragen immer wieder die parteipolitische Nähe unserer Abonnenten. Nebst FDP-Mitgliedern lesen vor allem Anhänger der Grünen und CDU unsere Zeitung. Wir haben also ein klassisches bürgerliches Publikum, was zu unserer liberal-konservativen Positionierung in Deutschland passt.

Wie sehen Sie generell die Zukunft der gedruckten Tageszeitung?

Das möchte ich gerne am Beispiel von Büchern aufzeigen. Mit dem Aufkommen der elektronischen Reader hat man gedacht, dass Bücher nur noch digital gelesen werden und das gedruckte Buch verschwindet. Aber die Leute wollen weiterhin etwas, das sie in den Händen halten können. Ich bin klar der Meinung, dass es weiterhin Platz für Papierprodukte im Zeitungsbereich gibt, aber zunehmend weniger für die Tageszeitung, dafür für wöchentliche Ausgaben wie die Sonntagszeitung.

Und die Zukunft der Printprodukte aus dem Hause der NZZ?

Wir werden Print-Zeitungen produzieren, solange es ein Bedürfnis dafür gibt. Mit einem Preis von knapp 1’000 Franken für ein Jahresabo ist dies für uns auch ökonomisch attraktiv. Zusätzliches Wachstum erreichen wir aber primär über die digitalen Angebote. Die Zahlen sprechen für sich, ich habe es bereits erwähnt: 80% unserer Leserinnen und Leser lesen uns digital. Auch unsere Erfolgsgeschichte in Deutschland ist grundsätzlich digital.

Sie ziehen sich mehr und mehr aus dem Joint Venture mit CH Media zurück. Eine strategische 35%-Beteiligung wollen Sie allerdings behalten. Warum hat sich die NZZ seit Gründung dieses Joint Ventures stets aus dem operativen Geschäft herausgehalten?

Um rentabel zu sein, müssen wir uns auf unser Kerngeschäft fokussieren. Wir beobachteten damals, dass die Auflagen der regionalen Zeitungen am Sinken waren – nicht nur bei unseren Beteiligungen in St. Gallen und Luzern, sondern schweizweit. Gleichzeitig wollten wir uns auf unsere Flaggschiff-Produkte, die NZZ und die NZZaS, konzentrieren und die Digitalisierung vorantreiben. Deshalb haben wir die Initiative ergriffen, potenzielle Partner geprüft und uns am Ende für AZ Medien entschieden. Aus einem potenziell grossen Problem haben wir gemeinsam eine Erfolgsgeschichte gemacht.

Die Mittel aus dem Verkauf von 15% unserer Anteile an CH Media werden wir in erster Linie in die Redaktionen sowie die Technologie, das Marketing und die Produktentwicklung investieren. Zu einem Teil sollen aber auch unsere Aktionärinnen und Aktionäre in Form einer Sonderdividende davon profitieren. Das gibt uns Luft und ist die Basis, das Kerngeschäft weiterzuentwickeln.

Mit den Erfolgen am Lesermarkt ist auch der Aktienkurs der NZZ in den letzten drei Jahren stark angestiegen. Der Kurs hat sich von etwas über 4’000 CHF auf 7’400 CHF fast verdoppelt. Sie hinterlassen also ein bestens bestelltes Haus. Wo sehen Sie für Ihre Nachfolgerin die drängendsten Handlungsfelder?

Die NZZ verfügt über eine komfortable Eigenkapitalquote von 75% – ist also ein kerngesundes Unternehmen, auf das die Mitarbeitenden stolz sind.

Wir sind kein kotiertes Unternehmen, unsere Aktien werden auf verschiedenen Handelsplattformen für nicht kotierte Aktien gehandelt. Ich wünsche mir, dass uns die Aktionärinnen und Aktionäre treu bleiben und ihre Investition in unser Unternehmen als eine langfristige Anlage mit einer konstanten Dividenden-Rendite – ähnlich wie eine Obligation – begreifen. Und ich wünsche mir für die NZZ, dass sie nie an die Börse geht. Denn dann können erfahrungsgemäss die Aktivisten kommen, kurzfristig interessierte Anleger, die nur ihrem egoistischen Interesse frönen.

Es ist die Aufgabe der jetzigen Aktionärinnen und Aktionäre und des Verwaltungsrats, die Zukunft der Zeitung in dieser Hinsicht zu sichern. Damit diese Schweizer Institution auch in Zukunft Bestand hat.

Welches Motto half und hilft Ihnen, mit der Verantwortung für Unternehmen und Angestellte umzugehen?

Ehrlichkeit, Transparenz, Kundenorientierung und Loyalität. Diese Grundsätze sind mir im Zusammenhang mit der Verantwortung für ein Unternehmen und auch in Bezug auf die Mitarbeitenden wichtig.

«Ehrlichkeit, Transparenz, Kundenorientierung und Loyalität. Diese Grundsätze sind mir wichtig»

Man weiss nie, was als nächstes kommt. Krieg, Pandemie, steigende Zinsen und Inflation, das können wir nicht beeinflussen. Eine ehrliche, langfristige und kundenorientierte Strategie hingegen können wir anstreben und umsetzen.

Kommen wir zum Schluss. Auch mit 70 Jahren sind Sie immer noch ein rastloser Unternehmer. Wie sieht Ihre Zukunft nach der NZZ aus?

Der letzte Tag für mich bei der NZZ wird der 15. April sein, die GV. Danach ziehe ich mich zurück und übergebe die Führung mit grosser Gelassenheit in neue Hände, weil ich überzeugt bin, dass wir mit Isabelle Welton eine ausgezeichnete Nachfolgerin gefunden haben.

Ganz kann ich es aber doch nicht lassen. Bei Galenica und Vifor Pharma bin ich weiterhin als Ehrenpräsident tätig, jedoch ohne Mandat. Bei der Genfer Biotech-Firma OM Pharma, die 500 Mitarbeitende umfasst, bin ich Hauptaktionär und exekutiver Verwaltungsratspräsident. Sie sehen: Ich fühle mich in bester Form und habe das Bedürfnis, weiter unternehmerisch tätig zu sein.

Herr Jornod, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview führten Tobias Wolff und Björn Zern.

 

 

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