Medacta: Absehbares Kurs-Debakel wirft Fragen auf

Korrekturbedarf durch zu hohe IPO-Bewertung und zu hohe Erwartungen

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Das IPO von Medacta im Frühjahr folgte einem detaillierten und straffen Zeitplan. Hohe Wachstumsraten sowie innovative kostensenkende Produkte und Verfahren prägten das Bild des IPO-Kandidaten in der Öffentlichkeit. Nur die exklusivsten Banken begleiteten den ersten Börsengang des Jahres in der Schweiz. Hoch waren die Erwartungen – und tief ist nun der Fall!

Bereits die Titelzeile der ersten Evaluierung auf schweizeraktien.net vom 26. März 2019 lautete: „Bleibt für Erstzeichner noch Kursfantasie?“ Am 11. März hatte das in der Medizintechnik tätige Unternehmen erstmals die Börsenpläne konkretisiert und das zweite Quartal als Zeitraum für das IPO benannt. Abgesehen von Expertenkreisen aus den Bereichen Hüft-, Knie- und Schultergelenkoperationen war Medacta nahezu gänzlich unbekannt. Bereits 11 Tage später wurde das IPO konkret und die Zeichnungsfrist eröffnet. Erster Handelstag war dann der 4. April.

Erstes IPO des Jahres 2019

Zugeteilt wurde die schnell überzeichnete Aktie zu 96 CHF, die Bookbuilding-Spanne hatte von 88 CHF bis 104 CHF gereicht. Es handelte sich ausschliesslich um eine Umplatzierung bestehender Aktien. Der Emissionsertrag floss abzüglich der IPO- und Beratungskosten vollständig dem vorherigen 100%-Aktionär zu, der Gründerfamilie Siccardi. Auf Basis des Emissionspreises von 96 CHF errechnete sich eine Börsenbewertung von 1.9 Mrd. CHF. Tatsächlich wurde der Greenshoe nur etwa zur Hälfte ausgeübt, platziert wurden somit 6.14 Mio. Aktien im Gegenwert von 589 Mio. CHF. Der Free Float beläuft sich somit auf 30,7%.

Kursverlauf der Medacta-Aktie seit dem IPO. Quelle: six-group.com

Stützungskäufe

Der erste Kurs am 4. April lag mit über 104 CHF zunächst über dem Emissionspreis, doch das sollte zugleich auch der höchste bisher erreichte Kurs sein. Wie inzwischen bekannt ist, fanden in den ersten Tagen an der Börse jedoch umfangreiche Stützungskäufe durch den „Stabilisation Agent“ Credit Suisse statt.  Zusammen mit Morgan Stanley war CS „Global Coordinator“ des IPO.

Abwärtstendenz der Aktie

Trotz der „Buy-Ratings“ der beiden emissionsbegleitenden Top-Investmentbanken sackte der Kurs von Medacta jedoch schon kurz nach dem IPO in den 80er-Bereich ab und bewegte sich danach bis Anfang Dezember in der Kursbandbreite zwischen 78 CHF und 90 CHF. Doch am 6. Dezember meldete die Gesellschaft plötzlich, dass die Umsatzerwartungen zurückgeschraubt werden müssen. Statt bisher 13%-17% Umsatzwachstum in 2019 rechnet Medacta nun nur noch mit 10%-12%. Als Grund wird eine Nachfrageabschwächung in den USA und weiteren Märkten genannt. Die adjustierte EBITDA-Marge wird als Folge dessen mit 30% statt bislang 32% erwartet.

Die Aktie stürzte daraufhin von 88 CHF um über 20% auf 67.70 CHF im Tief. Prompt senkten auch die Analysten der Konsortialbanken ihre Kursziele. Und plötzlich sehen auch sie Risiken und kritisieren „die mangelnde Transparenz der Wachstumsaussichten“, wie Morgan Stanley, oder nennen Preiswettbewerb, Grössennachteile, Regulierungs- und Qualitätsfragen“ als Risikofaktoren, wie bei CS.

Plausibilitätsfrage

Als kritischer Anleger oder Teilnehmer des Kapitalmarktes stellen sich angesichts des „Falles“ Medacta gleich mehrere Fragen. Ist die Wachstumsabschwächung wirklich erst so spät im Jahr erkennbar gewesen und, damit zusammenhängend, ist das Ausmass der Korrektur angemessen? Bei dem Vertrieb über Distributoren in den USA und anderen Märkten sind Wachstumsprognosen nicht selten als systematisches Risiko zu hoch angesetzt, um die hohen Erwartungen nicht zu enttäuschen. Eine kleine Verzögerung, gezielte Werbe- oder Abwerbungskampagnen der Konkurrenten, regulatorische Hürden und dergleichen mehr können eine Expansion in einem fremden Markt über Dritte durchaus vorübergehend und manchmal dauerhaft bremsen. Das ist plausibel. Wenn Medacta wie bisher entschlossen die Erschliessung neuer Märkte vorantreibt, notfalls mit neuen Partnern oder auch in den USA in Eigenregie, dürfte die aktuelle Nachfrageschwäche in der längerfristigen Betrachtung nur ein Knick sein.

Ambitionierte IPO-Bewertung als Warnsignal

Die Ursache für den plötzlichen Kursrutsch dürfte dagegen in der von Anfang an überzogenen Bewertung zu finden sein. Die finanzanalytischen Kennziffern zum IPO-Preis lagen zum Teil beim Doppelten derjenigen des Branchenprimus Stryker. Acht Monate weiter liegt die Stryker-Aktie um gut 10% unter dem zwischenzeitlich erreichten neuen Hoch, aber immerhin um 2% bis 3% über dem Kurs von Anfang April. Die neuen Medacta-Aktionäre haben einen optimierten Verkaufspreis bezahlt, der schon viel zukünftiges Wachstum vorwegnahm. Die Aktienverkäufe und der Kurssturz scheinen primär auf Enttäuschung zurückzugehen. Allerdings kann diesen Anlegern die Wahrheit nicht vorenthalten werden, dass vor der Enttäuschung immer erst einmal eine Täuschung steht. Seine Täuschung, denn die Risiken waren durchaus bekannt.

Vergleich der Kursentwicklung von Stryker (blaue Linie) und Medacta seit dem IPO des Tessiner Unternehmens am 4.4.2019. Quelle: money-net.ch

Die Rolle der Banken

Die zweite Frage betrifft die opportunistisch, wenn auch spät veränderten Einschätzungen der Analysten der involvierten Banken – nach dem Kurssturz. Es erscheint schwer zu glauben, dass die Analysten die Risiken erst erkennen, nachdem sie sich bereits manifestiert haben. Die „Grössennachteile“ oder die „mangelnde Transparenz der Wachstumsaussichten“ waren auch schon vor Dezember erkennbar. Vollmundig klangen dagegen die Einschätzungen zum Börsengang und auch danach. Dabei sollten die Aktien-Analysen ja unabhängig von den Interessen der Primärmarktabteilungen erstellt sein.

Vermeidbare Verluste

Die dritte Frage betrifft das Anlegerverhalten. Medacta ist ein spannendes Unternehmen, das sich mit Innovationen erfolgreich einen Marktanteil zwischen den vier global dominierenden Konzernen erobert hat. Gerade darin liegen aber, ganz abgesehen von unternehmensspezifischen Risiken, auch diverse Markt- und Wettbewerbsrisiken. Hohe Wachstumsraten über längere Zeiträume aufrechtzuerhalten, gelingt nur wenigen Unternehmen. Die Wahrscheinlichkeit für Enttäuschungen war daher nicht gering. Und dies umso mehr, als die IPO-Bewertung und damit auch die Erwartungen bereits sehr hoch angesiedelt waren. Indizien für eine unterdurchschnittliche Aktienkursentwicklung waren die Preisoptimierung aus Verkäufersicht beim Börsengang sowie die hochgeschraubten Erwartungen, die nun nicht erfüllt werden können. Smarte börsenkotierte Unternehmen halten die Erwartungen dagegen stets so niedrig, dass sie übertroffen werden, was an der Börse in aller Regel mit steigenden Kursen belohnt wird.

Fazit

Dem Unternehmen ist kein Vorwurf zu machen, die Nachfrage kann sich in einzelnen Märkten, abhängig von Wettbewerb, Preisgestaltung, Marketing und weiteren Faktoren, durchaus abschwächen – das sind die unternehmerischen Risiken. Noch im Halbjahresbericht, der am 3. September veröffentlicht wurde, war der Nachfrageknick nicht erkennbar. Wer jedoch auf hohem Bewertungsniveau einsteigt, ist plötzlich auftauchenden negativen Überraschungen ausgeliefert, die sich umso heftiger einstellen, je höher der Konsens der „Sicherheit“ bei den Investoren zuvor ausgeprägt war. Die Lektion besteht darin zu erkennen, dass bei IPOs unterschiedliche Motive und Ziele für Verkäufer-Altaktionäre, Banken als Dienstleister und Investoren als Aktienkäufer im Spiel sind. Nicht immer geht die Gleichung auf!

Betroffen sind private wie institutionelle Anleger gleichermassen. Noch Mitte November hielten Institutionen 14% der Aktien. Und Medacta ist ja trotz der heftigen Reaktion an der Börse bei weitem nicht der schlimmste Fall. So erreichten die Aktienkurse sowohl von Medartis als auch Klingelnberg im Jahr zwei nach dem jeweiligen IPO weniger als die Hälfte der erreichten Höchstkurse. Die Hintergründe sind ähnlich! Doch das ist eine andere Geschichte.

Performance der Klingelnberg-Aktie seit dem Börsengang. Quelle: six-group.com

 

 

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