Die dieses Jahr zum zweiten Mal von schweizeraktien.net durchgeführte ESG-Umfrage stiess bei den KMU auf offene Ohren: 44 Unternehmen aus dem OTC-X-Universum nahmen teil, und damit 15,8% mehr als bei der Erstumfrage. Die Transparenz stieg deutlich, die Teilnehmer beantworteten im Durchschnitt 92,5% der Fragen. Manche Entwicklungen gewinnen erkennbar klar an Momentum, in einigen relevanten ESG-Punkten herrscht aber auch noch Stillstand – vor allem im Bereich Governance.
Dieses Jahr stehen Management und Verwaltungsräte mit der anziehenden Inflation, den Engpässen bei der Versorgung mit Energie und Rohstoffen, der erneuten Frankenstärke und dem Fachkräftemangel vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen. Dennoch fanden immerhin 44 der 155 angeschriebenen KMU, deren Aktien auf OTC-X gehandelt werden, die Zeit, um die 3 x 10 Fragen zu Umwelt, Sozialem und Governance zu beantworten. Der Rücklauf stieg sogar von 22,2% in 2021 auf nun 28,4%.
Positives Momentum bei Umweltfragen
Nachhaltiges Wirtschaften steht eben nicht im Widerspruch zu unternehmerischem Handeln, sondern ist vielmehr ein wichtiger Teil davon. Das haben die teilnehmenden Unternehmen erkannt. Beispielsweise sagen dieses Jahr 84,1%, dass sie den Anteil Erneuerbarer Energien an ihrem Energie-Mix erhöht haben und dies auch in den nächsten zwei Jahren tun wollen. Letztes Jahr lag der Vergleichswert bei 71,1%. Zweifellos spielen die gestiegenen Energiekosten und auch der Autarkiegedanke hierbei eine Rolle, dennoch ist die Reduzierung der Emissionen der bereits seit längerem verfolgte Hauptzweck und damit der bestimmende Faktor.
Bewusstsein für Problemfelder geschärft
Auffällig beim Vergleich mit dem Vorjahr ist, dass deutlich weniger «unbekannt» und «nicht beantwortet» vorkommen. Daraus lässt sich konkludieren, dass sich die Entscheidungsträger in den KMU inzwischen auch mit den nicht ganz so offensichtlichen Fragen auseinandergesetzt haben. Ein typisches Beispiel dafür ist, ob es einen klar definierten Compliance Officer gibt, an den sich Mitarbeitende bei Missständen wenden können. Letztes Jahr beantworteten 18,2% der Teilnehmer die Frage nicht, dieses Jahr wurde sie von allen beantwortet. Waren es 2021 noch 39,5%, die mit Ja antworteten, so sind es bei der zweiten ESG-Umfrage jetzt 70,5%. Das ist eine Frage, bei der die Verbesserung zu beeindrucken vermag.
Breite Teilnahme aller Industrien
Die Umfrage wurde vom 18. Juli 2022 bis 30. September 2022 mit der Umfragesoftware Surveymonkey durchgeführt und ist wiederum repräsentativ. Alle auf OTC-X vertretenen Industrien haben in ausreichender Zahl teilgenommen. 14 Unternehmen sind dem Sektor Tourismus und Bergbahnen zuzurechnen, 10 sind Regionalbanken, jeweils sieben entstammen der produzierenden Industrie und der Energieversorgung. Weiterhin sind Casinogesellschaften, Nahrungsmittel- und Kosmetikunternehmen vertreten.
Erweiterte Grundgesamtheit
Die meisten Teilnehmer waren im Vorjahr dabei. Manche Teilnehmer sind jedoch weggefallen und neue hinzugestossen. Beispielsweise stieg die Anzahl der teilnehmenden Energie-Unternehmen um 75% an. Die Grundgesamtheit hat sich erweitert, aber auch verändert. Eine Konsequenz, die zumindest intuitiv nicht ganz ins Bild zu passen scheint, zeigt die erste Frage. Die lautet: Hat Ihr Unternehmen einen Plan zur schrittweisen Verbesserung der Nachhaltigkeit, welcher sich an den Klimazielen ausrichtet? Letztes Jahr bejahten überraschend hohe 76,3% die Frage, dieses Jahr nur 72,7%. Die Frage berücksichtigt allerdings nicht, dass es auch mehrere teilnehmende Energieunternehmen gibt, die keinen solchen Plan haben, und zwar, weil ihr einziger Geschäftszweck die Stromproduktion ausschliesslich aus Erneuerbaren Energien ist.
Gesteigerte durchschnittliche Transparenzquote von 92,5%
Abgesehen von der erstaunlich hohen durchschnittlichen Transparenznote von 92,5% ist es natürlich vor allem die qualitative Positionsbestimmung, die anhand der Antworten zu den 3 x 10 Fragen in den Segmenten Umwelt, Soziales und Governance den Gegenstand der Umfrage bildet. Die Qualität ergibt sich aus einer möglichst hohen Anzahl von Ja-Antworten, je mehr, desto besser.
Espace Real Estate und Plaston Holding auf Top-Spot
Mit jeweils 26 Ja-Antworten teilen sich dieses Jahr Espace Real Estate und Plaston Holding im Ranking den ersten Rang. Position drei belegen mit je 25 Ja-Antworten Cendres+Métaux sowie Grand Resort Bad Ragaz. Auf Rang fünf folgen mit 24 Ja-Antworten Griesser Holding und Energie Zürichsee Linth. Position sieben teilen sich mit 23 Ja-Antworten Schweizer Zucker und Weleda. Rang neun teilen sich Dolder Hotel, Raurica Wald und Weiss + Appetito.
Ja-Antworten steigen in allen drei Bereichen
Positiv zu beurteilen ist, dass die Durchschnittswerte in allen drei Segmenten angestiegen sind. Im Umweltbereich stieg die durchschnittliche Zahl der Ja-Antworten von 5.68 auf 6.07. Im Bereich Soziales wurde mit 7.41 der höchste Wert verzeichnet, nach 7.00 im Vorjahr. Von 4.63 auf 4.82 stieg der Durchschnittswert im Segment Governance. Das Ranking nach Segmenten zeigt, dass von den Top-Spots abgesehen weitere teilnehmende Unternehmen Vorbildcharakter haben. So belegt Engadin St. Moritz Mountains im Governance Ranking zusammen mit anderen Unternehmen Rang vier. Im Bereich Soziales belegt Dolder Hotel mit anderen Teilnehmern Rang eins, und Rang fünf teilen sich CKW, Bank Zimmerberg, WIR Bank, Rigi Bahnen, SSE und Stadtcasino Baden. Im Umweltbereich teilen sich Bad Schinznach, Thermalbad Zurzach, Bernexpo und ADEV Solarstrom Position vier mit anderen.
Wasserverbrauch und Luftqualität als Blind Spots
Trotz des hohen Durchschnittswertes von 6.07 bleibt im Bereich Umwelt noch Raum für Verbesserungen. Einige kritische Punkte sind ganz allgemein in der Diskussion vernachlässigt worden. Dies trifft insbesondere für den Wasserverbrauch und die Luftqualität in Büro und Produktion zu. Ist der Wasserverbrauch in den letzten zwei Jahren bei gleichbleibender Wasserqualität gesunken? Diese Frage wird nur von 36,4% bejaht, 20,5% sagen Nein, aber 9,1% beantworteten die Frage nicht, und 34,1% sagen «unbekannt». Dagegen sagten dieses Jahr deutlich gesteigerte 81,8% der Teilnehmer, dass sich ihr Müllaufkommen in den letzten zwei Jahren reduziert hat und weiterhin vermindert werden soll.
Industriespezifische Unterschiede
Im Bereich Soziales haben sich viele Werte auf dem hohen Niveau des Vorjahres gehalten, verbessert oder leicht vermindert. Zu den kritischen Fragen zählt unverändert, ob Programme installiert sind, um die Chancengleichheit aller Mitarbeitenden mit Blick auf Karriere und Aufstiegsmöglichkeiten zu verbessern. 2021 hatten 44,7% der Teilnehmer bejaht. Dieses Jahr sagen zwar 50% Ja, doch auch die Nein-Antworten stiegen fast gleich stark auf 43,2%. Dafür beantworteten nur 6,8% die Frage nicht, gegenüber 15,8% im Vorjahr. Bei dieser Frage zeigt sich auch besonders deutlich, dass die verschiedenen Industrien unterschiedlich ticken. So haben 80% der 10 teilnehmenden Regionalbanken keine Programme zur Verbesserung der Chancengleichheit etabliert. Aber alle sieben Industrieunternehmen haben solche Programme, also 100% Ja-Antworten. Im Tourismus-Bereich liegt die Ja-Quote bei 50%, bei den Energieunternehmen bei 57,5%.
Verhaltenskodex bei 77,3% der Teilnehmer etabliert
Zu den eindeutig positiven Entwicklungen zählt, dass dieses Jahr 77,3% der teilnehmenden Unternehmen einen verbindlichen Verhaltenskodex etabliert haben, der ethische Verhaltensgrundsätze definiert und verlangt. Letztes Jahr lag der Wert noch bei 55,3%. Einen Sonderfall bildet vielleicht das Lohnthema, weil es heikel ist und aus verständlichen Gründen manchmal streng geheim gehandhabt wird. Die Frage lautet: Sind die Löhne der unteren Lohnstufen in den letzten zwei Jahren mit gleichem oder höherem Prozentsatz wie die höchsten Löhne gewachsen und soll diese Entwicklung gemäss Planung auch in den nächsten zwei Jahren so weitergehen? Hier nahm bei den Antworten der Anteil derer, die die Frage nicht beantworteten, um fast fünf Prozentpunkte auf 20,5% zu. Mit Ja antworteten 70,5%, gut 3% weniger als im Vorjahr.
Verbesserungspotenzial in der Governance
Bei den Fragen zur Governance sticht ins Auge, dass viele Ergebnisse nahezu unverändert sind. Bei unveränderten 69,5% ist ein Vergütungssystem für die Mitglieder von Geschäftsleitung und Verwaltungsrat inklusive einer Höchstgrenze für Vergütungen festgelegt. Und unveränderte 47,4% geben Informationen über die Zusammensetzung des Aktionariats inklusive der Namen von Mehrheitsaktionären.
Zu den eindeutig positiven Veränderungen zählen die Antworten bei der Frage, ob alle amtierenden Verwaltungsratsmitglieder an mindestens 75% der Sitzungen teilgenommen haben, ausgenommen Fälle mit schlüssiger Begründung. 97,7% antworteten mit Ja, nach 55,3% in 2021. Die Nein-Antworten fielen von 36,8% auf null. Und nur 2,3% beantworteten die Frage nicht.
Bei einer Reihe von Fragen gab es aber auch Rückschritte zu verzeichnen. Bei nur 31,8% ist die aktuelle Wirtschaftsprüfungsgesellschaft weniger als 10 Jahre beauftragt. Letztes Jahr waren es noch 47,4%. Auf Nein entfallen deutlich gesteigerte 59,1%. Bei der Frage, ob eine Informationsordnung für GV und Aktionäre seitens des Verwaltungsrates besteht, sagten nur 47,7% Ja. Vergangenes Jahr waren es noch 60,5%.
Fazit
Bei der zweiten ESG-Umfrage von schweizeraktien.net nahmen nicht nur 15,8% mehr OTC-X gelistete KMU teil als im Vorjahr, auch die Transparenz stieg und, wichtiger noch, die Qualität der Ergebnisse nahm gegenüber den Werten der Erstbefragung vor einem Jahr ebenfalls deutlich zu. Die Bilanz ist somit eindeutig positiv zu bewerten. Aus dem Austausch mit den teilnehmenden Unternehmen ist auch klar geworden, dass die Initiative von schweizeraktien.net teilweise schon offene Türen vorfand, teilweise aber auch bislang geschlossene Türen öffnen konnte. Immerhin sind die Unternehmen, deren Aktien ausserbörslich gehandelt werden abgesehen von den essenziellen Zahlen keinerlei Publikationspflichten unterworfen, schon gar nicht zu Nachhaltigkeitsparametern. Das Obligationenrecht ist massgeblich. Umso aussagekräftiger sind die Antworten zu den 3 x 10 Fragen zu Umwelt, Sozialem und Governance, da sie völlig ohne Zwang oder Verpflichtung aus eigenem Antrieb und Streben nach Transparenz gegeben wurden.
Die Ergebnisse sind durchaus vielsagend. Sie zeigen, dass die befragten KMU gute «Corporate Citizen» sind, denen neben Wachstum im Kerngeschäft und Gewinnerzielung die Kundenbedürfnisse, Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeitenden sowie auch die Belange der Region inklusive Flora und Fauna wichtig sind. Die ESG-Umfrage hat bereits im Vorjahr den Blick für einige Problemzonen geschärft, was sich in den teils deutlichen Verbesserungen dieses Jahr niederschlägt. Damit hat die Mission, als KMU-Netzwerk gemeinsam bessere Lösungen für die Probleme unserer Zeit zu finden und umzusetzen, einen guten Anfang genommen. Und wie schon Aristoteles wusste, ist ein guter Anfang die Hälfte des Ganzen!
Hinweis in eigener Sache: Am 18. November 2022 findet der Workshop «ESG Reporting» statt. In diesem Rahmen wird auch die aktuelle Studie vorgestellt. Weitere Informationen und eine Anmeldemöglichkeit finden Sie hier.