An der M&A-Front startet das Jahr 2017 mit einer Mega-Transaktion. 30 Mrd. USD in Cash bezahlt der US-Multi Johnson & Johnson (J&J) für Actelion: der grösste Pharmadeal in Europa seit 13 Jahren. Die Übernahme war zu erwarten, und dennoch haben fast nur Hedge Funds und Milliardäre von der Transaktion profitiert, während sich die Medien und die breite Anlegerschaft einmal mehr verwundert die Augen reiben.
Sind 30 Mrd. USD/CHF für ein Unternehmen mit 1,8 Mrd. CHF historischem Jahresumsatz zu viel? Was denkt sich J&J dabei, dafür 10% des eigenen Börsenwertes zu bezahlen? Und warum haben hauptsächlich Anlageprofis die sensationellen Gewinne in Höhe von rund 12 Mrd. USD innert weniger als 2 Monate für sich verbucht?
Gleiche Chancen für alle Investoren
Tatsache ist, dass jeder Investor seit den ersten Meldungen über das Interesse von J&J an Actelion am 25. November reichlich Gelegenheit hatte, sich bei Kursen zwischen 180 und 220 CHF beim Target Actelion einzukaufen. Am 30. November wurden die Aussichten in dem Brennpunktartikel „Actelion-Übernahmeversuch durch J&J wirft Licht auf hoch attraktive, doch unverstandene Biotech-Industrie der Schweiz“ als positiv eingeschätzt. Die Aktienumsätze bei Actelion stiegen auf das Vierfache des Durchschnitts der drei Monate davor. Das Medienecho zu dieser Zeit bestand überwiegend aus den immer gleichen Eckdaten und Kernaussagen der Akteure in deren knappen Pressemitteilungen. Vereinzelt wurden die vom Actelion-CEO Clozel verworfenen Übernahmeavancen der Vergangenheit noch angeführt.
Dabei hätte es eine Menge Details gegeben, die durchaus recherchierbar und für die Meinungsbildung der Anleger auch relevant sind. Es hätte auffallen können und sollen, dass mit Rudolf Maag ein Grossaktionär bei Actelion engagiert ist, der bereits bei der Übernahme von Synthes im Wert von fast 20 Mrd. USD durch J&J 2012 zu den grossen Gewinnern zählte. Er könnte nicht unwesentlich zum Abschluss der Actelion-Transaktion beigetragen haben, nachdem die erste Gesprächsrunde nach einem ungenügenden Angebot von 246 USD je Aktie abgebrochen worden war.
Die Kunst der Verhandlung
Der brillante Verhandlungsführer Clozel führte dann Gespräche mit der ebenfalls kaufwilligen Sanofi aus Frankreich. Die boten 275 USD je Aktie, allerdings sollte der Deal in einer Weise strukturiert werden, die nicht im Interesse der Actelion-Aktionäre war. Daher nahm J&J eine Woche nach dem Ausstieg aus den Gesprächen einen zweiten Anlauf. Am Ende hat Clozel alles erreicht: einen wirklich hohen Preis in Cash und die Ausgliederung der Forschungsaktivitäten in eine neue Gesellschaft, deren CEO er wird. Das Aktienpaket von Clozel und Ehefrau ist nun über 1,5 Mrd. CHF wert. J&J hält anfänglich an der NewCo 16% und kann auf 32% aufstocken, die Aktien werden an die Actelion-Aktionäre pro rata übertragen. Den Wert von „Actelion II“ beziffern Analysten mit 1-2 Mrd. USD.
Verbündete Grossaktionäre
Maag war Clozel 2011 durch den Aufbau einer Aktienposition gegen einen feindlichen Übernahmeversuch durch den US Hedge Fund Elliot beigestanden, weiterhin beteiligte sich auch BB Biotech an der Abwehr. Die Hedge Fund Manager wollten Clozel feuern und den Wert von Actelion durch den Verkauf an Pharmakonzerne realisieren. Der Aktienkurs bewegte sich um die 50 CHF. Maags Aktienpaket von über 5% ist heute 1.5 Mrd. USD wert. Auch bei Synthes war Maag nennenswert beteiligt, und der Ertrag aus dem Verkauf des Aktienpakets betrug ca. 1.5 Mrd. USD . Er ist auch mit über 12% an Straumann beteiligt.
Informations-Asymmetrien
Entgegen dem schlechten Image der Hedge Fund Industrie sind die Akteure oft höchst rational und gar nicht spekulativ. Wenn es um Opportunitäten geht, werden Informationen beschafft, ausgewertet und dann nach gründlicher Abwägung in Entscheidungen umgesetzt. Im Fall Actelion-J&J kam ein neue Informationsquelle dazu, die bisher in der einschlägigen Fachliteratur noch nicht beschrieben war: die Beobachtung des Firmenjets von J&J. Nicht wenige Hedge Funds aus dem Teil-Universum „Event-Driven“ kauften sich mit bis zu 10% ihres Fondvolumens bei Actelion ein. Die Performance von 30 bis 50% bringt dann auch aufs Gesamtportfolio bezogen schon eine Jahresrendite von 3 bis 5%. Das ist mehr als das Segment „Event-Driven“ durchschnittlich 2016 erzielen konnte. Laut Bloomberg betrug die Jahresperformance 2016 bei den auf M&A spezialisierten Hedge Funds gerade 3.7%. Grund ist u.a., dass 2016 zahlreiche M&A-Deals wie Pfizer-Allergan die regulatorischen Hürden nicht nehmen konnten und am Ende abgesagt wurden. Insgesamt wurden 38,5 Mrd. USD von Anlegern aus dem Segment Event-Driven abgezogen. Die Player brauchten daher dringend einen Erfolg.
Weitere institutionelle Investoren
Zu den grössten Gewinnern der Actelion-Übernahme zählt Och-Ziff Capital Management. Gemäss einem Filing vom 24. Dezember betrug der Wert der Actelion-Position 767 Mio. USD. Eton Park Capital hatte fast 500 Mio. USD in Actelion investiert, und auch der „feindliche“ Hedge Fund Elliot Management war mit 200 Mio. USD engagiert. Weitere Grossaktionäre sind BlackRock mit 5.2% sowie Union Bancaire Privée.
Wachstumsschub für J&J
Aus der J&J-Perspektive sprechen gleich mehrere Gründe für die Übernahme. Auch der weltgrösste Health-Care-Konzern muss Wachstum erzielen. Durch den Ablauf von Patenten, widrige Wechselkursverhältnisse und andere Faktoren braucht J&J wie alle Pharma-Konzerne neue Produkte, neue Umsatzträger, neue Indikationsgebiete. Actelion bietet alles und ist somit ein „Perfect Fit“. Sobald die Übernahme formal vollzogen sein wird, wohl in Q II 2017, steuert Actelion zum Konzerngewinn bei. J&J-CEO Alex Gorsky sieht 2% mehr Gewinnwachstum als die Analysten, die Actelion zur „Bottomline“ beitragen wird. Zusätzliches Potenzial liegt seiner Ansicht nach in der Ausweitung der Indikationsgebiete. Er will mit all den Möglichkeiten, die J&J zur Verfügung stehen, Actelion auf das nächste Level bringen.
Steuerliche Erwägungen
Ein weiterer Punkt ist, dass der international aktive J&J-Konzern 42 Mrd. USD ausserhalb der USA steuervermeidend geparkt hat. Trumps Plan für die Repatriierung der Gewinne der US-Unternehmen sieht vor, das Steuerrecht zu ändern. Demnach wären Cash und Cash-ähnliche Instrumente mit 8.75% zu versteuern, Investments jedoch nur mit 3.5%. J&J spart somit durch die Transaktion bis zu 1.5 Mrd. USD an Steuern.
Alles in allem ist die Transaktion trotz des hoch erscheinenden Preises für J&J positiv. Ab dem 3. Quartal 2017 trägt Actelion zum Konzernergebnis bei, die Indikationen können noch erweitert werden, nicht zuletzt kann J&J die globale Marketingpower einsetzen, um die Actelion-Produkte schneller und breiter zu vermarkten. So gesehen ist der 21fache Jahresgewinn 2020 auf stand-alone-Basis, also ohne den J&J-Effekt, nicht zu hoch. Dazu kommt, dass J&J mit der Akquisition auf Wachstumskurs bleibt. Bei einer Marktkapitalisierung von über 300 Mrd. USD können Enttäuschungen der Anleger sehr teuer werden. Mehr Informationen zur J&J-Konzernstrategie finden sich in dem kürzlich erschienenen Brennpunktartikel zur Medizintechnik in der Schweiz.
Mehr M&A zu erwarten
Was die Transaktion über den konkreten Fall hinaus zeigt, ist, dass die grossen Pharmakonzerne ein Problem mit dem Wachstum und ihren Pipelines haben. Eine Wachstumsbranche, die kein Wachstum mehr erzielt, ist allerdings auch ein Problem für die Börse und die Anleger. Aufgrund der langen Entwicklungs- und Zulassungszeiten von Humantherapeutika ist absehbar, dass die Pharmaindustrie nicht mehr das erforderliche organische Wachstum wird liefern können, das die hohen Bewertungen rechtfertigen würde. Daher wird sich der Trend zu vermehrten M&A-Transaktionen – Pharma kauft Biotech – eher noch verstärken. Es ist der einzige gangbare Weg, um Wachstum zu erzielen. Allerdings gibt es wenige Zielgesellschaften wie Actelion, die für die Pharmariesen auch einen Unterschied machen. Und Actelion war schon vor der J&J-Avance mit 17 Mrd. CHF Europas höchstbewertetes Biotech-Unternehmen. Wenn die Ziele rar werden, steigen die Preise. Und am Ende ist ein Unternehmen immer genau das wert, was ein Käufer zu zahlen bereit ist. Daniel Koller, der Chef von BB Biotech, die seit langem nennenswert bei Actelion investiert waren und somit ebenfalls zu den Gewinnern der Transaktion zählen, beschreibt die Situation unverblümt: „Nach den Übernahmen von Synthes oder Actelion müssen Sie jetzt (in der Schweiz) schon 2 bis 3 Stockwerke runtergehen, um etwas ähnlich Erfolg versprechendes zu finden“.