Wer auswärts persönlichen Kaffee will, muss regelmässig seinen Vornamen buchstabieren – und die Terminologien seiner Anbieter kennen. Damit Schluss machen will ein Start-up aus Genf. Es verspricht den Bio-Lieblingskaffee aus frischen Zutaten – in Selbstbedienung.
Wenn Marketing-Strategien und Kundennutzen insgeheim auf Kriegsfuss stehen, kann das Resultat erheiternd bis nervtötend ausfallen. Gewisse grosse Kaffeehäuser etwa kennen wohl aus Prinzip keinen kleinen und kurzen Kaffee – nein, «tall» muss er sein. «Venti» indes, auf Deutsch einfach «zwanzig», ist wiederum der Code für den extragrossen Becher – in diesem Fall muss selbst die südländische Muttersprachlerin entnervt die Segel streichen. Kommt dazu, dass der besagte Kaffeemulti die plastikverkleideten Wegwerfbecher gerne mit den jeweiligen Kundennamen versieht – zwecks persönlichen Ausrufens nach dem Aufbrühen. Nicht jede und jeder mag das – ganz besonders dann nicht, wenn es in eine frühmorgendliche Buchstabierübung ausartet. Das Start-up mia&noa will einen anderen Weg gehen. Es verspricht Gourmetkaffee ohne Verpackungsmüll, ohne Servicepersonal – aber dennoch komplett individualisierbar.
Zielgruppe: Umweltbewusste Kaffeeliebhaber, die gerne etwas mehr bezahlen
«Der Kaffeemarkt ist hart umkämpft. Wir möchten darin einen Weg gehen, den so bisher noch kein Anbieter gegangen ist», sagt Maren Knief Clerc, Gründerin des Genfer Unternehmens mia&noa. Das Prinzip: Kundinnen und Kunden sollen komplett einwegfrei und kontaktlos ihren Lieblingskaffee aus einer Maschine erhalten, die mit hoher Kadenz gewartet und stets mit frischer Milch und Bohnen bestückt wird, die nicht länger als 24 Stunden in der Kaffeemühle liegen. «Wir grenzen uns damit einerseits klar von den Anbietern ab, die mit haltbaren Pulvern oder ebensolchem Milchersatz arbeiten. Andererseits bieten wir per App eine Personalisierung und Kundenbindung, die es in der Form noch nicht gibt.» Die Kunden von mia&noa definieren also im Voraus per Smartphone, wie gross, stark bzw. süss ihr Lieblingskaffee daherkommt – und ob sie lieber Frischmilch oder eine ebenfalls frische Schweizer Hafermilch bevorzugen.
«Aufgebrüht wird von unseren Spezialmaschinen in edlem Marmor-Design, die im Turnus von unserem Einsatzteam gewartet – und nur mit der gerade nötigen Menge an Bohnen bestückt werden.» Nötige Menge? In Zusammenarbeit mit dem OPI hat das Start-up einen Algorithmus entwickelt, der den zu erwartenden Verbrauch gemäss diversen Parametern wie Wochentag und Wetter vorhersagt. «Damit vermeiden wir Food Waste, also Lebensmittelverschwendung, die bei Lebensmittelanbietern queerbeet ein grosses Thema ist», so Knief Clerc. Zudem seien kein Einwegmaterial und keine Einwegbecher im Einsatz, sondern die Kunden bringen ihre eigene Tasse mit. «An Hochschulen und in Bürogebäuden oder Fabriken ist das ja schon gang und gäbe» – an Standorten wie etwa Einkaufszonen gehe es darum, dass umweltbewusste Kaffeegeniesser eine Vorreiterrolle einnehmen würden. Die Genfer Umweltpolitik kommt mia&noa in dieser Hinsicht sehr gelegen: Ab 2025 darf im welschen Kanton in der Gastronomie nämlich kein Einwegmaterial mit Plastikanteil mehr verwendet werden. Denn mia&noa-Kunden erfahren auch per App, wieviel Food Waste und CO2 sie mit ihrem Verhalten einsparen helfen.
Direktvertrieb, Franchise oder «White Label» – und ein neues Pricing-Konzept
«Die mia&noa-Kaffeebars betreiben wir entweder selbst oder vermieten sie an unsere B2B-Franchisepartner, die uns eine Systemmiete und eine Lizenzgebühr entrichten», erklärt Maren Knief Clerc. Die dritte Option nennt sich «white-label»: In diesem Fall können bestehende Kaffeemarken die mia&noa-Technologie lizensieren – und dann alle Tools und Funktionen nutzen, um automatisierte Kaffeebars unter ihrer eigenen Marke zu betreiben. «Das schliesst unsere Betriebs- und Marketing-Tools ein – ebenso wie eine individuell gestaltete Version der mia&noa-App.» Das Start-up lässt seinen Kunden und Kundinnen überdies komplett freie Hand beim Pricing. «Der QR-Code auf jedem Mehrwegbecher oder jeder Lieblingstasse beinhaltet nicht nur das persönliche Kaffeerezept. Unsere Maschinenmieter können vielmehr jeder Kundengruppe einen anderen Preis anbieten, wenn das betrieblich für sie Sinn macht.» Ein Beispiel: Ein Unternehmen möchte an seinem Hauptsitz den Kaffee mit 20% Rabatt an die Mitarbeitenden abgeben, Externen zum vollen Preis verkaufen – und Besucher spezieller Events gratis bedienen. «Das ist alles möglich, weil wir ja die einzelnen Kunden und ihr Kaffeeverhalten kennen.» Die Daten werden anonym gespeichert – sie erlauben aber natürlich individuelle Promotionen, Gratifikationen und personalisierbare Infos zu den relevanten Genuss- und Umweltthemen. «Auch dieser Ansatz der Zweiweg-Kommunikation per Kaffee-App ist in der Grossgastronomie völlig neu», so Knief Clerc.
Chancen, Gefahren und die nächsten Schritte hin zu liquiden Mitteln
Die Strategie von mia&noa besticht durch den konsequenten Ansatz, biologisch angebauten, fair gehandelten Gourmet-Kaffee nachhaltig und abfallfrei auszuschenken – ganz ohne Einsatz von Arbeitskräften an jeder Kaffeebar. Das Genfer Verbot von Einwegbechern könnte überdies in anderen Schweizer Städten Schule machen, die mit umweltfreundlicher Legislatur eine Vorreiterrolle übernehmen möchten. In diese Bresche springt auch das Startup «Kooky», das bisher in Zürich, Basel und Bern Präsenz zeigt. Es stellt Mehrwegbecher für 10 Rappen zur Verfügung, sofern die Kunden sie wieder retournieren. In der sehr empfindlichen Preisfrage muss mia&noa wohl vehement den Beweis erbringen, dass der «edle Automatenkaffee» einem Barista-Aufguss in nichts nachsteht. «Unsere Bohnen stammen von der Berner Rösterei Blaser, die dieses Jahr ihr hundertjähriges Bestehen feiert», sagt die Genfer Gastronomin. Zudem hat mia&noa ab 2023 höchst ehrgeizige Wachstumsziele, die sich nur erreichen lassen, wenn Vertreter der Grossgastronomie – mit ihren zahlreichen Verkaufspunkten – dem Projekt und der neuen Technik ihr Vertrauen schenken. Das Start-up muss die richtigen Finanzierungspartner für seine Entwicklung finden und den sogenannten «Gender Gap» umschiffen. Weltweit haben es junge Firmen, die von Frauen gegründet wurden, nach wie vor schwerer, an die nötigen liquiden Mittel zu kommen.
Gemäss Maren Knief Clerc spricht das rege Interesse diverser Grossbetriebe aktuell aber für sich. Bis Ende November will sich mia&noa nun 500‘000 Franken Kapital per Crowdfunding besorgen. Weitere 1,5 Millionen Franken sollen in den nächsten sechs Monaten von Business Angels und institutionellen Investoren dazukommen. Seit dem 1. Oktober 2022 sind die Anteilsscheine des Kaffee-Start-ups auch über daura erhältlich – die Plattform für digitale Unternehmensbeteiligung. 2025 möchte mia&noa den ersten Gewinn ausweisen, projektiert sind 1,5 Millionen Franken. Die EBITDA-Marge soll dann 4,2% Prozent betragen – und sich bis 2027 Richtung 8,8% entwickeln. 4000 Kunden werden derzeit schon mittels fünf mia&noa-Maschinen bedient. Bisher hat noch keine davon ihre Kunden gebeten, den eigenen Namen zu buchstabieren. Apropos: Mia und Noah gehören in der Schweiz seit Jahren zu den häufigsten Babynamen. «Wir haben unsere Firma so genannt, weil wir ohne Fingerzeig – aber mit Gedanken an die nächsten Generationen – nachhaltig sein möchten.»