Als Ressortleiter und Redakteur einer Tageszeitung empfand man bis in die Nuller-Jahre hinein die Anzeigenabteilung als Feind, der einem den publizistischen Raum wegnahm. Die Inserate strömten nur so herein, und das ging auf Kosten der redaktionellen Inhalte. Mancher Chefredaktor sah sein Blatt schon zu einem reinen Werbevehikel verkommen. Aber da keine der beiden Seite auf Zeitungsseiten verzichten wollte, schwoll der Umfang der Ausgaben immer weiter an und erreichte bei manchen Erzeugnissen ein Gewicht von bis zu einem Kilogramm.
Das hat sich längst ins Gegenteil gedreht. Und jetzt mit Corona ist die Tageszeitung zur praktisch werbefreien Zone geworden; die Zeitungen haben vom Schwer- zum Federgewicht mutiert. Das seit Jahren rückläufige Anzeigenaufkommen steuert auf einen traurigen Höhepunkt in diesem Jahr zu, in dem der Verband Schweizer Medien von einem Anzeigenrückgang von 80% oder 400 Mio. CHF ausgeht.
Kurzarbeit und der Ruf nach staatlicher Unterstützung
Die Printmedien sind in Alarmstimmung, nicht erst seit Corona, aber jetzt erst recht. Es verwundert deshalb kaum, dass praktisch alle Medienhäuser Kurzarbeit beantragt haben, dass nach Staatshilfen gerufen wird. Und dass Kündigungen in grösserem Massstab nur noch eine Frage der Zeit sind.
Dennoch ist man bei der NZZ vorsichtig optimistisch. So schreibt die Pressestelle auf Anfrage von schweizeraktien.net: „Als positives Signal werten wir eine grosse Offenheit: Wir gewinnen derzeit Neukunden bzw. werden wieder kontaktiert von Kunden, die länger nicht bei uns gebucht haben. Offenbar wird die Qualität, die wir bieten, geschätzt. Gleichzeitig stellen wir einen signifikanten Corona-Effekt bei den Abo-Zahlen fest: In den Monaten März bis Mai gewannen wir über alle Titel hinweg rund 19’000 neue Abonnenten. Zudem erreichten wir im März historische Höchstwerte bei der Online-Reichweite.“
Hohe Zuwächse der Page Impressions im März und April
Ähnlich klingt es aus dem Haus AZ Medien, das zu 50% am Joint Venture CH Media beteiligt ist. «Die – positive – Kehrseite der (Corona-)Medaille ist das nochmals gestiegene Interesse an unseren publizistischen Webportalen während der Coronakrise. Die (noch) frei zugängliche Webpräsenz der Aargauer Zeitung (aargauerzeitung.ch) verzeichnete beispielsweise im April 2020 gegenüber April 2019 einen Zuwachs an Pageimpressions von 41%», so Peter Wanner, VR-Präsident der AZ Medien.
Wanner rechnet aber dennoch mit einem Umsatzrückgang im mittleren, zweistelligen Millionenbereich bis Ende Jahr. «Im April und im Mai war der Umsatzeinbruch insbesondere im Werbemarkt in allen Medien dramatisch. Nun sehen wir erste Zeichen der Erholung.»
Auch im Bereich Entertainment (Radio- und TV-Sender, Events) seien die Werbeeinnahmen der AZ Medien stark eingebrochen. «Im Radiogeschäft sogar noch stärker als im Publishing. Am stärksten bei den Events, die gänzlich ausfallen. Einbussen verzeichnen wir auch im Druckgeschäft, im Akzidenzdruck noch stärker als im Zeitungsdruck», so Wanner.
Daniel Ettlinger, CEO der Galledia Group AG, der neben Fachzeitschriften wie Werbewoche und Immobilen Business Regionalmedien wie den rheintaler.ch herausgibt, fasst die Situation seines Verlags so zusammen: «Wir haben im lokalen Werbemarkt kumuliert per Ende Mai rund 20% verloren. Insbesondere Voranzeigen für Events fehlen uns. Demgegenüber stehen ca. 5% Online-Neuabonnenten sowie ungefähr nochmals gleich viele Leser, die ein kostenpflichtiges Probeabo gebucht haben.»
Es wird gemauert
Für Redakteure und Journalisten ist es oft ein Ärgernis, wenn im Rechercheprozess Gesprächspartner mauern. Und gemauert wird meist dann, wenn Unerfreuliches zutage treten könnte. Die Zofinger Tagblatt Medien AG hat es gegenüber schweizeraktien.net abgelehnt, einfache Fragen zur Entwicklung ihrer Leserzahlen oder zu ihren Hoffnungen in 2020 Auskunft zu geben. Was für ein schlechtes Vorbild für die Redakteure im eigenen Haus!
Auch die Zürcher Oberland Medien halten sich bedeckt. Ihr CEO, Dani Sigel, hält es, gefragt nach dem Geschäftsgang in den letzten drei Monaten, für «unseriös, hier die Entwicklung einiger Wochen zu interpretieren».
In 2019 gab es noch meist Gewinn zu verzeichnen
Halten wir uns also an die nackten Zahlen: Die Zofinger Tagblatt Medien wiesen in 2019 einen Verlust von 800‘000 CHF aus. Etwas besser schneiden die Zürcher Oberland Medien mit einem kleinen Gewinn von 1.3 Mio. CHF ab.
Gewichtigere Player wie die TX Group (TagesAnzeiger und 20 Minuten) oder die Neue Zürcher Zeitung verbuchten in 2019 Gewinne von 65 Mio. bzw. 17 Mio. CHF. Allerdings haben diese nur wenig mit einem Erfolg im Zeitungs-Stammgeschäft zu tun. Bei der TX Group machen die digitalen Angebote 84% des adjustierten EBIT aus, die NZZ hielt sich 2019 vor allem durch ihren Finanzerfolg schadlos.
Anleger auf dem Absprung
Die Aktie der TX Group, des einzigen an der SIX kotierten Medienunternehmens, hat in diesem Jahr um fast 30% ihres Wertes eingebüsst. Der Branchenindex der auf OTC-X der BEKB gelisteten Medienunternehmen, zu denen die NZZ, Galledia, Zofinger Tagblatt Medien, Zürcher Oberland Medien, AZ Medien, SWS Medien und Buchs Medien gehören, schneidet von allen Branchenindices mit einem YTD von -10,4% am schlechtesten ab.
Überdurchschnittlich stark verlieren in 2020 die Aktien der Zofinger Tagblatt Medien mit 25%, die Zürcher Oberland Medien mit 17% und die Galledia Group mit 11%. AZ Medien mit -6,7% und die NZZ mit einem Minus von 4,7% können sich etwas besser behaupten.
Fazit
Wir haben die Unternehmen nach dem Best-Case-Szenario für 2020 gefragt. Die NZZ antwortet: «Best-Case-Szenario wäre, wenn wir unser Veranstaltungsgeschäft ab Spätsommer wieder ohne Einschränkungen durchführen könnten und wenn sich der Werbemarkt nach den Sommerferien wieder stark erholen würde.»
Und Daniel Ettlinger von Galledia sagt: «Das Best-Case-Szenario ist, dass wir nach der Sommerzeit ab September wieder die Umsatzbudgets erreichen. Damit kompensieren wir die Ertragsdefizite aus dem Lockdown nicht, schliessen dieses Jahr voraussichtlich aber ohne Substanzverlust ab. Dabei unterstützt uns das Nothilfepaket des Bundes.»
Ganz ähnlich klingt es aus dem Munde Wanners: «Im Best-Case-Szenario rechnen wir mit einer ersten Erholung der Wirtschaft im zweiten Halbjahr 2020 und einem sich rasch erholenden Werbemarkt auf (annähernd) Vorkrisenniveau, insbesondere in den elektronischen Medien. In einem solchen Fall rechnen wir mit einem knapp positiven Jahresergebnis 2020, u.a. dank unseres Contingency-Programms, nachlaufenden Synergieeffekten aus dem Integrationsprogramm des Joint Ventures CH Media, Kurzarbeit, Kostendisziplin übers Jahr sowie der kürzlich gesprochenen Mediennothilfe des Bundes.»
Die TX Group verweist dünn auf eine Medienmitteilung vom April, in dem sie von einem Umsatzrückgang von 10 bis 15% ausgeht.
Bei solch überbordender Geschäftsfantasie muss einem Angst und Bange werden. Natürlich leben die Medienhäuser noch ganz gut mit ihren intakten Bilanzen, die insbesondere durch ihren Immobilienbesitz aufgehübscht werden. Aber wie lange noch? Wann geht es an die Substanz?
Dass in Zeiten vom Siegeszug der Technologiefirmen FAANG, Pandemie und den schon länger vorhandenen struktureller Problemen der Branche kein Königsweg vorgezeichnet ist, versteht sich von selbst. Aber vielleicht wäre gerade jetzt etwas mehr unternehmerischer Mut gefragt und weniger das Schielen nach Staatshilfen. Das könnte auch den einen oder anderen Anleger zurück an Bord holen.