Am 29. April war auf schweizeraktien.net „Im Brennpunkt: Wann gibt es einen Impfstoff?“ erschienen. Gewinne von 73% bis 675% brachten zwischenzeitlich die vor drei Monaten identifizierten vier Aktien der Leader in der neuen Messenger RNA- und DNA-Vakzinforschung und -entwicklung. Zeit für eine Zwischenbilanz – bei der Performance und zum Stand der Dinge.
Jammern in der Krise ist zwar auch für Investoren nur allzu verständlich, doch viel besser ist es, unbelastet und nüchtern die Chancen am Aktienmarkt zu sehen, die jede Krise eben auch bietet. Viel ist seit der Realisierung der Pandemie und ihrer Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft seit März geschrieben worden, auch zu den Chancen und Risiken für Investoren an den Aktienmärkten. Doch leider bringen (unter-)durchschnittliche Empfehlungen auch nur ebensolche Ergebnisse. So könnte nun eine neue Ära der research-basierten Stockpicker angebrochen sein.
Big Pharma
Die Empfehlungen fallen generell in zwei Lager. Big Pharma, so denkt jeder, der auf der vermeintlich sicheren Seite stehen will, ist das geringere Risiko. Doch die verbliebenen grossen Pharma-Konzerne, die überhaupt noch im Vakzinbereich tätig sind, enttäuschen mit ihrer schlechten Performance und den allenfalls – weitergereichten – positiven Nachrichten ihrer inzwischen gewonnenen Biotech-Partner. Eine Übersicht zu den wenigen der über 160 Impfstoff-Entwickler, die bisher über die Prä-Klinik hinaus gekommen sind, findet sich hier.
Heisse Covid-Aktien
Das zweite Lager besteht aus eher „heissen“ und spekulativen Aktien. Oftmals werden durch Covid-bezogene und unsubstantiierte Behauptungen des Managements sogar Börsenpublikationen gemacht, wobei es durch zeitgemässe digital vervielfältigte Verbreitung zu regelrechten Herden-Investments durch Institutionen wie Robinhood kommt. Bei marktengen und geringkapitalisierten Werten können Zehntausende von Orders an einem Tag zu Kursexplosionen oder -implosionen führen. Die Federal Trade Commission und die FDA haben sich bereits seit März mehrfach in das Geschehen eingemischt und inzwischen über 100 Gesellschaften abgemahnt.
Big Pharma vs. Biotech
Die Pfizer-Aktie verliert seit Jahresbeginn um rund 8%, die des Partners BionTech liegt dagegen um 151% höher und zeigt seit dem 29. April immerhin 73% Performance. Astra Zeneca, in einer Allianz mit der Oxford University, verzeichnet seit Jahresbeginn ein Plus von 22,5%, Sanofi, mit Partner Translate Bio, von 6,1%. GSK, ein weiterer Partner von Sanofi, dagegen verliert um 11%. JNJ liegt um 2,4% höher als am Jahresbeginn. Als einziger Big Pharma-Vertreter hat JNJ einen eigenen Impfstoff-Kandidaten so weit entwickelt, dass er ab September voraussichtlich in Phase III klinisch getestet wird. Die Bündelung der Ressourcen der beiden nach Kapazitäten führenden Impfstoffhersteller Sanofi und GSK spricht für sich selbst. Die beiden sind auch nahezu die einzigen, die auf die herkömmliche, rekombinante Methode der Vakzin-Entwicklung setzen.
Bis zu 675% Kursgewinn mit MRNA-Aktien
Die Performance der vier ausgesuchten Biotech-Aktien seit 29. April rangiert dagegen zwischen 73% bei BionTech und 675% bei Novavax. Ein gleichgewichtetes Portfolio der vier Aktien lieferte in weniger als drei Monaten 237% Performance. Seit Jahresbeginn legt der Star-Performer Novavax sogar um 3’430% zu! Abgesehen von den nicht investierbaren Impfstoff-Entwicklern war Moderna bereits im April der Frontrunner. Derzeit läuft die Phase-II-Studie, der bei erfolgreichem Abschluss bereits Ende Juli eine 30’000 Probanden umfassenden Phase-III-Studie folgen soll. Seit Jahresbeginn liegt der Kursanstieg bei 385%, seit 29. April bei 103%. Die Market Cap erreicht nach dem Run-up der letzten Tage nun 36.9 Mrd. USD.
Lonza profitiert als Contract Manufacturer
Auch die Schweizer Börse profitiert vom Fortschritt der Forschung, denn Lonza und Moderna haben bereits lange, bevor der Impfstoff zugelassen ist, eine Allianz geschlossen. Es geht um die nächste grosse Herausforderung in der Überwindung der Corona-Krise – die Sicherstellung ausreichender Produktionskapazitäten. Niemals zuvor mussten mehrere Milliarden Dosen Impfstoff so schnell hergestellt und global distribuiert werden! Mit Lonza kann Moderna 500 Mio. Dosen p.a. herstellen, mit dem zweiten Partner, der spanischen Laboratorios Farmaceuticos Rovi, weitere 500 Mio. Dosen. Die Lonza Aktie zählt im laufenden Jahr mit einem Kursanstieg von 55,7% zu den besten Performern am Schweizer Aktienmarkt. Auch die Aktie des spanischen Partners ist an der Börse Madrid deutlich angesprungen, seit die Kooperation mit Moderna bekannt ist.
Moderna-Perspektiven intakt
Bei allen Unsicherheiten der Impfstoffentwicklung – die Perspektiven von Moderna bleiben gut. Die gerade veröffentlichten Ergebnisse der Phase-I-Studie zeigen, dass der Impfstoff-Kandidat bei allen 45 Probanden die gewünschte Immunreaktion bewirkt hat. Moderna erhält auch 483 Mio. USD von der US-Regierung zur Beschleunigung der Entwicklung. Noch ist vieles unklar, beispielsweise, ob es bei der Covid-Bekämpfung auf die Antikörper oder die T-Zellen ankommt, welche Dosierung optimal ist, wie verschiedene Altersgruppen darauf ansprechen etc. Dass das Management die Gelegenheit zum Verkauf von Aktien auf erhöhtem Niveau (zu früh) genutzt hat, ist nicht gerade überraschend, aber andererseits auch nicht unbedingt als schlechtes Zeichen zu interpretieren.
BionTech mit „Fast Track Approval“ der FDA
BionTech wird seit vergangenem Jahr an der Nasdaq gehandelt, die Ursprünge liegen jedoch in Mainz. Die Gebrüder Strüngmann haben nach dem Verkauf ihres Hexal-Konzerns eher still und leise mehrere Biotech-Unternehmen aufgekauft und daraus BionTech geformt. Der erste Kurs nach dem IPO im Oktober lag bei 14 USD, inzwischen erreicht er 85 USD. Die Market Cap liegt bei 19.5 Mrd. USD. BionTech ist mit gleich vier Kandidaten in das Impfstoff-Rennen eingestiegen und hat zwischenzeitlich von der FDA das „Fast Track Approval“-Rating für zwei davon erhalten (BNT 162b1 und BNT 162b2). Es laufen bereits Phase-I/II-Studien in den USA und Deutschland. Der globale Partner Pfizer ist für Produktion und Distribution zuständig.
Star Performer Novavax
Am Jahresanfang stand Novavax bei 4.49 USD, am 29. April bei 18.40 USD – und am 17. Juli bei 142.60 USD. Zumindest an der Börse werden manchmal Träume wahr. Weil die Phase-I/II-Studien vielversprechend verlaufen, erhielt Novavax Anfang Juli 1.6 Mrd. USD im Rahmen der „Operation Warp Speed“ von der Regierung zugeteilt. Ziel der Operation ist die superschnelle Entwicklung eines US-Impfstoffs. Damit kann Novavax die voraussichtlich im Herbst startende 30’000 Probanden umfassende Phase-III-Studie vollständig finanzieren – ohne Verzögerungen und ohne auf Partner angewiesen zu sein. Trotz aller Korrekturgefahren – die Aktie legte die letzten Tage jeweils mit zweistelligen Prozentsprüngen weiter zu.
Inovio
Während die drei vorgenannten Biotechs bei ihren Covid-19-Impfstoffkandidaten auf die Messenger RNA setzen, verfolgt Inovio einen DNA-basierten Ansatz. Am 30. Juni gab Inovio bekannt, dass 94% der 36 Probanden in der Phase-I/II-Studie eine immunologische Reaktion gezeigt haben. Der Aktienkurs hat sich im letzten Jahr verachtfacht und sich seit dem 29. April mit einer Performance von 96,3% nahezu verdoppelt. Die Market Cap ist auf 4.3 Mrd. USD gestiegen.
Hohe Leerverkaufsquoten
Die Aussichten der vier Frontrunner Moderna, BionTech, Novavax und Inovio bleiben intakt, auch wenn das stürmische Momentum in der aktuellen Kursentwicklung nicht von dauerhafter Natur sein kann. Rückschläge von der Nachrichtenfront sind einzukalkulieren. Ebenso die teilweise sehr hohen Leerverkaufsquoten. Wenn sich die Short-Seller auch im Moment mit eskalierenden Verlusten konfrontiert sehen, so werden sie doch negative Nachrichten zum Verlauf der einzelnen Studien oder sonstige Schwierigkeiten für Attacken nutzen.
Oxford University nutzt Schimpansen-Virus
Bemerkenswert ist im Rückblick, dass Stand Ende April nur zwei Adressen einen Impfstoff für Sommer oder Herbst 2020 in Aussicht gestellt hatten. Die Oxford University, die auch tatsächlich mit ihrem Ansatz das Vakzin über ein Schimpansen-Virus als Vector zu verabreichen, bereits in Phase-III-Studien ist. Und der Schweizer Virologe Bachmann, von dem zumindest in der internationalen Berichterstattung zu Fortschritten bei der Impfstoffentwicklung nichts zu hören ist. Stattdessen wurde in der Schweizer Presse die Vergangenheit, Stichwort Cytos, aufgearbeitet.
Kühlkette ist essentiell
Wichtiger ist jedoch der Blick nach vorne. Die logistische Herausforderung ist ohne Beispiel, erfordert enorme Investitionen und wirft ethische Fragen auf. Die grösste Herausforderung ist die für Impfstoffe erforderliche Kühl-Kette bei -80 Grad Celsius. Moderna und Translate Bio beispielsweise arbeiten an Möglichkeiten, mit -20 Grad Celsius auszukommen. Angestrebt wird sogar, mit normaler Kühlschranktemperatur von -2 Grad Celsius bis -8 Grad Celsius zurechtzukommen. Einstweilen aber gilt die -80-Grad-Celsius-Regel. Bei Unterbrechungen, selbst bei kurzen, verdirbt der Impfstoff. Zudem scheint klar, dass MRNA-basierte Impfstoffe starke Kälte benötigen. Passende Glasbehälter, Vials genannt, in ausreichender Zahl gibt es nicht. Die Kapazitäten werden auch mit staatlichen Mitteln ausgebaut. Catalent besitzt weltweit 30 Produktionsstätten und ist gesuchter Partner, u.a. von JNJ und Astra-Zeneca. Neue Technologien wie Blow-Fill-Seal verwenden Plastik und schliessen den gesamten Prozess in Sekunden ab. ApiJect erhielt 138 Mio. USD vom US-Verteidigungsministerium, um die Kapazitäten zu vervielfältigen auf 100 Mio. Dosen in 2020 und 600 Mio. Dosen 2021.
Nationale Alleingänge vs. Globale Lösung
Wichtige Fragen bleiben ungeklärt. Während supranationale Organisationen, Stiftungen wie die der Gates oder der britische Wellcome Trust für eine globale und vernünftige Lösung eintreten, herrschen in der Praxis nationale Lösungsversuche vor. Auch die EU mischt mit. Trump wollte schon vor Monaten die deutsche privat gehaltene CureVac in die USA locken und kaufen. Im Juni hatten die EU-Länder Frankreich, Italien, Deutschland und Niederlande einen Deal mit Astra-Zeneca über die Lieferung von 400 Mio. Dosen geschlossen. Die EU hat nun mehrere weitere Deals abgeschlossen oder verhandelt sie. Mit JNJ für 200 Mio. Dosen, ein weiterer Deal mit Sanofi-GSK sieht die Lieferung von 300 Mio. Dosen in der zweiten Jahreshälfte 2021 vor. Weitere Verhandlungspartner sind Moderna, BionTech und CureVac. Es handelt sich bei allen Impfstoffen als Vertragsgegenstand um nicht entwickelte und zugelassene Vakzine.
Fazit
Obwohl viele Fragen zur Lösung der Pandemie-Krise durch Impfstoffe noch offen sind, so ist es doch innerhalb weniger Monate gelungen, erstaunliche und unerwartet schnelle Fortschritte zu erzielen. Es ist aus heutiger Sicht nicht unwahrscheinlich, dass erste Zulassungen vor Jahresende oder in den ersten Monaten 2021 erfolgen werden. Den Aktien der erfolgreichen Biotech-Unternehmen winkt eine Fortsetzung der Höhenflüge, denn das weiter zufliessende spekulative Kapital wird sich auf die wenigen Frontrunner konzentrieren, die auch substanzielle Meldungen haben werden.
Da die Pandemie seit Monaten relativ stabil mit Wachstumsraten von rund 2% pro Tag mit Bezug auf die bestätigten Neuinfizierten voranschreitet, erscheint es global gedacht wenig sinnvoll, über Wellen zu spekulieren, lokal dagegen schon. Während sich jeder sechste Brite nicht impfen lassen würde, will jeder dritte US-Amerikaner die Impfung verweigern, so jedenfalls aktuelle Umfragen. Nicht zuletzt ist die Frage der voraussichtlich erzielbaren Dauer der Immunisierung durch ein Vakzin nicht abschliessend beantwortet. Es könnte sein, dass die Stimulierung der Antikörper schon nach wenigen Monaten das „Gedächtnis“ verliert. Noch ist auch unklar, bei welchem Prozentsatz der Population der oder die Impfstoff(e) wirksam sind. Bei den bekannten Vakzinen liegen die Quoten zwischen 75% und 97%.
Performance der vier Frontrunner der Covid-19 Vakzin-Entwicklung
Aktie | Kurs USD | ytd Performance | seit 29.04. | Market Cap in Mrd. USD |
Moderna | 94.25 | 385% | 103% | 36.9 |
Biontech | 85.25 | 151% | 73% | 19.5 |
Novavax | 142.6 | 3 430% | 675% | 8.1 |
Inovio | 26.97 | 717% | 96% | 4.3 |