Macro Perspective: TrumPutin II – Was machen die Börsen aus der neuen Weltunordnung?

Das Börsenklima im Umfeld von Handelskriegen und Protektionismus

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„Wer Politik betreibt, erstrebt Macht: Macht entweder als Mittel idealer oder egoistischer Ziele oder Macht um ihrer selbst willen, um das Prestigegefühl, das sie umgibt, zu geniessen.“ Max Weber, 1864-1920, Nationalökonom und Soziologe.

Das Helsinki-Treffen von Putin und Trump führt jedem, der es sehen will, deutlich vor Augen, wie sich die politische Welt innerhalb kürzester Zeit gewandelt hat. Bisher war es jedenfalls unvorstellbar, dass ein US-Präsident das amerikanische Rechtssystem, die eigenen Ermittlungsbehörden und demokratischen Institutionen öffentlich diskreditiert und dabei ausgerechnet den aggressiven und undemokratischen russischen Autokraten in Schutz nimmt.


Der Kontrast zu den gerade zuvor erfolgten Demütigungen der europäischen Staatsoberhäupter wird sogar noch akzentuiert, indem Trump in Helsinki servil wie der Junior-Partner der unheimlichen TrumPutin-Allianz auftritt, she. Macro Perspective vom November 2016. Dieses Verhalten hat auch wieder die Frage aller Fragen belebt: Hat Putin kompromittierendes Material gegen Trump in der Hinterhand? Dieser Eindruck wird durch die Tage später von Trump relativierten Aussagen und teils konterkarierenden Behauptungen tatsächlich sogar noch unterstrichen, weil es so bizarr ist, dass es nur der Verschleierung dienen kann.

EU als Feind der USA klassifiziert

Bedeutsam für Europa ist, dass der zunehmend allein regierende Präsident Trump zuvor die Länder der EU erstmals öffentlich als „Feinde“ der USA bezeichnet hatte, in einem Atemzug mit China, nachdem diese über Jahrzehnte hin den US-Vorgaben zu Globalisierung und Liberalisierung nahezu blind gefolgt sind. Der Trump-Besuch in Brüssel und London hat ein nie gesehenes Scherbenfeld bei den Gastgebern hinterlassen. Die Schockstarre ist bisher noch nicht überwunden. Die entsprechenden Statements von Tusk, Merkel, May und selbst Macron scheinen bestenfalls deren Ratlosigkeit zum Ausdruck zu bringen. Und auch in den USA herrscht Ratlosigkeit oder Empörung bei den einen, während die anderen weiterhin blind dem immer unberechenbarer werdenden Präsidenten folgen.

Brexit – Desaster in Etappen

Der allgemeine Niedergang des politischen Stils dokumentiert sich u.a. in der Anmassung Trumps, sich in interne britische Angelegenheiten unaufgefordert einzumischen und lauthals den eben zurückgetretenen Aussenminister und Brexit-Hardliner Boris Johnson als guten Premierminister zu lancieren. Spätestens seit den Enthüllungen zu den Machenschaften von Cambridge Analytics ist die transatlantische Kooperation und Interessengleichheit der Populisten zwar bekannt, allerdings widmen sich die Massenmedien lieber weiterhin den Scheinproblemen, die von ebendiesen Populisten thematisiert und vorgekaut werden.

Medienkonzentration

Es ist kein Zufall, dass diese Massenmedien von Murdoch, Berlusconi & Co. beherrscht werden und genau die medialen Realitäten schaffen, die der geheimen Agenda der Besitzer und ihrer Milliardärsfreunde in der Politik förderlich sind. Es ist die Agenda der Plutokratie. Und es ist dasselbe Prinzip wie von Cambridge Analytica verfolgt, nämlich den jeweiligen Teufel zu personalisieren und an die Wand zu malen, mit dem Ziel, unbewusste Ängste zu wecken.

Rückschritte in Europa

Was in den USA, Russland oder Australien vielleicht weniger überrascht, ist jedoch in West-Europa rational kaum nachzuvollziehen. Nicht zuletzt wegen der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert und der seitdem verfolgten friedlichen Koexistenz in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist die Rückkehr von Nationalismus und die Hinwendung zu rechtsextremistischen Parteien, die nun sogar in Parlamenten vertreten sind und in Regierungen, offensichtlich besorgniserregend und auch gefährlich sowie zu einem grossen Teil fremdgesteuert. Wie zu befürchten war, sind quer durch Europa die alten Feindbilder wiederbelebt worden und teilweise ergänzt um neue Minoritäten: Briten gegen (Ost-)Europäer, Franzosen gegen Afrikaner, Italiener gegen Flüchtlinge, Deutsche gegen Moslems, Polen gegen Deutsche, Russen und Moslems, Ungarn gegen Semiten, Rumänen gegen Ungarn usw. – am Ende jeder gegen jeden. Vordergründig geht es um EU- und Euro-Kritik, doch unter der Oberfläche kochen Ressentiments, Revanchismus, Fremdenfeindlichkeit und blanker Rassismus. Dafür sind nicht nur rechtspopulistische Parteien verantwortlich, sondern ganz wesentlich auch die Massenmedien inklusive des öffentlich-rechtlichen Sektors mit ihrem Aufbauschen von Marginalien und Ausblenden von Wesentlichem.

NATO im Zerfall

Besonders bedenklich ist, dass es, anders als in den 1930er Jahren, wirtschaftlich trotz schwieriger Jahre nach 2008 doch insgesamt gut läuft in Europa. Allerdings gilt dies überwiegend für den Westen und Norden, während die hohe Jugendarbeitslosigkeit hauptsächlich Südeuropa betrifft. Insofern war es absehbar, dass das von der EU alleingelassene Italien über kurz oder lang zu extremistischen Parteien tendieren würde, was nun zu einer offen faschistischen Regierung geführt hat, wie sich u.a. in der Diskriminierung von Roma zeigt. Die Ost-Europäer dagegen haben alle Vorteile von EU und NATO in Anspruch genommen und teilweise den Lebensstandard gegenüber 1989 signifikant erhöhen können, doch mit den freiheitlich-demokratischen Grundwerten ist es, zumindest bei den Regierungen, nicht weit her, und ihren Anteil an den gemeinsamen europäischen Aufgaben wollen sie nicht leisten. Der davon ausgehende Spaltpilz in EU wie NATO war in der Macro Perspective erstmals im Juli 2015 diagnostiziert worden. Ironie der Geschichte ist, dass gerade die autoritären Herrscher der ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien usw. in der jüngeren Geschichte die besten Verbündeten Putins sind, wenn es darum geht, EU und NATO zu schwächen und vor immer neue Dilemmata zu stellen.

Truman-Doktrin ausgesetzt

Die seit den 1950er Jahren von den US-Administrationen verfolgte Truman-Doktrin wird in Europa nun von Trump auf den Kopf gestellt, was das gesamte Gleichgewicht der Nachkriegsordnung unterminiert. Wenn die EU laut Trump ein Feind der USA sein soll, dann macht die NATO offensichtlich keinen Sinn. Schon das Paktieren des NATO-Landes Türkei mit Russland hat Fragen aufgeworfen, die bisher nicht beantwortet sind. Wenn nun die TrumPutin-Allianz den gemeinsamen Gegner Europa zu schwächen und schädigen sucht, ist der Zeitpunkt gut gewählt, denn die seit Anfang 2015 in der Macro Perspective beschriebene Desintegration und Spaltung der EU ist inzwischen an ihrem kritischen Punkt angekommen. In Österreich und Italien, abgesehen von Ost-Europa, bilden erstmals im Westen in der jüngeren Geschichte rechtsextreme Parteien die Regierung. Vielfach klingen die Bekenntnisse zu EU und Euro wie Lippenbekenntnisse, während das populistische Fähnchen im Wind flattert. So stellt selbst die staatstragende Süddeutsche Zeitung inzwischen die in der MP vor langem gestellten Frage, was denn bei der CDU/CSU noch „christlich“ sei, angesichts deren Flüchtlingspolitik und -polemik.

(K)eine neue Perspektive

Europa in einem Auflösungsprozess, der von Nationalisten von innen betrieben wird, und von den Supermächten USA und Russland in die Zange genommen – und das mit weitgehend dysfunktionalen Armeen der europäischen Länder? Eine solche Zukunftsperspektive war noch vor fünf Jahren undenkbar, und dennoch ist das Pendel in so kurzer Zeit so weit zurückgeschwungen. In hastiger Diplomatie wurden zuletzt neue Handels-Vereinbarungen mit China, Japan, Kanada geschlossen.

Zölle kosten Wachstum

Dennoch beziffert der IWF den Verlust für den Welthandel auf 430 Mrd. USD, wenn in den diversen von Trump angezettelten Handelskriegen die angekündigten Zölle und Erschwernisse vollständig umgesetzt werden. Das Wachstum der Weltwirtschaft soll laut IWF dadurch um 0,5 Prozentpunkte auf 3,9% verlieren. Die USA selbst könnten überproportional stark von dem erwarteten Dämpfungseffekt betroffen sein, da die anderen Länder und Regionen unter sich Erleichterungen vereinbaren, aber die USA voll mit ihren gemeinsamen Vergeltungsmassnahmen treffen.

Börsenboom mit Leerlauf

An der US-Börse hängt spätestens seit Jahresbeginn das Damoklesschwert des Protektionismus über der Entwicklung. Per Saldo sind Dow-Jones und S&P 500 seit dem Jahreswechsel kaum um 1% vorangekommen, der technologielastige Nasdaq-Index hat dagegen neue Rekordmarken erklommen und bisher im Jahr 2018 um gut 13,8% zugelegt. Die weiterhin gute Verfassung der US-Wirtschaft und die starken Gewinnsteigerungen der Unternehmen konnten insgesamt die Aktienkurse nicht weiter stimulieren, da einerseits die Fed die Leitzinsen graduell weiter anheben wird und andererseits Zölle und Handelsschranken negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Gewinnentwicklung haben werden.

Stagnation der europäischen Börsen

Obwohl die wirtschaftliche Dynamik in Europa erst vor kurzem angefacht wurde, fällt die Börsenbilanz des ersten Halbjahres ernüchternd aus. Die Länderindizes wie DAX und CAC-40 liegen etwa da, wo sie Anfang Januar ins Jahr gestartet sind. Selbst die starke Performance in Mailand bis April mit 20% Indexanstieg ist innerhalb kürzester Zeit weggeschmolzen. Und dies, obwohl der Euro im zweiten Quartal deutlich gegen den USD auf aktuell 1,16 USD verloren hat. Das verbessert zwar die Exportchancen, doch das zählt an der Börse in der neuen Weltunordnung von Zöllen und Einfuhrbeschränkungen nicht mehr so viel wie bisher.

Korrekturpotenzial erkannt

Laut Larry Fink, CEO des global führenden Asset Managers BlackRock, könnten die Handelskriege an den Aktienmärkten leicht zu Korrekturen von 10%-15% führen. Seiner Ansicht nach werden die stärksten fundamentalen Komponenten im Welthandel getestet und geändert, was zu ebenso fundamentalen Änderungen in der Welt der Investments führt.

Leit-Aktie Caterpillar mit Death Cross

Bei Caterpillar hat sich ein sogenanntes Death Cross gebildet, was als Ende der Aufwärtsbewegung gedeutet wird. Chart: marketwatch.com

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Caterpillar-Aktie, die Leit-Aktie des US-Börsenaufschwungs seit der Trump-Wahl. 2016 war sie mit 36% Kursanstieg der beste Performer unter den Dow-Jones Aktien und 2017 mit nochmals 70% der zweitbeste. Doch nun hat sich ein sogenanntes Death Cross gebildet, d.h. der gleitende 50-Tage-Durchschnittskurs ist unter den gleitenden 200-Tage-Wert gefallen, was als Ende der Aufwärtsbewegung gedeutet wird. Zwar hat sich das Caterpillar Management schon seit Ende 2017 eher zurückhaltend zu den Perspektiven geäussert, doch tatsächlich läuft das Geschäft bisher zu gut, um alle Aufträge termingerecht bedienen zu können. Aufgrund der Erfahrungen im letzten zyklischen Abschwung hat Caterpillar die Kapazitäten trotz Nachfrageboom weiter reduziert und sich ganz auf die Steigerung der Profitabilität konzentriert. Der Aktienkurs fällt, weil die Investoren eine schwere Eintrübung des Welthandels befürchten, was die Nachfrage nach Rohstoffen reduziert und damit den Marktführer von schwerem Bergbau-Equipment voll treffen wird. Das Muster des global aktiven Herstellers von Investitionsgütern lässt sich mühelos auf andere Industrien übertragen.

Crash der Automobil-Aktien

Der Kurs der Daimler-Aktie liegt auf einem Mehrjahrestief. Chart: moneynet.ch

Wie wird es wohl der deutschen Automobilindustrie ergehen, wenn Trump, wie von ihm angekündigt, gegen Daimler & Co vorgeht? Der Aktienkurs von Daimler liegt auf Mehrjahrestief trotz steigender Umsätze und Gewinne. Auch eine Dividendenrendite von über 6% und ein KGV von 6x locken keine Investoren an. Die Market Cap liegt bei 62 Mrd. Euro, die Verbindlichkeiten sind jedoch zwischenzeitlich auf 191 Mrd. Euro bis Jahresende 2017 angewachsen. Und wie wird es wohl den Zulieferern ergehen, wenn die Hauptexportindustrie des grössten EU-Landes Ziel von US-Sanktionen und Einfuhrbeschränkungen wird? Das betrifft auch die Schweiz, wenngleich die volkswirtschaftliche Bedeutung der Automobilindustrie nicht das Ausmass wie in Deutschland erreicht, wo jeder sechste Arbeitsplatz am Automobil hängt. Auf die Risiken der Autobauer war bereits in der Macro Perspective vom Juni 2016 hingewiesen worden, lange bevor Trump gewählt worden ist und seine protektionistische Politik betreiben konnte. Ein Risiko mehr.

Dr. Copper signalisiert Abschwung

Der Kupferpreis bewegte sich in den letzten Wochen abwärts. Chart: kitco.com

Während die Aktienbörsen unverändert in einem Ozean der Liquidität schwimmen, wobei Technologie-Aktien sowohl im Sekundärmarkt als auch bei IPOs weltweit in der Führungsposition sind, schlagen sich die Erwartungen einer Abschwächung der Konjunktur bereits deutlich an den Metallmärkten nieder. Kupfer, Aluminium, Nickel, Zink befinden sich seit Kurzem in einem steilen Abwärtstrend. Viele Indikatoren bestätigen also die vorsichtige Haltung der Macro Perspective. Abgesehen von Protektionismus und geopolitischen Risiken begründet vor allem das absehbare Ende der globalen QE-Programme die Zurückhaltung, da die Börse als Antizipationsmechanismus den Wechsel von Netto-Liquiditätszufuhr zu -abfluss, der für 2019 zu erwarten ist, vorwegnehmen wird.

Ein wesentlicher Teil der politischen Veränderungen, die auch Auswirkungen auf Wirtschaft und Börse haben, wird mit Max Webers Erklärung besser verständlich: „Politik würde für uns also heissen: Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er umschliesst.“

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