Macro Perspective: Inflation oder Deflation?

Preise und Inflationserwartungen steigen – Geburtenraten fallen!

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„Wenn ich Beschwerden über zu wenig Liquidität höre, denk daran, dass es auch so etwas wie zu viel Liquidität gibt.“ Paul Volcker, Chairman der US-Notenbank von 1979-1987 und Berater von US-Präsident Obama, 1927-2019

Die Börse hat ein neues Thema – die Inflation! Was die langjährige QE- und Tiefzinspolitik nicht geschafft hat, nämlich die Inflation auf 2% p.a. anzuheben, wird nun als nachgelagerter Effekt durch die Covid-Krise sogar überboten. Die Anleger sind überrascht über den CPI-Anstieg um 4,2% im April in den USA und befürchten Schlimmeres. Die Fed entwarnt, doch gleichzeitig mehren sich die Stimmen, die sagen, dass der „Geist der Inflation nun aus der Flasche ist“ und nach 40 langen Jahren der Disinflation nicht so schnell dorthin zurückkehren wird.

Die Preissignale sind tatsächlich etwas beunruhigend. Nachhaltig hohe Preise für Aluminium, Kupfer, Nickel, Zink schlagen sich zwangsläufig in vielen metallverarbeitenden Industrien nieder. Die Unternehmen müssen, solange sie können, die Preise anheben. Schön, wenn die Nachfrage darunter nicht leidet, weil die Einkommen der Endverbraucher auch steigen, doch danach sieht es nicht aus, zumindest auf längere Sicht. Auch die Nahrungsmittelpreise steigen, nicht zuletzt durch pandemiebedingte Personalengpässe bei der Ernte, unterbrochene Lieferketten sowie Dürren, Überflutung, Hitze oder Kälte. Der Klimawandel ist mittlerweile auch im ökonomischen Sinn sehr konkret geworden. Das zeigt sich auch in den stark anziehenden Holzpreisen, was in letzter Zeit auch in der Schweiz zu vielen Schlagzeilen geführt hat. Holz ist ein wichtiger Input-Faktor in vielen Industrien, nicht zuletzt im Hausbau.

Versorgungs- und Produktionsengpässe

Dazu treten Engpässe aller Art aus verschiedenen Gründen. Ein Hacker-Angriff auf die Pipeline-Gesellschaft Colonial sorgt derzeit in zahlreichen US-Bundesstaaten für lange Schlangen an den wenigen Tankstellen, die liefern können. Die Engpässe bei Computer-Chips, so die aktuelle Konsens-Einschätzung, könnte noch zwei oder drei Jahre andauern. Auch hier spielt das Klima in Form von Wasserknappheit im wichtigen Produktionsland Taiwan eine Rolle. Die Knappheit führt zu Produktionsausfällen und damit weiter steigenden Preisen, die wiederum zahlreiche Industrien betreffen.

Anleiherenditen ziehen an

Was sagen die Bondmärkte dazu? Traditionell zeigt sich bei den Anleihen eine steigende Inflationserwartung des Marktes als erstes. In den USA wurde das Rendite-Hoch der 10-jährigen Staatsanleihen von Ende März bei 1,77% bisher nicht überboten, auch wenn das täglich passieren kann. Dem ging allerdings seit vergangenem Sommer ein Anstieg von 0,52% auf aktuell 1,65% voraus. Weltweit ziehen bei Staatstiteln die Anleiherenditen an, besonders deutlich in Spanien, Italien und UK, weil sich die Teuerung dort bereits in harten Zahlen manifestiert. Aber auch die deutschen Anleihezinsen der 10-jährigen liegen nur noch mit -0,1% im negativen Bereich.

Fed behält ruhige Hand

Die Leitzinsen lässt die Fed ungeachtet der Inflationssignale unverändert. An der Botschaft an die Marktteilnehmer hat sich nichts geändert. Schon vor dem Re-Start der Wirtschaft war die Fed-Einschätzung, dass der Nachfragestau und Versorgungs- oder Lieferengpässe zu einem Anstieg der Preise führen werde. Diese werden auch in aktuellen Statements als temporär eingestuft, der Anstieg der Inflation soll sich wieder abflachen.

Gefahr der galoppierenden Inflation

Doch etliche Marktteilnehmer sehen das ganz anders und erwarten eine kumulative Inflation von 20% oder mehr über die nächsten 2 bis 3 Jahre. Die monetäre Unterstützung von Wirtschaft und Börse durch ultraniedrige Zinsen und fortgesetzte QE-Programme werde angesichts der schon jetzt anziehenden Inflation zu einer dann galoppierenden Inflation führen. Die Fed ist jedoch nicht beeindruckt und verweist auf den vorübergehenden Charakter der aktuellen Teuerungstendenzen. Die Fed ist bereit, auch eine zeitweilige Inflation von über 2% in Kauf zu nehmen, bis die Wirtschaft wieder richtig Tritt gefasst hat, bevor sie auf die Zinsbremse treten wird. Der Bondmarkt gibt der Fed zwar recht, denn egal ob 5-jährige, 10-jährige oder 30-jährige Bonds, die Entwicklungen sehen in der längerfristigen Betrachtung bisher noch eher nach Normalisierung als nach „Runaway Inflation“ aus.

Rendite 10-jähriger US-Bond seit 2018. Chart: www.finanzen.net
Eingeschränkte Aussagekraft der Bondmärkte

Allerdings sollte nicht vergessen werde, dass die Kurse der Staatsanleihen und die Zinsstrukturkurve von der Notenbank durch gezielte Käufe diverser Laufzeiten so gemanagt werden, dass das „inflation targeting“ unterstützt wird. Auch wenn es momentan vielleicht in den Hintergrund gerückt ist, aber die Notenbanken in aller Welt waren spätestens seit der Finanzkrise von 2008/2009 emsig bemüht, die Inflationsraten wieder zu erhöhen. Diese befanden sich seit 1980, als die Inflation in den USA 14,5% erreicht hatte, in einer langen Phase der Disinflation, die zeitweilig sogar zu negativen Inflationsraten geführt hat wie in Japan und der Schweiz. Ziel der Interventionen an den Anleihemärkten war vor allem die Anhebung der jährlichen Inflationsraten auf 2%.

„Gute“ und „schlechte“ Inflation

Eine solche Inflationsrate wird als „gute“ Inflation bezeichnet, weil sie Unternehmen erlaubt, die Preise zu erhöhen und die Gewinne zu steigern. Gleichzeitig bleibt die Beschäftigungslage gut und damit auch das Steueraufkommen. „Schlechte“ Inflation dagegen ist galoppierend, löst Rezessionen aus und führt zu dauerhaft einbrechenden Unternehmensgewinnen sowie Entlassungen. Die jüngeren Generationen haben eine solche „Stagflation“ – steigende Inflation und stagnierendes Wachstum – nicht erlebt. Wer jedoch den Übergang von den boomenden 1960er Jahren zu den inflationären 1970er Jahren erlebt hat, kann sich eine Vorstellung machen. Das Ende der Teuerung kam erst, als der damalige Fed-Chairman Volcker mit hohen Realzinsen, d.h. Nominalzinsen von bis zu 23%, erfolgreich die Inflation austrieb. Es folgte der grosse Aktienboom, der bis heute anhält.

40 Jahre Aktien-Boom durch Disinflation. Chart: www.finanzen.net
Mehrdeutige Reaktionen der Finanzmärkte

Doch in der Sprache der Märkte hat die wieder aufkeimende Inflation bereits deutlich gesprochen: steigende Rohstoffpreise, anziehende Zinsen und ein Revival zyklischer und zinssensitiver Industrien an der Börse bei gleichzeitiger Stagnation der sogenannten Wachstumsaktien. Während Dow-Jones und S&P 500 noch immer einen ungebrochenen Aufwärtstrend zeigen, hat der Nasdaq sein Hoch bereits im Februar erreicht und im April nochmals in einem Doppeltop bestätigt; doch nach neuen Rekordständen sieht es derzeit nicht aus. Die vielgeliebte und -gehasste Tesla-Aktie zeigt stellvertretend, worum es geht. Nach Höchstständen am Jahresanfang bei 900 USD geht die Aktie seitdem südwärts und liegt aktuell bei 557 USD. Die Market Cap ist um mehr als 300 Mrd. USD auf 542 Mrd. USD zusammengeschrumpft.

Nach Höchstständen am Jahresanfang bei 900 USD sinkt der Kurs der Tesla-Aktie. Chart: money-net.ch
Kommt es nach dem Angebotsschock jetzt zum Nachfrageschock?

Wie so oft, könnte es sich bei der plötzlichen, wenn auch zu erwartenden, Inflations-Hysterie um eine Übertreibung mit kurzfristigem Charakter handeln. Die Covid-Krise hat zunächst zu einem „supply shock“ geführt; viele Güter und Dienstleistungen waren nicht mehr verfügbar, andere nur eingeschränkt. Die Folgen der Pandemie kommen jedoch erst zeitverzögert in vollem Ausmass ans Tageslicht. Der „demand shock“ erfolgt auf Raten. Vielen Unternehmen geht mit dem Ablaufen von Unterstützungsmassnahmen früher oder später die Luft aus. Und die Entlassenen finden nicht unbedingt so schnell, wie theoretisch vorgesehen eine neue Anstellung. Die jüngsten Job-Zahlen aus den USA zeigen, dass nur 266’000 neue Jobs im April besetzt wurden; die Erwartungen lagen eher bei 1 Mio. Die Beschäftigtenzahl in den USA liegt noch immer um 7.5 Mio. unter dem Pre-Covid-Level. Trotz der positiven Schlagzeilen liegt es auf der Hand, dass der massive Einsatz digitaler Technologie, von KI und Robotern dazu führt, dass zugunsten der Produktivitätssteigerung viele Arbeitsplätze nicht neu besetzt werden. Hinter der zyklischen Erholung verbirgt sich der Strukturwandel, der langfristige Änderungen zeitigt.

Kollabierende Geburtenraten – der ultimative Nachfrageschock

Der wichtigste Aspekt überhaupt mit Blick auf die langfristige Entwicklung der Wirtschaft wird bislang noch kaum diskutiert: die Tatsache, dass die Geburtenraten zum Teil drastisch fallen! In Italien sind die Geburtenzahlen neun Monate nach Beginn der Pandemie um über 20% gefallen. In China haben sich die Schätzungen inzwischen mehr als bestätigt. 2020 wurden 18% weniger Kinder geboren. Ähnlich sieht es in Japan, Frankreich und den USA aus, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass. In den USA war 2020 mit 3.6 Mio. Geburten der schwächste Jahrgang seit 50 Jahren. Während in Japan und Italien die Replacement-Rate von 2,1 Kindern pro Frau schon vor der Pandemie unterschritten worden war, ist dies nun auch in den USA mit 1,6 der Fall . In China wird erstmals befürchtet, dass die Bevölkerung auf 1.3 Mrd. Menschen schrumpfen könnte.

Bevölkerungspyramide in Umkehrformation

Die Bevölkerungspyramiden entsprechen in den entwickelten Ländern immer weniger der Pyramidenform. Die Anzahl der über 65-Jährigen nimmt absolut und relativ stetig zu, die der jüngeren bis 30 Jahre nimmt anteilig ab. Das hat nicht nur Auswirkungen auf Renten- und Pensionssysteme, sondern auch ganz unmittelbar auf wichtige Impulsgeber wie Neuformierungen von Haushalten mit den entsprechenden Anschaffungen von der Küche über Einrichtung bis hin zu Kinderwagen und Baby-Schuhen. Ähnlich wie in Europa leben immer mehr Japaner und Chinesen auch mit 30 und 40 Jahren noch im elterlichen Haushalt, weil angesichts des Preisniveaus für Immobilien oder Mietwohnungen ein eigener Hausstand ausserhalb des Möglichen liegt.

Wohlstand und Überalterung

In China wurde die von Mao eingeführte Ein-Kind-Politik aufgelockert. Ein zweites Kind ist durchaus möglich geworden. Doch mit dem relativen Wohlstand nimmt der Wunsch nach weiteren Kindern eben wie in anderen industrialisierten Ländern ab. In Italien waren traditionell fünf oder auch 10 Kinder keine Seltenheit; heute überaltert und schrumpft die Bevölkerung. Ähnliche Tendenzen zeigen sich fast überall in der ersten Welt. Durch die Pandemie und die Lockdowns mit all ihren Folgen ist nun aus der Erosion ein erdrutschartiges Beben ausgelöst worden, das sich zwar unter günstigen Bedingungen schnell wieder auf das vorherige Erosionslevel erholen kann, aber sich im anderen Fall auch als der Beginn eines längerfristigen Kollapses der Geburtenraten erweisen kann.

Reproduktionsfähigkeit der menschlichen Spezies vor dem Aus?

Wird schon der offensichtliche Einbruch der Geburtenraten neun Monate nach Beginn der Pandemie bisher übersehen, so wird die schwindende Fruchtbarkeit der jungen Männer als langfristige Entwicklung gar nicht thematisiert. Eine 2017 veröffentliche breit angelegte Studie über den Zeitraum 1973 bis 2011 kam zu der Konklusion, dass in diesem Zeitraum die Anzahl der Spermien in den westlichen Ländern um 59% abgenommen hat. Anfang des Jahres 2021 traten dieselben Wissenschaftler mit der auf aktuellen Projektionen gestützten Prognose an die Öffentlichkeit, dass die Anzahl der Spermien bis 2045 auf null fallen wird! Die Reproduktionsfähigkeit der menschlichen Spezies und damit ihr Überleben seien in ernsthafter Gefahr. Verantwortlich sind hauptsächlich Chemikalien in Luft, Wasser, Nahrung sowie Schwermetalle und sonstige Verschmutzung, aber auch Tabakkonsum oder Volkskrankheiten wie Adipositas. Der „Global Fertility Index“ ist zwischen 1964 und 2018 von 5,06 Kindern je Frau auf 2,4 gefallen. Heute verzeichnen mehr als die Hälfte der Länder Raten, die unter dem Replacement Level von 2,1 liegen.

Zu denken geben sollte auch Volckers Zitat von 2009 angesichts der aktuellen Dauerberieselung zu Krypto- und anderen Finanzmarktinnovationen: „Ich wünschte, jemand könnte mir nur einen kleinen neutralen Beweis dafür geben, dass Finanzinnovationen zu wirtschaftlichem Wachstum geführt hätten – eine Spur eines Beweises.“

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