Eskimo Textil AG und Tonwerk Lausen: «Exotische» Gesellschaften, die Zeitzeugen der Veränderung der Schweizer Wirtschaft sind, gehörten im vergangenen Jahr zu den besten Performern unter den nicht kotierten Aktien. Den Aktionären der beiden Gesellschaften ist dies aber herzlich egal.
Wer die Liste mit den besten Kursentwicklungen am Markt für nicht kotierte Aktien durchgeht, stösst unter den Siegern etwa auf die wenig bekannten Unternehmen Eskimo Textil AG (Performance 2022: +75,5%) und Tonwerk Lausen AG (+49%). Obwohl ersteres Unternehmen auf der Plattform OTC-X der Berner Kantonalbank (BEKB) im Industrie-Index und letzteres im Index Immobilien geführt wird, haben die beiden Unternehmen viel gemeinsam. Beides sind ehemalige Industriekonzerne, die sich mittlerweile um die Entwicklung der ehemaligen Produktionsbetriebe kümmern und zu Immobiliengesellschaften gewandelt haben. Die Eskimo Textil AG führt noch einen Textilhandelsbereich.
Als erstes relativiert sich die Kursperformance, wenn man den Handelsumsatz dieser Unternehmen betrachtet. Von der Eskimo Textil AG gingen im vergangenen Jahr zwei Aktien um – eine am 29. März 2022 zu 15’100 CHF, am folgenden Tag eine für 19’300 CHF. Für die Aktien von Tonwerke Lausen gab es einen Abschluss im 2022. Am 18. Mai wechselten 3 Titel zu 16’390 CHF den Besitzer. im Orderbuch der OTC-X werden keine oder kaum Titel zum Verkauf angeboten. Eine Gemeinsamkeit der beiden Unternehmen ist, dass man als Nicht-Aktionär kaum an Informationen, geschweige denn Zahlenmaterial herankommt. Der Geschäftsbericht geht nur an eingetragene Aktionäre, diese sind eine eingeschworene Gemeinschaft.
Es wird nicht verkauft
Freundlich, aber bestimmt werden Anfragen von der Geschäftsleitung abgewimmelt. «Wir sind ein Familienunternehmen, unsere Aktien werden kaum gehandelt. Eher noch werden sie von bisherigen Aktionären weitervererbt», heisst es etwa bei Eskimo. «Wir wollen nicht verkaufen», sagt ein Aktionär des Tonwerks Lausen. Deshalb interessiert der Kursverlauf an der OTC-X und das Agio wenig. «Entscheidend sind ein nachhaltiger Cashflow und ein tiefes Fremdkapital, und das bietet das Unternehmen». In einem Interview mit dem «Landboten» im Jahr 2018 gab der damalige CEO der Eskimo Textil an, dass für das Vorjahr ein Gewinn von 1,8 Mio. CHF ausgewiesen wurde, der «direkt an die Aktionäre ausbezahlt werden konnte».
Beide Unternehmen blicken in ihrer Geschichte bis zu den Anfängen der Industrialisierung der Schweiz zurück und sind mit ihrer Wandlung Zeitzeugen vom Übergang von der industriellen zur Dienstleistungswirtschaft. Dann gibt es noch eine weitere enge Verbindung von Eskimo Textil AG und Tonwerk Lausen AG, auf die später eingegangen wird.
Bekannte Produkte
So wenig die beiden Unternehmen aber in der breiten Bevölkerung ein Begriff sind, so bekannt sind die Produkte dieser zwei «Exoten». Die meisten älteren Schweizer Männer haben mit ihr schon die Nacht verbracht – und auch Frauen in SAC-Hütten und Massenlagern – mit der kratzigen, braun-grauen Schweizer Armeewolldecke mit dem dicken roten Streifen und dem Schweizerkreuz. Diese kommt aus dem Turbenthal aus den ehemaligen Werken der Eskimo Textil AG. Auf den Platten der Klinkerböden des Tonwerks Lausen sind hierzulande auch schon die meisten gestanden – oder haben sich an einem Speicher- oder Kaminofen dieses Unternehmens gewärmt.
Die Eskimo AG entstand aus der Baumwollspinnerei Turbenthal und der Tuchfabrik Pfungen. Erstere wurde 1825 und Letztere 1854 während der Industrialisierung des Zürcher Tösstals gegründet. Angesichts der grossen Konkurrenz im Schweizer Textilmarkt und einer schwachen Konjunktur streckten die Unternehmen im letzten Jahrzehnt des vorletzten Jahrhunderts ihre Fühler nach Partnern aus. Im Jahr 1900 schliessen sich die Firmen zusammen, und die «Schweizerische Decken- und Tuchfabrik Pfungen-Turbenthal AG» wird ins Handelsregister eingetragen. Das Produkteangebot umfasst Decken, Militärtuch, Halbleinen, Flanelle, Herrenstoffe und Schuhflanelle.
Keine Chance gegen Billigprodukte aus Asien
Doch mit der Flut an Billigprodukten aus Asien kann das Unternehmen nicht konkurrieren. Im Jahr 2003 verstummen die Textilmaschinen, und der Maschinenpark wird verkauft. Das Unternehmen fokussiert sich auf den Handel mit Textilien und den Betrieb von Fabrikläden – immer mehr Gewicht erhält der kontinuierlich aufgebaute Immobilienbereich. So wandelten sich die ehemaligen Produktionshallen erst zu Gewerbeimmobilien und dann verstärkt zu grosszügigen Loftwohnungen.
Zur Blütezeit der Textilherstellung beschäftigte das Unternehmen über 400 Mitarbeitende. Heute verantworten rund 20 Personen den Textilhandel und die stetig ausgebaute Bewirtschaftung alter und neuer Immobilien in Turbenthal und Pfungen. Nach dem unerwarteten Tod des Geschäftsführers Ralph Aemissegger übernimmt seine Tochter Nina Strapp-Aemissegger 2021 die Geschäftsleitung in der fünften Generation. Die junge CEO nimmt gerade ein halbjähriges Time-out, da sie vor Kurzem Mutter geworden ist.
Immobilie mit integriertem Bahnanschluss
Das Tonwerk in Lausen wurde im Jahr 1872 als Produktionsstandort gegründet. Bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts arbeiteten rund 200 Personen im Werk in der basellandschaftlichen Gemeinde Lausen – gleich neben Liestal. In den vergangenen 25 Jahren kam es aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu einer schrittweisen Reduktion der Kapazitäten respektive einer Verlagerung der ursprünglichen Produktionsstätte. Die Tochtergesellschaft, welche weiterhin die bekannten Tonwerk-Lausen-Speicheröfen herstellt, wurde veräussert und produziert nun im Nachbardorf. Das Produktionsunternehmen wandelte sich zur Immobiliengesellschaft. Seit 2017 wird das gesamte Tonwerk-Areal vollständig für Wohn- und Gewerbezwecke genutzt. Im Jahr 2008 kam der zentrale Bahnanschluss im ehemaligen Fabrikgelände hinzu, der eine weitere Aufwertung des Areals brachte.
Als Geschäftsführer der Immobiliengesellschaft, die das ehemalige Industrieareal entwickelt, amtet Joest Goebl, ein erfahrener Immobilienmanager, der auch andere, private Immobilienprojekte führt. Zuvor war Goebl auch schon für HIAG und Intershop tätig. Auf dem Areal des Unternehmens hat sich eine gemäss Branchenbeobachtern «ideale Mischung von Betrieben und Branchen» eingemietet, was zu einer guten Risikodiversität führe. So umfasst das Fabrikareal das Postverteilzentrum für das obere Baselbiet. Dieses wurde als Postverteilzentrum schon mehrfach ausgezeichnet. Zu erwähnen sind auch der Fitnessclub «Tonwerk vital» und die Veranstaltungslokalität «Tonwerk Studio»
Gemeinsam umnutzen
Sowohl Tonwerk Lausen als auch Eskimo Textil sind Mitglieder der Interessensgemeinschaft umnutzer.ch. Das ist eine Vereinigung, die sich auf die Umnutzung von Industriebrachen spezialisiert hat. Gemäss Website werden in der Schweiz «hunderte Industrieareale mit einer Gesamtfläche grösser als die Stadt Genf nicht genutzt». Dieses brach liegende Land an teils guten Lagen weist ein hohes Entwicklungspotenzial auf. Aber statt dieses Potenzial zu nutzen, werden Neubauprojekte oft auf der grünen Wiese realisiert. Deshalb hat das Bundesamt für Umwelt (BAFU) die Internetplattform umnutzer.ch lanciert. In der gemeinsamen Trägerschaft arbeiten die kantonalen Umweltfachstellen, der Schweizerische Städteverband sowie der Schweizerische Gemeindeverband mit.
Unter den vierzig Mitgliedern sind auch bekannte «Umnutzer» wie Zwicky & Co. AG in Wallisellen oder die Mühle Tiefenbrunnen in Zürich. Die Mitglieder tauschen sich an Treffen aus und unternehmen Studienreisen auch ins Ausland. Denn die Hinderungsgründe für eine Entwicklung sind oft fehlendes Know-how sowie die Angst vor Altlasten.
Stiefkinder im Handel
Beide Gesellschaften fliegen unter dem Radar der meisten Investoren. «Eskimo kenne ich, dank einer Wollendecke aus der Kindheit», meint ein Vermögensverwalter auf die Frage, ob die Titel der beiden Gesellschaften am Markt bekannt seien. Beide Aktien habe er in den vergangenen 25 Jahren aber nie besessen, weil kein Handel stattfindet. «Ich würde solche illiquide Titel auch niemandem zum Kauf empfehlen.» Aus seiner Sicht gehören auch die Aktien von Immobiliargesellschaft Viamala, Thusis, oder Tuwag Immobilien AG, Wädenswil, zur selben Kategorie. Diese Titel hätten seine Kunden dagegen schon besessen. Ein anderer Vermögensverwalter meint ebenfalls, Abschlüsse gebe es bei beiden Gesellschaften nur selten, da die Papiere in festen Händen sind. «Bei diesen Gesellschaften findet man als aussenstehende Person praktisch keine Informationen», fügt er an. Es gebe zudem Gesellschaften, welche nur ihnen genehme Mitbesitzer ins Aktienbuch eintragen.
Auf lange Sicht ist das Entwicklungspotenzial dieser Unternehmen aber durch die eigene Geschichte beschränkt. Die Entwicklungsmöglichkeiten gehen kaum über das eigene Areal hinaus.