Im Kultfilm «Tron» aus den 1980er-Jahren gerät ein Programmierer in die Welt seines eigenen Computerspiels und muss um sein Leben kämpfen. In der Raumschiff-Enterprise-Franchise begibt sich die Mannschaft unter Captain Picard aus Trainingszwecken auf eine Holodeck. Dort ist es möglich, die Weltmeere auf einem traditionellen Skipper zu durchpflügen. Natürlich ist die heute erlebbare virtuelle Realität noch Ionen von diesen Fantasien entfernt. Dennoch haben sich viele Bereiche unserer Umwelt stark virtualisiert.
Einen markanten Schritt in die virtuelle Realität vollzog der Milliarden-Konzern Facebook. Zuerst beschliesst Firmengründer Mark Zuckerberg vor einem Jahr eine Namensänderung in Meta: Klingt wie eine Abkürzung von Metaverse – der generellen Bezeichnung von digitalen Parallelwelten. Andererseits tätigte der immer noch jugendlich scheinende Unternehmer Milliardenbeträge in die Weiterentwicklung von virtuellen Plattformen. Unternehmen zahlreicher Branchen sehen sich seither gefordert, Geschäftsmodelle für das Metaverse zu entwickeln. Der Immobiliensektor scheint hier eine virtuelle Lösung für die Bodenknappheit oder steigende Landpreise gefunden zu haben. Über Plattformen wie Sandbox oder Decentraland kaufen Plattform-Anwender bereits heute Parzellen in einem Paralelluniversum.
Die Registrierung in der Sandbox ist sehr niederschwellig: Zuerst muss der neue Anwender seinen Avatar wählen und ausstatten. Dieser kann sich hüpfend, schreitend oder im Gangman-Style fortbewegen. Der Kontakt mit der monetären Realität ist aber nur ein paar Klicks entfernt. Auf einem grünen Grund mit gleichfarbigen Feldern steht ein oranges Feld für 7’000 USD, d.h. dem Äquivalent von 5.5 Ethereum zum Verkauf. Das entspricht ziemlich genau dem Quadratmeterpreis für eine reale Parzelle zwischen dem Zürcher Hauptbahnhof und dem Paradeplatz. Also die höchste Karte bei Monopoly. Angebote willkommen. Vertrauenserweckend wirkt nicht unbedingt, dass die Gegenpartei nur mit einem Kürzel auftritt und sich als stark verpixelter Roboter porträtieren lässt. Der Avatar steht auf seiner winzigen Parzelle – und was nun?
Keine Fesseln durch Mieterschutz
Der stolze Neubesitzer einer Parzelle erwirbt sich das Recht, diese so zu nutzen, wie es ihm gefällt. Oft ist eine kommerzielle Nutzung im Vordergrund, aber nicht nur. In der Sandbox zum Beispiel darf der Anwender auch Spiele entwickeln, wobei ihn die Plattform dabei mit einer intuitiven Toolbox unterstützt. Wer darauf keinen Wert legt, wird – wie ihm realen Leben – danach trachten, eine anständige Rendite zu erzielen zum Beispiel mit einer Zwischenvermietung an andere Anwender. Für die Festsetzung der Miete gibt es keinerlei Fesseln oder Regeln. In der Anleitung zu Sandbox steht der ermutigende Satz: Landbesitzer können selbst entscheiden, wie hoch die Miete sein soll. Allerdings, so die Anleitung, sollte der Besitzer sich an bestimmten Leitplanken orientieren, zum Beispiel die Nähe zu sogenannten Social Hubs. Der Mieter darf auf seiner Fläche selber Spiele entwickeln, wobei der Vermieter nicht am Gewinn beteiligt ist.
Wie bei allen frei handelbaren Gütern wird der Wert einer Metaverseparzelle durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Je attraktiver ein Stück des digitalen Bodens ist, desto mehr wird dafür bezahlt. Je mehr Spieler sich in der Nähe des eigenen Grundstückes im Schnitt aufhalten, desto mehr Ertrag kann theoretisch mit der Parzelle generiert werden, was wiederum einen höheren Preis rechtfertigt. Lagequalität ist aber auch ein Thema. Als besonders gut gelegen gelten Grundstücke, welche möglichst nahe beim Spieleinstiegsorts liegen oder sich in Gegenden befinden, an welchen sich bereits andere attraktive Spielinhalte und Angebote befinden. In einem Punkt unterscheiden sich reale und virtuelle Immobilien aber deutlich: Während in der realen Welt Land grundsätzlich ein knappes, beschränktes Gut ist, kann im Metaverse quasi per Mausklick einfach neues erschaffen werden. Sei es in der Spielwelt, in der man investiert ist oder über die Entstehung immer neuer, konkurrierender Metaverseprojekte (siehe Grafik 1).
Markt in den Kinderschuhen
Der Markt für virtuelles Land ist derzeit noch überschaubar und handelt mit sehr kleinen Volumen. Getrieben durch den Hype entstehen unweigerlich Preisblasen, wie sie auch bei Kryptowährungen zu beobachten sind. Anfang Januar 2021 wurde beispielsweise in der Sandbox die durchschnittliche Landparzelle noch für unter 150 USD verkauft. Nach einem längeren, stetigen Preisanstieg wurde der virtuelle Boden Ende Oktober für rund 2’500 USD gehandelt, was bereits einem Preisanstieg von etwa 1’550% entspricht. Die Ankündigung einer ersten, öffentlich zugänglichen Alphaversion des Spieles katapultierte die gehandelten Preise auf über 16’000 USD. Einen ordentlichen Reibach durften auch die Landbesitzer beim Mitbewerber Decentraland erleben. Laut dem Creative Director des Unternehmens gingen die ersten Landverkäufe mit einem Preis von 20 USD über die Bühne. Heute ist die billigste Parzelle bereits 3’500 US-Dollar wert. Letztes Jahr kaufte das Krypto-Unternehmen Token.com eine Parzelle in der Nähe der virtuellen Bahnhofstrasse mit vielen Modegeschäften. Zu einen Rekordpreis von 2.49 Millionen USD (siehe Grafik 2).
Die Blasenbildungen in der Preisentwicklung sollten die Nerven der Anleger noch einige Zeit auf Trab halten, denn das Potenzial von Sandbox, Decentraland und was noch kommen mag, ist bisher nur zu einem geringen Teil ausgeschöpft. Die Welt der Spiele, die das Gros der zahlungswilligen Anwender anziehen soll, befindet sich noch in einer frühen Entwicklungsphase. Zudem ist die Zukunft von den virtuellen Landschaften an die Weiterentwicklung des Metaverses gebunden. Ausschlaggebend ist hier vor allem die Frage, wann das Metaverse massentauglich wird. Das ist nicht zuletzt auch von kulturellen Faktoren abhängig. Gaming hat in Europa noch den Beigeschmack von ungelüfteten Teenager-Buden, während es sich in Asien zu einem wahren Volkssport entwickelt hat. Der Verdacht liegt bei vielen Projekten nahe, dass vor allem der Handel mit digitalem Boden im Vordergrund steht und weniger die Erschaffung eines tatsächlichen Metaverse. Als Käufer, welcher nicht nur auf kurzfristig steigende Preise spekuliert, wettet man schlussendlich darauf, dass in Zukunft tatsächlich ein Produkt entsteht, welches auch Spieler und andere Investoren anziehen wird. Dass grosse Unternehmen wie Meta (Facebook) ihr Interesse an der Entwicklung eigener Metaverseprojekte geäussert haben, könnte ein Hinweis sein, dass sich in Zukunft tatsächlich rege genutzte, digitale Parallelwelten etablieren werden. Heute abzuschätzen, welche dies sind, ist aber schlicht unmöglich. Wer mit viel Glück auf das richtige Pferd setzt, wird stark profitieren können. Die Wahrscheinlichkeit, sein Geld in ein zukunftsloses Projekt zu stecken, ist aber um ein Vielfaches grösser.