Novartis, Nestlé & Co.: Comeback der defensiven Aktien

Deutliche Outperformance vs. zyklischen Aktien im zweiten Quartal

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Novartis CEO Vasant Narasimhan will sich auf das Pharma-Geschäft konzentrieren und Alcon, das Ophtalmologiegeschäft, nächstes Jahr an die Börse bringen. Bild: novartis.com

Ab Mitte 2016 waren defensive Aktien aus den Sektoren Pharma, Nahrungsmittel, Tabak in einem relativen Abwärtstrend, da sich plötzlich die davor jahrelang herrschende Eurosklerose als Folge der Liquiditätsschöpfung und der historisch tiefen Zinsen in einen Wachstumsboom verwandelt hatte. Zyklische Aktien waren plötzlich gefragt und zeigten bis Anfang 2018 auch eine überzeugende Outperformance. Doch der im März vom US-Präsidenten angekündigte internationale Zoll- und Handelskrieg ist inzwischen in vollem Schwung – und die Rotation in defensive Aktien ebenfalls.

Die meisten Investoren bleiben jedoch weitgehend unverändert auf globales Wachstum eingestellt, und ihre Portfolien sind immer noch entsprechend positioniert. Das hat jedoch weitsichtige Anleger nicht davon abgehalten, die günstigen Bewertungen der nicht zyklischen Aktien im Frühjahr zum Aufbau von Positionen zu nutzen. Die Wiederentdeckung erfolgte allerdings nicht überall zeitgleich. Während die in London kotierte GSK Glaxo SmithKline bereits seit März eine sichtbare Umkehrformation mit gut 20% Kursgewinn vollzogen hat, wurden die Schweizer Schwergewichte Novartis, Roche und Nestlé erst gegen Ende Juni aus ihrer Seitwärtsbewegung gerissen und drehten dann kraftvoll nach oben. Zur Überraschung vieler Anleger, denn die drei Blue Chips galten zuletzt als lahme Enten.

Devisenmärkte in Bewegung

Bei der Betrachtung von GSK vs. Novartis drängt sich auf, die Entwicklung an den Devisenmärkten mit ins Kalkül zu ziehen. Während das britische Pfund nach einer Erholungsphase in 2017 dieses Jahr erneut zur Schwäche tendiert, hat der Franken nach einer Seitwärtsbewegung in den ersten Monaten des Jahres einen neuen Höhenflug gestartet, allerdings nicht in USD. Da aber der USD seinerseits Stärke zeigt, sind USD und CHF die härtesten Währungen und ziehen folglich Kapital aus den anderen Währungsräumen an.

Vergleich der Kursentwicklung GSK Glaxo SmithKline (blaue Linie) mit Novartis (schwarze Linie) im Jahr 2018. Quelle: marketwatch.com

Vorteile von Dividendenaktien

Die Motive der Käufer von defensiven Aktien sind vielfältig. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Dividende. Zum einen sind ihre Höhe und auch die langfristige Steigerungsfähigkeit entscheidende Kriterien für Investoren, die Einkommen generieren wollen. Zum anderen bietet eine hohe Dividendenrendite zum Einstiegszeitpunkt auch eine gewisse Sicherheit für ein über kurz oder lang zu befürchtendes weniger günstiges Börsenumfeld.

Protektionismus verdirbt Börsenparty

Genau das ist in den letzten Monaten jedoch brachial in das „Goldlöckchen-Szenario“ der Anlegerschaft eingedrungen, und zwar in Form von Zöllen und Handelsschranken. Zyklische Aktien aus den Bereichen Automobil, Investitionsgüter etc. beendeten an der Börse ihren Aufwärtstrend abrupt und verloren in 2018 bisher zweistellig, z.B. Daimler von 76 EUR auf 54 EUR und Caterpillar als Leitaktie im Dow-Jones vom All-Time High bei 173 USD auf 132 USD.

Kursentwicklung von Caterpillar (blaue Linie ) im Vergleich zum Dow Jones (schwarze Linie). Quelle: marketwatch.com

Setzt sich der Wachstumstrend fort?

Gegenwärtig scheint es bei den Investoren zwei Lager zu geben. Das grössere der beiden bleibt von der Fortsetzung des Wachstumskurses der letzten Jahre überzeugt und interpretiert Trumps sprunghaftes „Geschäftsgebaren“ als Taktiererei, um mehr für sich und seine Wiederwahlchancen und die USA herauszuholen. „Ein Sturm im Wasserglas“, so liesse sich die Betrachtungsweise der Mehrheit zusammenfassen. In den Portfolios der Investoren, die eine solche Perspektive einnehmen, sind und bleiben defensive Sektoren untergewichtet – noch.

Oder sind rezessive Tendenzen zu erwarten?

Das andere Lager ist weniger optimistisch, was die weiteren Perspektiven für das globale Wachstum anbelangt. Solche Portfolios spiegeln in unterschiedlichem Ausmass die Vorsicht wider, und defensive Sektoren und Value-Aktien sind höher gewichtet. Und manche Investoren bewegen sich dazwischen und schichten nach und nach entsprechend der Branchenrotation um.

Das Revival der defensiven Aktien. Die Linie setzt die defensiven Aktien im Verhältnis zu den zyklischen. Das Balkendiagramm zeigt das Bruttoinlandprodukt in der Eurozone in den letzten fünf Jahren. Quelle: ukreuters.com

September und Oktober im Blickfeld

Noch ist offen, ob sich das globale Wirtschaftswachstum weiter abkühlen wird oder doch noch einmal beschleunigt. Abgesehen von den verschiedenen Frühindikatoren gilt es vor allem, die politische Bühne im Blick zu behalten. Bisher gingen die Impulse für protektionistische Massnahmen überwiegend von Trump aus. Die USA als grösste Volkswirtschaft der Welt können als vielleicht einziges Land wegen der wirtschaftlichen Dominanz ihre Agenda auch durchsetzen. Ob es sich bei den weitergehenden Androhungen von neuen Zöllen nur um Einschüchterungsversuche handelt oder diese tatsächlich auch vollumfänglich umgesetzt werden, wird sich im September und Oktober zeigen. Die China angedrohten Zölle auf ein weiteres Exportvolumen von 200 Mrd. USD werden bis Anfang September entweder verworfen, abgeändert oder aber eingeführt. Ähnlich verhält es sich mit den der EU angedrohten Zöllen auf Automobile. Hier ist der Oktober voraussichtlich der Monat der Entscheidung.

Branchenrotation im Gang

Wie die Dinge liegen, ist wohl von einer weiteren Eskalation auszugehen und damit einer weiteren Abkühlung des Wachstumstempos und des Investitionsklimas. Fall-out wie der Türkei-Crash und die weitergehenden Effekte an den Devisenmärkten dämpfen die Wachstumserwartungen zusätzlich. Für die Börse ist daher zu erwarten, dass die Branchenrotation in defensive Aktien und Sektoren andauert. Da zumindest bei den Titeln mit hoher Marktkapitalisierung ausländische institutionelle Anleger die Kurse machen, ist deren Einschätzung massgebend.

Schwergewichte mit erstaunlicher Trendwende

Die jüngste Kursentwicklung zeigt, dass die Schwergewichte Novartis, Roche und Nestlé gar nicht so schwer sind, wenn nur ausreichend Nachfrage bei den Aktien herrscht. Roche ist um gut 20% seit Juni gestiegen, Novartis und Nestlé jeweils um rund 15%. Bei Novartis hat dieses Jahr ein neuer CEO den Taktstock übernommen. Er will sich von margen- und wachstumsschwachen Bereichen trennen und Novartis auf das Kerngeschäft Arzneimittel refokussieren. Ein wichtiger Meilenstein wird der Spin-off von Alcon, dem Ophtalmologiebereich, im kommenden Jahr werden, wenn, wie erwartet, die GV im Februar 2019 zustimmt.

Management hat Kerngeschäft im Fokus

Refokussierung auf das Kerngeschäft und Steigerung der Margen ist auch das Rezept bei Nestlé, wo ebenfalls ein neuer CEO für frischen Wind sorgt. Beide Aktien waren auf schweizeraktien.net bereits vor dem letzten Jahreswechsel und danach als aussichtsreich dargestellt worden. Die Aktionäre brauchen jedoch Geduld, denn wie sich der Kurs eines Ozeandampfers nicht so plötzlich ändern lässt, so braucht es bei grossen Konzernen auch ein wenig Zeit. Für beide Aktien spricht neben dem Managementaspekt und der Branchenrotation in defensive Titel die hohe und steigerungsfähige Dividendenrendite sowie eine immer noch relativ attraktive Bewertung.

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