ESG-Umfrage: Nachhaltiges Wirtschaften entsteht oft aus einem KundenbedürfnisNicht erst seit den aktuellen grossflächigen Bränden sowie den Überschwemmungen und Sturmschäden in der Mitte Europas oder dem gerade veröffentlichten und ernüchternden sechsten Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ist klar, dass sich etwas daran ändern muss, wie wir mit dem Planeten, seinen Bewohnern und Öko-Systemen umgehen.

Kluge Unternehmenslenkende haben das schon länger erkannt und Massnahmen ergriffen, um unnötige Verschmutzung, Ressourcenverschwendung und Gefährdung von Mitarbeitenden, Kunden und der Umwelt zu beenden. Genauso wichtig sind innovative Lösungen, die eine tatsächliche Änderung zum Besseren bewirken – weniger Energieverbrauch, mehr Effizienz, intelligente Lösungen für die Probleme der Zeit.

Ausgangspunkt und Hintergrund

Doch selbst bei den grossen börsenkotierten Unternehmen haben erst wenige wirklich ein Programm installiert, um auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse Klimaneutralität ihres Wirtschaftens in einem absehbaren Zeitraum zu erreichen. Nur 8% der kreditnehmenden Unternehmen in Europa haben sich zu den Pariser Klimazielen von 2015 verpflichtet.

Rücklauf von 22,7%

Umso verblüffender ist, dass die erste ESG-Umfrage von schweizeraktien.net mit 38 von 171 angeschriebenen Unternehmen einen beachtlichen Rücklauf von 22,7% erzielt hat. Das ist deutlich mehr, als zu erwarten war. Dieses überraschende Ergebnis zeigt schon, dass sich die Prioritäten auch bei den Entscheidungsträgern in der mittelständischen Wirtschaft sehr wohl ändern können.

Neue Offenheit für ESG-Thematik

Das Bemerkenswerte an diesem guten Teilnahmeergebnis ist, dass die Unternehmen, deren Aktien ausserbörslich gehandelt werden, praktisch zu keinerlei Angaben über das blosse Zahlenwerk hinaus verpflichtet sind. So lautet das geltende Obligationenrecht. Das zeigt, dass die entsprechenden Fragestellungen eine hohe Relevanz gewonnen haben. Dies betrifft nicht nur Umwelt und Klima, sondern auch das S in ESG wie Soziales und G wie Governance.

30 Fragen

schweizeraktien.net hat 30 Fragen formuliert, je 10 zu den drei Kategorien. Diese waren binär, also schlicht mit Ja oder Nein zu beantworten; in manchen Fällen wurde auch keine Antwort gegeben. Es handelt sich um dieselbe Art von Fragen, wie sie auch in den sehr viel umfangreicheren ESG-Fragebögen der Rating-Agenturen gestellt werden, nur eben begrenzt auf jeweils 10 wesentliche Fragen.

Aussagekräftige aggregierte Auswertung

Die unternehmensspezifischen Details können nicht publik gemacht werden, doch die aggregierten Zahlen sind umso vielsagender. Wer hätte gedacht, dass volle 47,4% der teilnehmenden OTC-X Unternehmen ihre direkten Emissionen (Scope 1) messen oder dieses Jahr damit beginnen? Geradezu bestechend hohe 76,3% der Unternehmen haben einen Plan zur schrittweisen Verbesserung der Nachhaltigkeit, der sich an den Klimazielen orientiert.

Ist die ESG-Umfrage repräsentativ?

Das klingt erstmal gut, doch ist die Umfrage überhaupt repräsentativ? Die Teilnehmenden kommen aus allen OTC-X Sub-Indizes. Von den 65 auf OTC-X gehandelten Bergbahn- und Tourismusunternehmen nahmen 20% an der Umfrage teil. Von den 33 Regionalbanken antworteten 24,2%, von den 26 Industrieunternehmen 19,2% und von den 21 Energieversorgern 19%.

Umwelt gewinnt Prioritätenstatus

Bei vielen umweltrelevanten Fragen sind die teilnehmenden Unternehmen sehr viel weiter, als gemeinhin angenommen. So hat die Energieeffizienz bei 86,8% in den letzten zwei Jahren zugenommen und soll dies auch in den kommenden beiden Jahren. Bei 71,1% ist der Anteil erneuerbarer Energien im Energie-Mix in den vergangenen zwei Jahren gestiegen und soll auch in den beiden Folgejahren steigen. Noch verbesserungsfähig ist die regelmässige Messung und Verbesserung der Luftqualität in Büro und Produktion, die nur von 26,3% praktiziert wird (siehe Grafik 1).

Grafik 1: In Umweltdingen sind die befragten Unternehmen vorbildlich; nur bei der Messung der Luftqualität in Büro und Produktion besteht Nachholbedarf. Abb: schweizeraktien.net
Soziale Verantwortung mit hohem Rang

Überwiegend von positiven Überraschungen geprägt sind auch die Ergebnisse im Bereich Soziales. 94,7% der Teilnehmenden sind gute „Corporate Citizens“ und fördern die regionale Kultur-, Event- und Sportlandschaft. Und 84,2% unternehmen Anstrengungen, damit die Mitarbeitenden Beruf und Familie besser vereinen können, d.h. Teilzeitpensen, Kinderhort etc. Immerhin 55,3% haben einen Compliance Officer, an den sich Mitarbeitende bei Diskriminierung, Benachteiligung und sonstigen Missständen vertraulich wenden können.

Industrie als Vorreiter der Chancengleichheit

Ein Thema für sich ist die Gleichstellung aller Mitarbeitenden mit Blick auf Karriere und Aufstiegsmöglichkeiten. Aggregiert haben 44,7% der Umfrageteilnehmer Programme installiert, um die Chancengleichheit zu verbessern. Das ist durchaus noch steigerungsfähig. Aufgeschlüsselt nach Branchen zeigt sich allerdings ein sehr differenziertes Bild. Ins Auge sticht, dass 80% der Industrieunternehmen solche Programme initiiert haben, jedoch lediglich 25% der Energieunternehmen. Dazwischen bewegen sich Tourismus und Regionalbanken mit jeweils rund 38%. Bemerkenswert ist auch, dass alle Industrieunternehmen die Frage mit Ja oder Nein beantwortet haben, also 100% Transparenz, doch in den drei anderen Branchen 15% respektive zweimal 25% keine Antwort gaben.

Grafik 2: Auf Chancengleichheit wird vor allen Dingen in der Industrie wert gelegt. In den anderen Branchen besteht durchaus Verbesserungsbedarf. Abb.: schweizeraktien.net
Transparenz schafft Vertrauen

Transparenz ist das Schlüsselwort der Umfrage. Unerwartet hohe 11 der 38 teilnehmenden Unternehmen beantworteten alle 30 Fragen, zeigten also 100% Transparenz. Fast alle Teilnehmenden erreichen Transparenzquoten von über 75%, der nur einmal verzeichnete Tiefstwert liegt bei 60%. Für die qualitative Positionsbestimmung kommt es jedoch auf die Anzahl der Ja-Antworten an – und die liegt erstaunlich hoch.

Spitzengruppe der Auswertung

Champion mit 25 Ja-Antworten ist Schweizer Zucker. Es folgen mit jeweils 23 Ja-Antworten Weleda sowie Plaston Holding. Auf 22 Ja-Antworten kommen gleich vier Unternehmen: Griesser Holding, Rigi Bahnen, Cendres + Métaux sowie Grand Resort Bad Ragaz. Darauf folgen mit 21 Ja-Antworten Energie Zürichsee Linth, Espace Real Estate Holding, WIR Bank sowie Weiss + Appetito.

Mit einer Transparenzquote von 100% sowie 25 (von 30) mit „Ja“ beantworteten Fragen liegt die Schweizer Zucker AG ganz vorne in der Rangliste. Abb. schweizeraktien.net
Differenziertes Bild nach Kategorien

Ein unerwartet differenziertes Bild ergibt sich jedoch, wenn die drei Kategorien Umwelt, Soziales und Governance getrennt betrachtet werden. Dabei ist hervorzuheben, dass durchschnittlich 7.00 Antworten im Bereich Soziales auf Ja entfielen. Im Bereich Umwelt liegt der Wert bei 5.68 und im Bereich Governance bei 4.63. Das grösste Potenzial für zukünftige Verbesserungen liegt somit eindeutig im Bereich Governance, dicht gefolgt von Umwelt.

Verbesserungspotenzial in der Governance

Beispielsweise haben nur 36,8% der teilnehmenden Unternehmen eine Regelgrenze für die Zugehörigkeit zum Verwaltungsrat definiert, 47,4% jedoch nicht. Die verbleibenden 15,4% antworteten nicht. Raum für Verbesserungen besteht auch bei den sogenannten Related Parties Transaktionen zwischen dem Unternehmen und nahestehenden Personen. Nur 42,1% berichten über Identifikation, Prüfung und Genehmigung, 31,6% jedoch nicht, und 26,3% beantworteten die Frage nicht. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass bei 47,4% der Teilnehmenden die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft schon länger als 10 Jahre mandatiert ist.

Grafik 3: Nur knapp die Hälfte der befragten Unternehmen beschäftigt ihren Wirtschaftsprüfer weniger als zehn Jahre. Abb.: schweizeraktien.net
Fazit

Die teilnehmenden Unternehmen stellen einen guten und repräsentativen Querschnitt der OTC-X Unternehmen dar. Trotz geringer Publikationsanforderungen im Bereich der ausserbörslich gehandelten Aktien haben erstaunlich viele Unternehmen ESG-Kriterien in ihre Geschäftsstrategie schon integriert oder sind dabei, entsprechende Änderungen zu implementieren. Das stimmt hoffnungsvoll mit Blick auf Lösungen für die brennenden Probleme der Zeit. Wie es scheint, sind die mittelständischen Unternehmen des OTC-X Universums nicht hintendran im Vergleich zu Unternehmen mit Kotierung, sondern haben vielleicht sogar die Nase vorn. Ob dies tatsächlich so ist, werden ESG-Umfragen von schweizeraktien.net in den nächsten Jahren zeigen.

Wir haben die Ergebnisse der ESG-Umfrage im Rahmen eines Webinars auf Zoom am 8. September 2021 präsentiert. Sie können sich die Aufzeichnung des Webinars hier anschauen: „Nachhaltiges Wirtschaften entsteht oft aus einem Kundenbedürfnis“

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