Cyrill Zimmermann, Bellevue AM: «Die Bewertungen sind tatsächlich sehr attraktiv»

Dynamik und günstige Bewertungen im Healthcare-Sektor schaffen Anlage-Chancen

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Dr. Cyrill Zimmerman ist Head of Healthcare Funds & Mandates und Mitglied der Geschäftsleitung von Bellevue Asset Management. Er gründete Adamant Biomedical Investments im Jahr 2001 und leitete die Investmentboutique bis zu ihrer Übernahme durch Bellevue im Jahr 2014. Cyrill Zimmerman hält einen Doktortitel der Wirtschaftwissenschaften der Universität Zürich. Bild: zVg

Ob Life-Sciences, Künstliche Intelligenz, Energie oder Investments – die Welt braucht Experten, die tief in die Details eindringen und mit ihrer Expertise den Horizont der Gesellschaft erweitern. Es braucht aber auch Universalisten, die Informationen und Erkenntnisse von höherer Warte evaluieren, interdisziplinär denken, Zusammenhänge erkennen und die Plausibilität von Experten-Szenarien hinterfragen. Das Healthcare-Segment ist von neuen Erkenntnissen, technologischen Innovationen und einem enormen Entwicklungstempo geprägt, das weit über die Laborforschung hinausgeht. Was bringt KI für die Gesundheitssysteme? Wie kann dem Fortschreiten von Volkskrankheiten wie Diabetes, Adipositas und Alzheimer Einhalt geboten werden? Und welche Perspektiven bieten ausgesuchte Aktien und Investments im Healthcare Universum? Über diese und andere Fragen sprach schweizeraktien.net mit Cyrill Zimmermann, dem Head of Healthcare Funds & Mandates und Mitglied der Geschäftsleitung von Bellevue Asset Management.

«Das Thema Künstliche Intelligenz ist definitiv auch im Gesundheitsbereich angekommen», Cyrill Zimmermann

Herr Zimmermann, das beherrschende Ereignis und der wichtigste Impulsgeber an der Börse ist im Jahr 2023 die Künstliche Intelligenz, so wie es Covid-Vakzine 2020 und 2021 waren. Spannend und noch wenig durchleuchtet sind die KI-Innovationen im Healthcare-Bereich. Können Sie bitte unseren Leserinnen und Lesern einen kurzen Ein- und Überblick geben?

Das Thema Künstliche Intelligenz ist definitiv auch im Gesundheitsbereich angekommen. Es spielt sogar eine wichtige Rolle, denn KI wird bereits seit längerem eingesetzt. Die intelligenten Mensch-Maschinen-Schnittstellen erlauben es, dank der hohen Rechenleistung und der neuer Chip-Generation enorme Effizienzfortschritte und eine bessere Behandlungsqualität zu erzielen.

Welche Anlagemöglichkeiten erwachsen aus dem Konvergenzprozess? Gab es IPOs oder grosse VC-Finanzierungsrunden? Welche Geschäftsmodelle sind für die Kommerzialisierung geeignet?

Da KI-Anwendungen sehr rechenintensiv und aufwendig sind, sind in diesem Bereich eher die grösseren Firmen aktiv, denn sie können aufgrund grosser Datenpools und Ressourcen in Partnerschaften und Technologien investieren. IPOs gab es generell im Healthcare-Segment in den vergangenen 18 Monaten sehr wenige, und auch Finanzierungsrunden wurden eher gemieden. Techfirmen wie Nvidia liefern die technischen Möglichkeiten, die bei Diagnostik- und Medtechfirmen bereits bei einigen Produkten zur Anwendung kommen. Bei der Entwicklung von Medikamenten bei Biotech- und Pharmafirmen hilft KI, den Entwicklungsprozess zu beschleunigen und Muster von Nebenwirkungen besser zu erkennen. Das Ziel besteht in einem ersten Schritt, die Effizienz bekannter Abläufe und Verfahren zu beschleunigen. In der Zukunft wird man sicher versuchen, völlig neue Lösungen zu entwickeln.

Die Biotechnologie für die Human-Medizin wächst weiterhin überdurchschnittlich. Was können Sie über die langjährigen Zuwachsraten Biotech vs. Pharma und des Healthcare-Sektors vs. dem BIP-Wachstum sagen?

Die grossen Wachstumstreiber wie Überalterung, Veränderung des Lebensstils und Innovation sowie der Nachholbedarf nach medizinischen Produkten in den Schwellenländern dürften im Gesundheitssektor über die nächsten 10 Jahre global zu 5-6% Wachstum pro Jahr führen – oder anders ausgedrückt zu einem doppelt so starken Wachstum wie das lokale BIP. Hinsichtlich der Subsegmente gehen wir auf mittlere Frist von 3-4% Wachstum für Pharma und 10% für Biotech aus.

Das heisst, der Sektor ist und bleibt attraktiv, insbesondere Biotech. Die Dynamik in einzelnen Indikationsgebieten ist aber höchst unterschiedlich. Für Schlagzeilen selbst in der Boulevardpresse sorgten dieses Jahr Abnehmmittel, die eigentlich Diabetes- und Adipositas-Therapeutika sind, wie Wegovy. Wie bewerten Sie den Hype?

Die klinischen Daten bezogen auf Fettleibigkeit sind sehr interessant. Mit den neuesten Medikamenten ist eine Gewichtsreduktionen von 15-20% zu erreichen. Damit kann das Risiko von Herzversagen, Schlaganfall oder eines Herzinfarktes um 20% reduziert werden. Das Thema ist keineswegs nur ein kurzer Hype. Ein Blick in die USA zeigt, dass 1980 «nur» 13% der erwachsenen Bevölkerung fettleibig waren. Heute ist diese Quote bei alarmierenden 42%. So wurde das Thema jetzt sogar bei den United Nations adressiert. Dies ist eine äusserst spannende Ausgangslage, sodass wir in Kürze ein Produkt rund um das Gesundheitsthema Adipositas entlang der Wertschöpfungskette «Prävention/ Diagnose/ Behandlung/ Folgeerkrankung» lancieren werden. Vor allem der letzte Punkt ist wichtig, denn Übergewicht erhöht das Risiko, beinahe an allen grossen Volkskrankheiten zu erkranken, inklusive Diabetes.

Chart Novo Nordisk
Kursverlauf der Aktie des dänischen Pharmaherstellers Novo Nordisk (in DKK). Chart: google.com

Für Mounjaro, das neuartige Arzneimittel von Eli Lilly, kursieren Marktschätzungen, die einen potenziellen Jahresumsatz von über 100 Mrd. USD sehen. Ist das realistisch? Die Aktie ist der Star-Performer unter den Pharma-Titeln und jetzt mehr wert als Merck und Pfizer zusammen. Und Novo Nordisk ist nach LVMH das zweithöchstbewertete Unternehmen an den europäischen Börsen.

Natürlich wurde nach Veröffentlichung der Behandlungsresultate einiges eingepreist. Man muss die Titel aber im Detail analysieren. Grundsätzlich sind beide Titel eher hoch bewertet, wobei Novo Nordisk den Markt für Diabetesmedikamente dominiert und Eli Lilly bei Alzheimer weit vorne ist. Wegovy und Mounjaro sind wichtige Medikamente, werden den Markt aber nicht ewig für sich alleine beanspruchen. Schon jetzt befinden sich viele neue, vielversprechende Medikamente in der Entwicklung, welche als nächste Generation noch besser sein könnten.

Auch im Medtech-Segment ist aktuell wie etwa bei Ypsomed eine Aufbruchstimmung zu spüren, die von Innovationen und neuen Technologien angetrieben wird. Was können Investoren daraus machen?

Ypsomed ist im Bereich der Injektionssysteme sehr gut aufgestellt und hat eine führende Stellung bei der Selbstinjektion flüssiger Medikamente. Zudem ist das Unternehmen im Diabetessegment vor allem mit einem neuen System zur automatisierten Insulindosierung gut positioniert und kann in Zukunft auch dank der globalen Präsenz profitieren. Allerdings sollte man bei grösseren Anlagesummen auch einen Blick auf den Free Float und die Liquidität der Aktie werfen.

Die Covid-Pandemie ging, wie es scheint, doch Diabetes und Adipositas bleiben – und nehmen sogar zu. Sind Lilly und Novo Nordisk nun überbewertet oder rechtfertigen die Marktperspektiven sogar weitere Avancen?

Beide Titel haben unserer Meinung nach mittelfristig noch Potenzial. Allerdings stieg der Wert rapide an nach oben – so wie viele andere Werte, die jetzt in den Fokus der Anleger geraten sind, beispielsweise klassische KI-Werte wie Nvidia. Die Entwicklung ist sehr dynamisch, und Investoren sind gut beraten, nicht alles auf eine Karte zu setzen, sondern diversifiziert vorzugehen.

Die mRNA-Technologie brachte ja einen entscheidenden Durchbruch, doch Moderna und BioNTech liegen inzwischen tief unter ihren Höchstständen. Die Hoffnungen sind gross, dass u.a. Krebstherapien und neue Vakzine gegen alte Infektionskrankheiten vielversprechende Perspektiven für Investoren bieten. Ist es eine Frage des zeitlichen Horizonts? Wie sehen Sie das?

Wir teilen Ihre Einschätzung. Dabei kommt es unseres Erachtens hauptsächlich auf den Zeitrahmen an. So wurde die mRNA-Technologie ursprünglich für onkologische Anwendungen entwickelt, und der COVID-19-Impfstoffe verhalf der seit über 30 Jahren erforschten mRNA-Technologie zum Durchbruch. Wir sehen die mRNA-Technologie als spannenden Ansatz, bei welchem das Immunsystem sehr natürlich mit Informationen versorgt wird. Wir erwarten daher in den nächsten 5 bis 10 Jahren neue Therapieansätze im Bereich Krebs, Multiple Sklerose oder auch in weiteren Infektionserkrankungen wie Influenza.

Alzheimer ist als eine weitere Zivilisationskrankheit im Vormarsch, die zudem immer jüngere Patienten erfasst. Es hat lange gedauert, bis das erste Therapeutikum zugelassen wurde. Das kann aber nur der Anfang sein, oder?

Das stimmt. In den letzten 20 Jahre kam keine erfolgreiche Entwicklung auf den Markt. Jetzt sind neben Eisai/Biogen auch Eli Lilly und andere Firmen mit der Erprobung von effektiven Ansätzen beschäftigt. Jeder dritte über 90-Jährige leidet an Demenz. Alzheimer ist die häufigste Form davon, weshalb sich die Entwicklung vermehrt auf dieses Segment konzentriert. Kürzlich konnte Eisai/Biogen in einer 18-Monats-Studie eine Reduktion des kognitiven Abbaus von 27% aufzeigen. Das beweist, dass die anti-Amyloid-beta-Therapie funktioniert, sofern sie früh genug begonnen wird. Es ist aber auch so, dass viele weitere Komponenten wie Entzündungsprozesse bei der Erkrankung eine Rolle spielen. Dank des neuen Schwungs in diesem Therapiegebiet rechnen wir damit, dass sich die Entwicklung nun deutlich beschleunigen wird. Trotzdem braucht man als Investor Geduld, denn klinische Studien in diesem Bereich dauern lange.

Kommen wir noch mal auf Medtech zurück. Das ist ein Sammelbegriff für viele unterschiedliche Teilbereiche wie Orthopädie, Zahnmedizin, Implantate, umfasst aber auch beispielsweise Neuroprothetik. Was ist oder wird für Investoren interessant?

Aus unserer Sicht stehen aktuell der Bereich Diabetesmessungen in Verbindung mit icloudbasierten Insulinpumpensystemen im Vordergrund, ebenso wie Robotikunterstützung bei Operationen sowie die neuen Ansätze der minimalinvasiven Eingriffe bei Herzklappen. Ferner sind neu zugelassene Geräte bei obstruktiver Schlafapnoe sowie bei Neurostimulationen sehr interessant. Und im Bereich der Zahnmedizin stehen die 3D-druckbasierten Systeme bei Zahnkorrekturen im Fokus.

Wie sieht es in der Diagnostik aus? Sie ist ja entscheidend, damit Krankheiten erkannt und früh sowie bestmöglich therapiert werden können. Molekulardiagnostik, KI und Big Data revolutionieren die Medizin, wie können Anleger davon profitieren?

Im Bereich Diagnostik ist die Rechenleistung entscheidend – insbesondere bei der Gensequenzierung. Bei bildgebenden Verfahren geht es darum, Muster zu erkennen und entsprechend Krankheiten besser einzuschätzen und die Behandlungen dieser Krankheiten in einem früheren Status einzuleiten. In diesem Gebiet sehen wir die ersten kommerziellen Durchbrüche für neue KI-Lösungen.

ESG-Kriterien halten auch im Healthcare-Sektor Einkehr. Da ist viel Spielraum für Verbesserungen, denkt man an die enormen Mengen von klinischem Sondermüll, hauptsächlich Plastik, oder den ungleichen Zugang zu medizinischer Versorgung in verschiedenen Ländern und Regionen. Wie werden Ihre Investitionsentscheidungen davon beeinflusst?

Wir beschäftigen uns seit sechs Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit und haben vor einigen Jahren auch den ersten nachhaltigen Gesundheitsfonds lanciert. In diesem Zusammenhang ist für uns der Best-in-Class-Ansatz relevant, bei welchem die schlechtesten 40% der Firmen auf der Basis des ESG Scores unseres Partners Sustainalytics ausgeschlossen werden. Nebst einem angemessenen ESG-Risikoprofil dürfen die Unternehmen keine schwerwiegenden ESG-relevanten Verstösse aufweisen und müssen die Einhaltung der zehn Prinzipen des UN Global Compact sicherstellen. Bei kontroversen Geschäftsfeldern- und praktiken sind für die Aufnahme Ertragsschwellen definiert. Ferner haben wir vor über 16 Jahren einen globalen Investitionsansatz entwickelt, der auch sicherstellt, dass wir in lokale Champions der Schwellenländer investieren, die einen regionalen und kostengünstigen Zugang zu Medizin sicherstellen, der auch ethische Gesichtspunkte einbindet.

Trotz der hohen Dynamik im Healthcare-Sektor sind die Gesundheitssysteme doch in der Praxis scheinbar träge, überfordert und politisiert. Wie können institutionelle und auch private Investoren den Wandel zu mehr Effizienz und besserem Nutzen beschleunigen?

Das ist ein wichtiger Punkt. Wir konzentrieren uns auf Firmen, die innovative medizinische Lösungen mit globaler Reichweite erbringen, die von den Zulassungsbehörden geprüft wurden oder die dank ihrer Lösungen bspw. im Digital Health Bereich mehr Effizienz ins System bringen. Bei Krankenkassen oder Krankenhäusern gilt es, bei Investitionsentscheidungen die politischen Aspekte in die Anlageentscheidung einzubeziehen und beispielsweise in den USA während Wahlperioden sehr umsichtig zu agieren.

Seit der Korrektur vor gut zwei Jahren befindet sich der NBI in einer Seitwärtsbewegung. Während die Large Caps sich gut halten oder sogar zulegen wie Gilead, liegen SMEs oft am Boden. Nach aller Erfahrung ist das die Stunde der strategischen Käufer. Was sehen Sie am M&A Markt?

Wir glauben, dass vermehrt M&A-Transaktionen stattfinden werden, da gerade die kleinkapitalisierten Werte auch aufgrund der Zinswende stark unter Kurskorrekturen gelitten haben, während die grosskapitalisierten Werte ihre Deep Pockets noch vergrössern konnten und auf Innovationen angewiesen sind.

Unter Bewertungsaspekten und angesichts der auskömmlichen und ungebrochen steigenden Dividenden des Sektors sollte dessen Attraktivität von den Investoren wieder höher geschätzt werden. Ist gegenwärtig ein guter Zeitpunkt für Investitionen ins Healthcare-Universum?

Die Bewertungen sind tatsächlich sehr attraktiv – gerade bei Biotech- und Wachstumstiteln des Digital Health Bereichs. Andererseits sind gewisse Regionen wie die Emerging Markets sehr preiswert. Wir orientieren uns bei den profitablen Firmen an den dreijährigen Gewinnwachstumsraten im Vergleich zum Kurs-/Gewinnverhältnis (PEG). Das liegt in den USA sowie beim MSCI Welt gegenwärtig bei über 2.5, während für die Benchmark MSCI World Healthcare Index eines von 1.9 resultiert und unsere globale Healthcare Strategy bei sehr attraktiven 1.2 liegt. In unserem Emerging Markets Healthcare Fonds ist diese Kennzahl sogar bei lediglich 0.9. Solch attraktive Bewertungen haben wir in den vergangenen 10 Jahren nicht mehr gesehen!

Herr Zimmermann, vielen Dank für die interessanten Einblicke.

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