Im ersten Quartal ging die Aktivität an den Primärmarkten rund um den Globus deutlich zurück. 199 Börsengänge entsprechen einem Rückgang um 41%, das Volumen von 13.1 Mrd. USD liegt gar um 74% unter dem Vorjahresquartal, so der Quartalsbericht zum globalen IPO-Markt von EY. Doch nun locken die IPOs der seit langer Zeit erwarteten Einhörner die Investoren erneut.
Die schwache Börsenperformance im vierten Quartal 2018, die sich zuspitzende Situation beim Brexit und die Spannungen im Handelsklima führten Anfang 2019 zu einer starken Zurückhaltung bei den Emittenten. Unverändert bleibt die Region Asien-Pazifik allerdings im Zentrum der Primärmarktaktivität mit 63% der IPOs und 64% der Emissionserträge. Gegenüber dem Vorjahresquartal verzeichnete jedoch auch Asien-Pazifik einen Rückgang um 24% bei der Anzahl und 30% beim Volumen.
Weltweiter Dämpfer für IPOs
Demgegenüber fielen die Rückgänge in der EMEIA-Region (Europa, Mittlerer Osten, Indien, Afrika) mit 65% bei der Anzahl und 93% beim Volumen kräftiger aus. In Amerika fiel die Bilanz kaum besser aus, die Anzahl der IPOs kollabierte um 44%, das Volumen um 83%. Der Hauptgrund war der sogenannte „Government Shut-down“ über den Jahreswechsel in den USA, der bisher längste der Geschichte. Unter anderem konnte die SEC deshalb die Börsenanträge nicht bearbeiten.
Levi Strauss mit erfolgreichem Börsengang
Healthcare und Technologie als Industrien führten in der Statistik mit Emissionserträgen von jeweils 2.1 Mrd. USD in der Branchenbetrachtung. Die aktivsten Börsen waren Hongkong mit 35 IPOs und Emissionserträgen von 2.7 Mrd. USD und Nasdaq mit 19 IPOs und Erträgen von 2.5 Mrd. USD. Der wohl bekannteste Börsendebütant war der Jeanshersteller Levi Strauss, der mit Emissionserträgen von 550 Mio. USD gleichzeitig das drittgrösste IPO des ersten Quartals absolvierte. Die Aktie eröffnete deutlich über dem Emissionspreis, gefolgt von einem Kursfeuerwerk.
Hoffnungsträger Unicorns und Decacorns
Doch alle Hoffnung und die ganze Konzentration richten sich nun auf die Flut von Einhörnern, die an den Markt drängen. Laut Financial Times sind 300 Unicorns in den Startlöchern, die bei ihren IPOs 50 Mrd. USD Emissionserträge erzielen wollen! Den Anfang machte schon Ende März die Nummer 2 im Ride-Sharing, Lyft. Der Emissionspreis betrug 72 USD, der Höchstkurs lag bei 88.60 USD; aktuell bewegt sich die Aktie bei 61 USD, rund 15% unter dem Emissionspreis, die Market Cap ist auf 17 Mrd. USD abgerutscht. Auch Uber, der ungleich grössere Konkurrent von Lyft, hat nun den Börsengang angekündigt.
Diese typischen Unicorns wurden von der Venture Capital Industrie aggressiv mit privatem Kapital versorgt und zu ebenso aggressivem Wachstum forciert. Lyft erreichte 2018 Umsätze von 2.2 Mrd. USD und Verluste von 911 Mio. USD. Der Umsatz von Uber lag 2018 bei 11.3 Mrd. USD, und die operativen Verluste beliefen sich auf 3 Mrd. USD. Wann die Gewinnschwelle überschritten werden soll, bleibt bei beiden offen. CNBC berichtete zuletzt über ein abgeschwächtes Wachstum in dem Sektor. Uber schreibt in den bei der SEC eingereichten Unterlagen, dass das Unternehmen „womöglich keine Profitabilität erreichen werde“.
Je höher die Verluste, desto höher die Bewertung
Ein weiterer konkreter IPO-Kandidat ist Pinterest aus dem Bereich Social Media. Hier stehen 756 Mio. USD Jahresumsatz „nur“ 39 Mio. USD Verlust gegenüber. Weiterhin wird das IPO von WeWork erwartet. Das Unternehmen ist im Bereich Office-Sharing tätig und schaffte es im dritten Quartal 2018, mit 497 Mio. USD Verlust sogar den Umsatz von 482 Mio. USD zu übertrumpfen. Bei 2 Mrd. USD Jahresumsatz liegen die erwarteten Verluste etwa gleichauf. Auch die Datenanalysefirma Palantir wird an der Börse erwartet. Obwohl der Jahresumsatz gerade mal die 1-Milliarden-USD-Hürde genommen hat und noch Verluste verzeichnet werden, stehen Bewertungsvorstellungen bis zu 40 Mrd. USD im Raum, wie übrigens auch bei WeWork.
KUV 20 – wenn es die Anleger kaufen
Bezogen auf die genannten IPO-Kandidaten aus dem Universum der Unicorns und Decacorns (vorbörsliche Bewertung von mehr als 10 Mrd. USD) lassen sich keine KGV errechnen, denn keines der Unternehmen erzielt Gewinne. Uber wurde 2018 bei einer privaten Finanzierungsrunde mit 62 Mrd. USD bewertet. Geht man nach dem erfolgreichen IPO des Wettbewerbers Lyft von einer Bewertung von bis zu 100 Mrd. USD aus, so entspricht das einem KUV von 8 bis 9. Zunächst stand sogar eine IPO-Bewertung von 120 Mrd. USD im Raum. Bei Lyft und Pinterest liegt das (erwartete) KUV 2018 bei über 10, bei WeWork könnte die Bewertung sogar beim 20-fachen Umsatz liegen. Ein positives Beispiel liefert allerdings das eben vollzogene IPO von PagerDuty, trotz ambitioniertem Pricing schoss die Aktie am ersten Handelstag um 60% in die Höhe.
Erinnerungen an die letzte Blase werden wach
Die Bewertungskennziffern der Einhörner machen zwar schwindlig, sind aber scheinbar derzeit am US-Markt durchsetzbar. Viele Investoren fühlen sich jedoch zurecht an die letzte derartige Blase in den Jahren 1998-2001 erinnert. Viele der Börsendebütanten aus dieser Zeit sind sang- und klanglos untergegangen und haben ihren Aktionären schwere Verluste beschert. Gut begründet ist allerdings auch die Aussage, dass Highflyer wie Amazon, Google und später Facebook unter den Börsendebütanten waren.
Wunsch und Wirklichkeit
Bedenkt man allerdings, wie Aktien von Unternehmen, die Wachstum über Gewinn stellen, wie beispielsweise Zur Rose oder ASmallWorld, an der Schweizer Börse nach einer schwachen Performance bewertet werden, so darf bezweifelt werden, dass die „verlustträchtigen“ Unicorn-IPOs viel Interesse bei Schweizer Anlegern generieren werden.
Ausnahme Airbnb
Die Ausnahme könnte jedoch Airbnb werden, das einzige Decacorn, dem der Sprung in die Gewinnzone zu gelingen scheint. Sollten jedoch die geplanten IPOs in den USA gelingen, so dürften auch Unicorns aus der Schweiz, Deutschland und vor allem China ihre Börsenpläne beschleunigt umsetzen. Denn noch immer dauert der Anlagenotstand fort. Rationale Bedenken werden, so lehrt die Börsengeschichte, angesichts schneller und hoher Gewinne regelmässig von Gier oder, neudeutsch, FOMO = Fear of missing out beiseite gewischt.
Medacta und Stadler Rail ohne Kapitalerhöhung
Das ist auch einer der Gründe, warum sowohl Venture Capital Gesellschaften als auch Familiengesellschaften jetzt ihr Investment monetarisieren wollen, denn höhere Bewertungen sind kaum zu erwarten. In der Schweiz fällt auf, dass beide Börsengänge – Medacta und Stadler Rail – jeweils ohne Kapitalerhöhung abliefen, das heisst, die Familiengesellschafter verkaufen einen Teil ihrer Beteiligung über die Börse an institutionelle und private Anleger, und das zu sehr guten Preisen. Medacta wurde beim IPO mit 2 Mrd. CHF bewertet, Stadler Rail mit 3.8 Mrd. CHF. Die Aktie von Stadler eröffnete den ersten Handelstag mit 42 CHF, ein Zeichnungsgewinn von 10%.
Perspektiven des Schweizer Primärmarkts
Beide IPOs an der SIX fallen bereits ins zweite Quartal, im ersten fand kein Börsengang statt. Stadler Rail ist bislang der grösste Börsengang des Jahres in Europa. Ein weiterer Neuzugang an der SIX ist Alcon, die von Novartis abgespaltete bisherige Tochtergesellschaft im Bereich Augenheilkunde. Entgegen den weithin verhaltenen Erwartungen glänzte die Aktie an den ersten Handelstagen mit einer starken Performance. Wie die ZKB in ihrem Quartalsbericht zum IPO-Markt schreibt, sind weitere neue Börsenkandidaten für die SIX aufgetaucht. Metall Zug prüft den Börsengang für die Tochter V-Zug, allerdings ist ein IPO nicht kurzfristig zu erwarten. Nicht vor 2021 könnte auch der Börsengang von RUAG International als Luft- und Raumfahrtunternehmen erfolgen, nachdem die sonstigen Aktivitäten in einer anderen Gesellschaft gebündelt worden sind. Der Bundesrat hatte der Trennung zugestimmt, und der RUAG-Verwaltungsrat hat keine Einwände gegen die Privatisierung.
Das nächste Mega-IPO
Eher kurzfristig ist dagegen mit dem IPO von SoftwareOne zu rechnen, wie Reuters berichtete. Der 25%-Aktionär KKR will das Börsenklima zum Teilausstieg nutzen. SoftwareOne sitzt in Stans und beschäftigt nach der Übernahme der deutschen Comparex im vergangenen Jahr 5’500 Mitarbeiter. Die IPO-Bewertung dürfte bei mehreren Mrd. CHF liegen.