Martin Wipfli und Markus Eberle, nebag AG: «Damit wir uns zügig erholen, müssen wir die geschürten Ängste überwinden»

0
5271

Die Beteiligungsgesellschaft nebag AG ist an der Schweizer Börse kotiert und investiert im Wesentlichen in substanzstarke Schweizer Aktiengesellschaften, deren Stimmrechte vor allem ausserhalb der SIX Swiss Exchange gehandelt werden. Im Weiteren kann die Gesellschaft auch strategische Beteiligungen und/oder Finanzanlagen an Small Caps halten, deren Titel an der SIX Swiss Exchange kotiert sind.

Im Dezember 2019 hat die nebag AG ihr Anlagereglement angepasst, um den Investoren ein aussagekräftigeres Bild über die strategischen Bestrebungen der Gesellschaft zu vermitteln. Im Videointerview äussert sich Martin Wipfli, VR-Präsident der nebag AG, zu den Gründen für die Veränderungen. 

Martin Wipfli äussert sich zum neuen Anlagereglement, zu den Gewinnern und Verlierern in der Corona-Krise und warum wir in Zukunft keine Autos mehr kaufen oder leasen werden. 

Herr Eberle, Herr Wipfli, lassen Sie uns mit dem Erfreulichen beginnen: 2019 war ein gutes Geschäftsjahr für die nebag AG, mit einem Ergebnis von 6.48 Mio. CHF. Welches waren die tragenden Eckpfeiler für den Erfolg?

Martin Wipfli: Mit Biella konnten wir eine strategische Beteiligung zum Ziel führen. Als das öffentliche Kaufangebot von einem Dritten kam, haben wir das dann auch genutzt. Das war sehr erfreulich für unsere Erfolgsrechnung.

Historie der Ausschüttungen der nebag AG an ihre Aktionäre und Aktionärinnen. Quelle: nebag.ch

Des weiteren haben wir das Assetmanagement unserer Beteiligungen und auch unserer kurzfristigen Anlagen erfolgreich geführt.

Mit einem tränenden Auge muss man allerdings auch sagen, dass 2019 die Börsen und die Finanzmärkte generell eine sehr überzeugende Performance geliefert haben, wo wir nicht mit allen Indizes mithalten konnten.

Performance des nebag Aktienkurses im Vergleich zum SPI (grüne Linie) im vergangenen halben Jahr. Quelle: six-group.com

Das erste Quartal 2020 und auch die kommende Zeit steht unter dem Einfluss der Corona-Pandemie. Wie gehen Sie in Zeiten sehr volatiler Märkte mit Ihrem Portfolio um?

Markus Eberle: Wir haben eine viel grössere Nähe zum Markt und halten und schützen unsere Liquidität, weil sich in diesen schnellen Märkten sowohl bei den kurzfristigen als auch bei den strategischen Anlagen Gelegenheiten bieten, in denen wir Liquidität einsetzen müssen.

Neben der Liquidität, die wir eigentlich immer im Bereich von über 10% halten, haben wir auch noch Kreditlimiten, die wir allerdings bisher kaum eingesetzt haben.

Sie haben Ihre Anlagestrategie im letzten Jahr neu ausgerichtet. Warum?

Wipfli: Unter der alten Anlagestrategie haben unsere Aktionäre und auch die Öffentlichkeit wahrgenommen, dass wir nur bei den sogenannten Beteiligungen, also wo wir mindestens 5% des Kapitals halten, strategischen Einfluss nehmen. In der Realität waren wir aber auch bei anderen Unternehmen sehr aktiv unterwegs, was aber nicht kommuniziert wurde.

Mit dem Verkauf von Thurella und Biella wurde uns klar, dass wir transparenter werden möchten. Wir haben uns daher entschieden, uns näher zur Rechnungslegungsvorschrift IRFS zu bewegen.

Langfristige Finanzanlagen mit strategischem Charakter der nebag AG. Investiertes Kapital in Mio. CHF. Quelle: nebag.ch

Jetzt tun wir bei langfristigen strategischen Anlagen gegenüber den Aktionären und der Öffentlichkeit kund, dass wir, auch wenn wir weniger als 5% halten, auf die Corporate Governance im Sinne der Stakeholder Einfluss nehmen und daran mitwirken, wie sich die Firma entwickelt.

Wie nehmen Sie Einfluss? Über den Verwaltungsrat?

Wipfli: Wir nehmen immer über die Organe einer Gesellschaft Einfluss. Dabei können wir sehr hartnäckig sein. Bei Thurella hat man uns zu Anfang einfach weggeschickt. Der gesamte Verwaltungsrat hat uns persönlich mitgeteilt: „Wir wollen nicht mit Ihnen sprechen.“ Wir blieben am Ball und erhielten am Schluss recht.

Bei Biella hat es fünf bis sieben Jahre gedauert, bis sich der VR unseren Anliegen gegenüber geöffnet hat, was dann auch dazu geführt hat, dass das Unternehmen letztlich verkauft wurde. Da muss man natürlich fragen: Warum hat das fünf bis sieben Jahre lang gedauert? Denn in der Zwischenzeit wurde Substanz vernichtet.

Bei den Thurella-Immobilien verschiebt sich nun der Verkauf an Mettler2Invest von ursprünglich Mitte 2020 auf Ende 2020. Warum diese Verschiebung? Was bedeutet der Verkauf für die Nebag?

Eberle: Die Abwicklung eines solchen Projektes muss bürokratische Hürden nehmen. Die Abläufe sind meistens langsamer, als man denkt. Wobei wir schon sehr weit sind; die Abstimmungen sind erfolgt, der Gestaltungsplan ist fertig. Für uns bedeutet das einfach, dass sich der Verkauf um ein halbes Jahr verzögert und wir das Geld entsprechend später erhalten. Was kein Problem ist, denn unsere Liquidität ist ohnehin sehr gut.

Wir rechnen im Gesamten mit einem Verkaufsertrag von 12 bis 15 Mio. CHF, wovon mindestens 4 Millionen der Nebag zustehen. Und das, nachdem die Immobilien der Thurella ursprünglich mit nur 4 Mio. CHF zu Buche standen.

Welche Pläne haben Sie mit der Polun AG, Ihrer anderen Immobilienbeteiligung?

Eberle: Wir schauen nach den besten Lösungen für eine Vermietung bzw. einen Verkauf oder schrittweisen Verkauf, so dass es für die Aktionäre eine optimale und zeitgerechte Lösung gibt.

Wie gehen Sie mit der Beteiligung an Reishauer, der mit über 11 Mio. CHF mit Abstand grössten Beteiligung in Ihrem Portfolio, weiter um? Welche Gefahren bzw. welche Chancen sehen Sie für den Automobilzulieferer?

Martin Wipfli (oben) ist VRP der nebag AG sowie Verwaltungsrat in verschiedenen kotierten und nicht kotierten Unternehmen, z.B. VRP bei Metall Zug. Markus Eberle ist VR-Vizepräsident sowie Eigentümer und VRP der ZO-Invest AG, Zug. Bilder: nebag.ch

Wipfli: Ich traue Reishauer wegen seiner dominanten Stellung bei der Elektro- oder auch der Wasserstoffmobilität zu, von den Automobilkonzernen in der weiteren Entwicklung mitgenommen zu werden. Ich bin von Tesla nicht restlos überzeugt. Die deutschen Autobauer werden uns nächstes Jahr meiner Meinung nach zeigen, was ein traditioneller Hersteller in Sachen E-Mobilität liefern kann.

Ich glaube aber nicht, dass jeder Autozulieferer überlebt.

Eberle: Reishauer weist eine sehr gesunde Bilanz mit hoher Nettoliquidität auf. Das Unternehmen investiert stark in die konkrete Entwicklung von neuen Antriebsarten, sei es im Bereich der E-Mobilität, Brennstoffzellen oder Wasserstoff. Damit ist man wesentlich besser gerüstet als viele Konkurrenten.

Im Vorwort zum Geschäftsbericht schreiben Sie, dass technologische Rahmenbedingungen, die sich stark verändernde technologische Rahmenbedingungen auf die Industrie auswirken werden. Sie nehmen als Beispiel die Autoindustrie und gehen davon aus, dass der Kunde in Zukunft eher mieten als kaufen wird. Was bedeutet das?

Wipfli: Die Marke wird vermutlich in Zukunft noch sehr viel mehr an Wert abgeben. Dafür wird das Design und die Kundennähe wichtiger.

Die Einführung von Mietlösungen steht kurz bevor, da bin ich fest überzeugt. Mit der Krise jetzt wird sich das alles noch beschleunigen, weil der Konsument nicht mehr so viel Geld zur Verfügung hat. Ich kann dem Kunden also anbieten: Du hast ein Abo von 300 CHF pro Monat, du kannst in einer Frist von einem Monat das Auto abholen, im Sommer ein Cabrio, im Winter ein Allradrad-Modell.

Suchen Sie in diesem Bereich aktiv nach Investment-Cases?

Wipfli: Uns interessieren disruptive Geschäftsmodelle durchaus. Die Corona-Krise wird alles, was wir im Bereich Digitalisierung erwartet haben, mindestens um den Faktor zwei beschleunigen. Das zeigen die Finanzmärkte jetzt schon: Die grossen Gewinner sind Online-Unternehmen im Bereich Shopping, Chiphersteller, Sensorik- und Softwareproduzenten.

Europa und die Schweiz im Speziellen haben allerdings nur ganz wenige solche Unternehmen, in die Sie investieren können.

Kommen wir zu bestehenden Investments. Weleda, eine langfristige Finanzanlage der nebag, ist stark gefallen. Wie sehen Sie die Perspektiven dieses Unternehmens?

Eberle: Weleda besitzt einen sehr gutes Produktsortiment und profitiert von verschiedenen gesellschaftlichen Grundtrends, mit der Corona-Krise noch mehr als zuvor. Die Menschen konzentrieren sich jetzt stärker auf ihre eigene Gesundheit und auf ihren Körper. Aber das Verhalten im Aktienhandel war typisch: Zunächst gab es schnelle Verkäufe bis auf 3‘500 CHF, dann wieder die Erholung auf 4‘100, womit die Hälfte des Kursverlustes gegenüber dem Allzeithoch wettgemacht ist.

Wir sind hier mit ca. 2 Mio. CHF investiert, die Einflussmöglichkeiten aufgrund der Höhe des Investments und als Inhaber von Partizipationsscheinen sind natürlich eher gering.

Direkteren Einfluss haben Sie bei Metall Zug. Wie schätzen Sie, Herr Wipfli, der Sie ja auch VRP von Metall Zug sind, die geplante Abspaltung des Haushaltgeräteherstellers V-Zug ein? Wann werden wir das Going Public sehen?

Wipfli: Die Generalversammlung hat dem Börsengang von V-Zug zugestimmt. Am 25. Juni wird der erste Handelstag sein. Ich bin überzeugt, dass dies ein erfolgreiches Going Public sein wird. Die Probleme mit dem ERP-System wurden gelöst.

Metall Zug wird nach dem Börsengang von V-Zug primär ein Medtech-Unternehmen sein und über ein sehr interessantes Immobilienportfolio verfügen.

Es fällt auf, dass Sie am NAV im Gesamtwert von etwas über 80 Mio. CHF mit über 40% in kurzfristige Finanzanlagen und Liquidität investiert sind. Man könnte das auch eine gute gefüllte „Kriegskasse“ nennen. Wann sehen wir die nächste substanzielle Beteiligung von Ihnen?

Wipfli: Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass wir eine erfolgreiche Sektor-Allokation im nebenbörslichen Bereich machen. So haben wir erfolgreich bei der Konsolidierung des Bankensektors mitgeholfen. Danach wurden die Titel hoch bewertet, und wir haben sie verkauft. Wir haben überdies über eine längere Zeit versucht, im Tourismus Fuss zu fassen, haben auch zwei Projekte sehr genau angeschaut. Aber nach eingehender Prüfung haben wir die Tourismusbranche im Nebenwertebereich als nicht nachhaltig eingestuft.

Deshalb konzentrieren wir uns schon seit längerem auf den Werkplatz Schweiz und seine Industrie. Hier investieren wir in Unternehmen, die vernünftig bewertet sind.

Ihre Frage nun: Wie finden Sie die? Das ist aktuell sehr schwierig. Ja, wir haben eine hohe Liquidität, aber wir kaufen nicht zu jedem Preis.

Eberle: Die kurzfristige Liquidität beträgt bei uns ca. 25 Mio. CHF. Einerseits in Cash-Positionen von über 10 Mio. CHF, dann Investitionen in Bonds von etwa 10 Mio. CHF und 7 Mio. in börsenkotierten Aktien wie Conzzeta oder Forbo.

Sind bei den kurzfristigen Anlagen auch Investment in Large Caps denkbar?

Eberle: Durchaus. Wir haben uns jetzt bei der Kapitalerhöhung von ams beteiligt. Meiner Meinung nach ist die Aktie deutlich tiefer bewertet als eine VAT- oder Comet-Aktie. Hier wollen wir den Preisdruck, der durch eine grosse Platzierung eintritt, bis zur Normalisierung mitnehmen.

Bezüglich ams: wie schätzen Sie die Übernahme von Osram ein?

Eberle: Die Kombination zwischen Osram und ams ist sehr sinnvoll. Aber der Kapitalmarkt hat sehr gestresst. Es wird wichtig sein, dass ams, auch wenn nicht 100% der Anteile übernommen werden, mit 60 bis 70% die strategischen Linien vorgeben kann.

Wipfli: ams spricht bei der Übernahme vom photonischen Teil von Osram. Es geht bei der Photonik um die Verheiratung von Licht und Elektronik. Bei der Elektronik stellt die Wärmeerzeugung eines der Hauptprobleme dar.

Die Vorstellung, dass man jede elektronische Information über einen Lichtwellenleiter bis in kleinste Device weitervermitteln könnte, würde unsere Welt massiv nach vorne katapultieren. Für mich ist die Strategie von ams deshalb klar und sehr intelligent. ams wird wesentliche Teile von Osram verkaufen und an der Photonik festhalten.

Bis Ende April 2020 betrug die Performance bei Ihrem NAV etwas über -11%, ähnlich wie die Performance des SPIEX. Sie schreiben im Geschäftsbericht, Sie wollen keinen Ausblick aufgrund der sehr volatilen Lage geben. Dennoch: Wie sähe für Sie das Best-case-Szenario in 2020 aus?

Wipfli: Die Corona-Krise wäre eigentlich relativ einfach bewältigbar. Das Problem sind die Ängste der Menschen, gesundheitlicher und finanzieller Natur, also die psychischen Folgen. Die gesundheitlichen Ängste, die geweckt wurden, die werden uns lange zu schaffen machen. Darum ist es ganz schwierig, einen Ausblick zu geben.

Herr Wipfli, Herr Eberle, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Kommentar verfassen