6. Branchentalk Tourismus: An Investitionen und Produktinnovationen wird trotz Corona festgehalten

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Antoine Hubert sprach Klartext. Der Umgang der Schweizer Politik mit der Corona-Krise sei eine „riesige Katastrophe“, sagte der VR-Delegierter der Hotel- und Klinikgruppe Aevis Victoria. Die Liquidität der Unternehmen gehe zur Neige, ökonomisch steuerten wir auf schlimme Zustände hin. Und einmal in Fahrt, legte Hubert nach: Das Quarantäne-Management sei ein Witz. Wer aus Paris komme, müsse in eine 14-tägige Quarantäne, während gleichzeitig hundertausend Grenzgänger unkontrolliert die Grenze passieren könnten.

Dabei hatte er zuvor noch den Bundesrat in höchsten Tönen gelobt. Die erste Phase von März an sei ein Beispiel gewesen für gute Politik, was auch das Ausland wahrgenommen habe. Aber seit im Sommer die Kantone die Hoheit über den Umgang mit Covid-19 übernommen hätten, gäbe es viel zu viele verschiedenen Regeln in den Kantonen, ja teilweise auch in den Regionen.

Die Teilnehmer am 6. Branchentalk Tourismus von schweizerkatien.net. Antoine Hubert, Christoph Egger, Egon Gsponer und Urs Wohler. Bild: schweizeraktien.net

„Das ist tödlich für den Tourismus“, pflichtete ihm Egon Gsponer, stv. Leiter der Matterhorn Gotthard Bahnen (MGB) und der Gornergrat Bahn (GGB), bei. Und auch Christoph Egger, CEO der Schilthornbahn, sieht nichts Gutes in der gegenwärtigen Politik. „Wir schlittern unvorbereitet in die zweite Welle“, viele Kantonspolitiker liessen jedes operative Verständnis vom Führen eines Unternehmens vermissen.

Digitaler Branchentalk

Sie alle waren zum 6. Branchentalk von schweizeraktien.net gekommen, der in diesem Jahr auf dem Niesen stattfinden sollte, aus Sicherheitsgründen dann aber rein digital abgehalten wurde. Deshalb konnte auch der vorgesehene Gastgeber und Geschäftsführer der Niesenbahn, Urs Wohler, zusammen mit dem Veranstalter nur per Zoom die mehr als 50 Teilnehmer begrüssen. Und einen eindrücklichen Schattenriss des Niesen als Pyramide präsentieren.

Schatten-Pyramide des Niesen. Bild: zVg

Im Unterschied zu den anderen drei Teilnehmern, die stark vom Geschäft mit ausländischen Touristen abhängig sind, hat Wohler eine Zielgruppe, die so manchem Bergbahn- und Hotelbetreiber sowie den Gastronomiebetrieben in den Tourismusgebieten mindestens teilweise den Sommer 2020 gerettet haben: den einheimischen Tourismus. Die Niesenbahn hat die Kurzarbeit bereits wieder aufgehoben, während bei den MGB und GGB weiterhin der überwiegende Teil der Mitarbeitenden in Kurzarbeit ist. Dennoch werde auch die Niesenbahn um 20 bis 30% unter dem Vorjahr abschliessen, so Wohler.

Der ausländische Gast fehlt

Massive Einbrüche bei Umsatz und Gewinn haben die MGB/GGB und die Schilthornbahn für 2020 zu vergegenwärtigen. Christoph Egger sagt, dass man um 10 Jahre zurückgeworfen worden sei. Nicht nur, was die Geschäftszahlen anbelange, sondern auch, was die Struktur der Gäste betreffe. Vor 10 Jahren habe man noch 50% Schweizer Gäste gehabt, das habe sich bis 2019 auf 34% reduziert, dafür habe China mittlerweile einen Anteil von 25%. In 2020 steige der Anteil der Schweizer Touristen auf dem Schilthorn wieder auf 50%.

Vom Moderator Björn Zern nach einem Plan B gefragt, sollte ein zweiter Lockdown kommen, verwies Egger auf die Erfahrungen aus dem ersten Lockdown und machte gleichzeitig deutlich, dass es keinen Plan B gäbe.  Es gar keinen Sinn mache, einen solchen zu entwickeln.

Egon Gsponer beziffert den Rückgang der Erträge der MGB, die in einer Partnerschaft mit öffentlichen Trägern finanziert wird, auf 36%. Bei der privat geführten GGB betrügen die Verluste über 50%, auch wegen des Lockdowns im Frühling. Es fehle hier wie auf dem Schilthorn der zahlende ausländische Gast.

Gut auf die Krise vorbereitet

„Wir waren gut auf die Krise vorbereitet“, sagt Antoine Hubert. Seit 5 Jahren arbeite man in der dezentralen Organisation auf digitaler Basis, es gäbe keine Büros, die Covid-19-Situation hätte man so schon unbewusst vorweggenommen. Allerdings klagt auch er über einen Rückgang von 35% während des Lockdowns im wichtigsten Segment, den Kliniken. Aber seit Juli beobachtet Hubert wieder einen ganz normalen Geschäftsgang im Klinik-Bereich. Er verwies stolz auf die 40%-Beteiligung der Aevis Gruppe an Medgate, einem Anbieter für Telemedizin. Medgate hatte 2019 rund 1 Mio. Anrufe entgegengenommen, in 2020 sei man schon Ende September bei der Million. In diesem Jahr habe das Unternehmen 100 neue Arbeitskräfte eingestellt und sei somit von 500 auf 600 Mitarbeitende gewachsen, freut sich Hubert.

An Investitionen und Produktentwicklungen wird festgehalten

Was die Zukunft anbelangt, so machen sich alle Mut. „Wir halten an unseren langfristigen strategischen Zielen wie auch an den Produktentwicklungen fest“, sagt Egon Gsponer. Auch wenn ein Investitionsstopp verfügt worden sei, so geht Gsponer davon aus, dass Grossprojekte wie die Anschaffung von Polaris Triebzügen für 45 Mio. CHF für die GGB oder der Kauf von Orion Triebzügen für die MGB in Höhe von 300 Mio. CHF wie geplant in den nächsten Jahren über die Bühne gehen werden. Und auch Christoph Egger hält an dem Grossprojekt Schilthornbahn 20XX fest, es sei zwar möglich, dass der Baubeginn leicht verzögert werde, aber eine Fertigstellung 2023/24 sei nach wie vor avisiert. Egger möchte im nächsten Frühjahr prüfen, wie er genau mit den Investitionen weiter vorgeht.

Die Krise als Chance

Für Urs Wohler von der Niesenbahn, im Vergleich zu den anderen Unternehmen mit 5 Mio. CHF Umsatz ein „kleiner Fisch“, wie er selbst sagt, waren die vergangenen Krisenmonate sogar eine riesige Chance. Man hätte massiv in die Digitalisierung investiert, das Gutscheingeschäft ausgebaut und den intensiven Kontakt mit den Kunden gesucht. Damit beantwortete er auch die Frage nach der neuen Normalität. Denn das Motto, unter dem die diesjährige Veranstaltung stand lautete: Die neue Normalität – Wie Innovationen helfen, die Krise erfolgreich zu meistern.

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