Bereits seit 2017 durchleuchtet schweizeraktien.net regelmässig die für die Schweiz wichtige Medizinaltechnik-Industrie, insbesondere deren Vertreter an der Börse. Trotz der aktuellen Korrektur an den Aktienmärkten überzeugt die langfristige Performance von Sonova, Stryker und ähnlichen Marktführern mit teilweise mehreren hundert Prozent Kursgewinn in den letzten Jahren. Bietet der aktuelle Ausverkauf bereits eine Einstiegschance?

In der letzten Woche fielen fast alle Aktien – eher mehr als weniger. Dem zuvor herrschenden „irrationalen Überschwang“ musste nun unausweichlich die Ernüchterung folgen. Wie zu erwarten war, sind Aktien von Hotel- und Restaurantketten, Fluglinien und Tourismusunternehmen international vom Ausverkauf am stärksten betroffen. Innerhalb nur einer Woche verlor American Airlines um 31,5%, Royal Caribbean Cruises um 24,2%!

Trendpersistenz

Wenn auch der Sell-out nahezu alle Aktien erfasste, so gibt es trotz Panikverkäufen doch grosse Unterschiede. Die Aktie der American Airlines befindet sich bereits seit zwei Jahren im Abwärtstrend und ist nun auf das tiefste Kursniveau der letzten fünf Jahre gefallen. Stryker als führende Medtech-Aktie verlor zwar vergangene Woche ebenfalls um 15%, allerdings von einem Rekordhoch ausgehend. Der aktuelle Kurs liegt immer noch um mehr als 100% über dem Kurs vor fünf Jahren. Der langfristige Aufwärtstrend erscheint unverändert intakt.

Kursverlauf der Stryker-Aktie in den letzten zehn Jahren. Quelle: money-net.ch
Straumann mit 17% Umsatzwachstum in 2019

Unter den Schweizer Medtech-Marktführern ragt Straumann mit einer blendenden langfristigen Performance heraus. Dennoch fiel die Aktie nun überproportional von 1’065 CHF auf 901 CHF, also etwa in gleichem Ausmass wie Stryker in den USA. Dabei hatte Straumann erst am 18. Februar hervorragende Zahlen für das Geschäftsjahr 2019 veröffentlicht. Demnach stieg der Umsatz um 17%, die Dividende soll um 0.50 CHF auf 5.75 CHF erhöht werden. Doch auch bei Straumann zeigt der Chart, dass die Aktie trotz Korrektur immer noch um 244% höher als vor fünf Jahren steht. Der langfristige Aufwärtstrend scheint ebenfalls intakt.

Kursverlauf der Straumann-Aktie seit 1999. Quelle: six-group.com
KGV nahe 45 mahnt zur Vorsicht

Allerdings lässt der langfristige Chart auch erkennen, dass selbst die Straumann-Aktie fast 10 Jahre benötigte, um nach der Finanzkrise das Hoch von 2007 wieder zu erreichen. Das sollte durchaus zu denken geben. Damals jedoch war der Marktführer noch ein Mid Cap, heute mit einer Marktkapitalisierung von über 15 Mrd. CHF schon ein Large Cap. Die Ausnahmeentwicklung der Straumann-Aktie während der letzten Jahre – ein steiler Aufwärtstrend – ist durch das Wachstumstempo und die Gewinnentwicklung durchaus fundiert. Das KGV 2019 fällt auch nach der Korrektur mit 42,5 allerdings unverändert hoch aus.

Sonova folgt langfristigem Aufwärtstrend

Ähnlich ist der Fall bei Sonova. Noch am 20. Februar markierte die Aktie mit über 258 CHF ein neues historisches Hoch. Inzwischen liegt der Kurs um mehr als 10% tiefer. Doch in der 3-Jahres-, 5-Jahres oder 20-Jahresbetrachtung stellt die aktuelle Korrektur nicht mehr als einen von zahlreichen Rücksetzern dar. Seit Ende 1997 verzeichnet die Aktie einen Wertzuwachs von über 2’100%! Auch bei Sonova ist die solide Performance der Aktie durch Wachstum und Gewinnsteigerungen untermauert. Das KGV 2018/2019 beläuft sich auf korrigierter Kursbasis dennoch auf hohe 32,4.

Trendwende bei Ypsomed

Anders liegt der Fall bei Ypsomed. Die strategische Entscheidung, eigene Systeme zu entwickeln, anstatt die anderer Hersteller zu vertreiben, hat zwar zu einem vorübergehenden Rückgang von Umsatz und Gewinn geführt, erschliesst jedoch auf längere Sicht neue Märkte. Das sollte sich auch in den Wachstumsraten und der weiteren Kursentwicklung niederschlagen. Seit Dezember ist der YpsoMate Autoinjektor in Japan auf dem Markt. Das jüngst erreichte Hoch von 160 CHF war der höchste Kurs der letzten zwei Jahre, der Aufwärtstrend seit Anfang 2019 sieht intakt aus.

Kursverlauf der Ypsomde-Aktie. Quelle: six-goup.com
Börsenneulinge enttäuschen

Weniger erbaulich ist das Kursbild bei den Börsendebütanten Medartis und Medacta. Beide Aktien waren trotz des jeweils erfolgreichen Wachstumskurses bei ihren IPOs aufgrund der zu hohen Bewertung nicht zur Zeichnung empfohlen worden. Bei Medacta wurde bereits im Dezember 2019 die Aftermarket-Performance kritisch gewürdigt. Der Kurs steht aktuell um über 20% unter dem Emissionspreis. Ende Januar hatte Medacta die vorläufigen Eckdaten des Geschäftsjahres 2019 veröffentlicht. Demnach setzt sich das Wachstum in allen Bereichen und Regionen weiterhin fort.

Medartis-Aktie stürzt um über 50% ab

Medartis ist ein Fall für sich. Obwohl der Emissionspreis im März 2018 bei 48 CHF eher im unteren Bereich der Bookbuilding-Spanne von 44 CHF bis 54 CHF festgesetzt worden war, stieg die Aktie zunächst bis September 2018 auf 84 CHF. Doch seitdem verliert die Aktie kontinuierlich. Zuletzt wurde mit 37.55 CHF ein neues Tief ausgelotet. Die Gründe sind abgesehen von der zu hohen IPO-Bewertung eine gegenüber den Erwartungen der Börse vorübergehend schwache Wachstumsrate und eine Margenschwäche. Diese resultiert aus den internationalen Expansionsbestrebungen, die zunächst einmal Geld kosten.

Kursverlauf der Medartis-Aktie seit dem IPO. Quelle: six-group.com
Schwieriges erstes Halbjahr 2019

Im ersten Halbjahr 2019 erreichte die Umsatzwachstumsrate 6% in CHF und 8% in Lokalwährungen. Faktoren sind Unsicherheiten im Kontext der Einführung der EU Medical Device Regulierung. In Brasilien wurden laut Medartis „die ambitionierten Ziele nicht erreicht“. Anfang Dezember 2019 erfolgte dann noch eine Meldung, dass die brasilianische Kartellbehörde eine Ermittlung in der Industrie wegen unerlaubten Preisabsprachen durchführt. Medartis hatte 2017 den bisherigen Distributor Extera übernommen, der nun Gegenstand von Untersuchungen ist. Vorsichtshalber hat Medartis eine Rückstellung von 3 Mio. CHF gebildet. Im ersten Halbjahr 2019 hatten sich die Gesamtumsätze in Lateinamerika auf 7.6 Mio. CHF belaufen. Die Erwartung von 25% Wachstum in Brasilien in 2019 hat sich jedoch nicht erfüllt.

Verbesserung im zweiten Halbjahr

Am 03. März veröffentlichte Medartis nun die Geschäftsergebnisse des Gesamtjahres 2019. Demnach beschleunigte sich das Umsatzwachstum im zweiten Halbjahr, so dass für 2019 ein Umsatzwachstum von 7% in CHF und 10% in lokalen Währungen verzeichnet wurde. In Lateinamerika erreichte das Umsatzwachstum 16% und blieb damit deutlich unter den Erwartungen. Das EBITDA-Ergebnis stieg indes um 14% auf 20 Mio. CHF. Die EBITDA-Marge blieb bereinigt um Sondereffekte unverändert bei 15%.

Neuer CEO setzt Zeichen

Bereits im Mai 2019 hatte Medartis den CEO-Wechsel für September 2019 angekündigt. Das zweite Halbjahr 2019 zeigt bereits seine Handschrift. Er ist mit den Fortschritten noch nicht zufrieden und will durch den Ausbau des US-Geschäfts – der wichtigste Medtech-Markt weltweit – und eine Innovationsoffensive das Wachstumstempo auf 15% p.a. in Lokalwährungen steigern und auch die Margen ausweiten. Zudem werden Akquisitionen geprüft. Aus einer Long-List von 200 möglichen Zielen seien fünf bislang genauer geprüft worden.

Christoph Brönnimann ist seit September 2019 neuer CEO von Medartis. Bild: medartis.com

Der neue CEO Christoph Brönnimann hat einen professionellen Background mit Stationen u.a. bei Synthes und in der J&J-Medtechsparte. Ihm ist zuzutrauen, dass er Medartis durch internationale Expansion, innovative Produkte und M&A von einem 130-Mio.-CHF-Umsatz-Unternehmen zu einem globalen Wachstumsunternehmen und Marktführer ausbaut.

Medartis – eine Chance auf tiefem Kursniveau?

Günstig ist die Aktie allerdings auch auf dem ermässigten Kursniveau nicht. Bei einem Kurs von 40 CHF beträgt die Marktkapitalisierung 470 Mio. CHF, das entspricht einem KUV von 3,6. Bei Straumann, zum Vergleich, liegt es bei etwa 10. Der Reingewinn belief sich auf nur 2.1 Mio. CHF, das EBIT beträgt 7.4 Mio. CHF. Zu berücksichtigen ist die Umstellung auf IFRS.

Die Medartis-Aktie verdient wegen dem Management-Aspekt jedenfalls verstärkte Aufmerksamkeit. Bei einer Steigerung der Wachstumsraten und einer schrittweisen Ausweitung der Gewinnmargen könnte sich die Aktie auf längere Sicht als recht vielversprechend erweisen. Auch bei Straumann war 1998 nicht erkennbar, dass die Aktie bis heute um 4’400% zulegen sollte!

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