Corona-Krise: Sind „hybride“ Generalversammlungen die Zukunft?

Webinar von schweizeraktien.net zu GVs in Corona-Zeiten

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Bis vor zwei, drei Monaten war der Begriff „Webinar“ allenfalls den Digital Natives ein Begriff. Heute sind Webinare nicht mehr aus der vernetzten Kommunikation wegzudenken. So veranstaltete schweizeraktien.net unter dem Titel „Generalversammlungen in Corona-Zeiten – verhilft die Corona-Krise der virtuellen GV zum Durchbruch?“ ein Webinar mit Experten aus Unternehmen und dem juristischen Bereich.

„Der Digitalisierungsschub erfasst uns alle“, eröffnete Björn Zern, Partner von schweizeraktien.net, die als „virtuelles lunch learning“ angekündigte Veranstaltung.

Und zu lernen gab es genug. So berichteten Marco Leu von den Titlis Bahnen und Markus Näf von Energie Zürichsee Linth, beide als CFO eng mit Planung und Durchführung von GVs auf Unternehmensebene vertraut, eindrücklich vom Blindflug, auf den sie sich begeben mussten, weil ihre GVs kurz vor der ersten Covid-19-Verordnung des Bundesrates am 13. März (GV der EZL am 6. März) bzw. mittendrin in den sich verschärfenden Massnahmen (GV der Titlis Bahnen am 27.3.) stattfanden.

Unternehmen nehmen soziale Verantwortung wahr
Markus Näf, CFO Energie Zürichsee Linth

EZL freiwillig, Titlis Bahn gezwungenermassen – beide sagten eine GV mit physischer Präsenz der Aktionäre kurzfristig ab. Sowohl Leu als auch Näf verwiesen dabei insbesondere auf den Anteil von deutlich über 50% ihrer Aktionäre, die über 65 Jahre alt sind.

So trieb unter anderem die soziale Verantwortung für das Wohlergehen ihrer Anteilseigner die Unternehmen im Blitztempo zu einer Stimmabgabe über das Internet.

Sowohl bei EZL als auch bei den Titlis Bahnen war man überrascht, wie viele Aktionäre ihre Stimmen digital abgaben. Laut Leu war die Stimmbeteiligung bei dem Engelberger Unternehmen gleich hoch wie in den vergangen Jahren, bei der EZL stimmten laut Näf immerhin 180 Aktionäre über den Stimmrechtsvertreter ab, im Gegensatz zu normalerweise ca. 300 stimmenden Anteilseignern.

Physisch äquivalente Beteiligung muss gesichert sein
Andr
Andreas Rudolf, Rechtsanwalt MME Legal

Es herrsche mit der Covid-2-Verordnung des Bundesrates Notrecht, würdigte Andreas Rudolf, Rechtsanwalt bei MME Legal, das Vorgehen von EZL bzw. Titlis Bahnen. Internet-GVs seien rechtlich zulässig, solange eine physisch äquivalente Beteiligung gesichert sei. Diese sei z.B. über einen Stimmrechtsvertreter zu gewährleisten, der die Voten der einzelnen Aktionäre im Vorfeld sammelt und sie dann in die GV einbringt.

Dazu brauche es keine statutarische Grundlage; der Artikel 6 b. des Notrechts, das zunächst bis 30. Juni gilt, sehe dieses Vorgehen vor, so Rudolf (siehe auch aktuelle FAQ des EJPD). Ganz im Gegensatz zur geplanten Aktienrechtsrevision. Wenn diese zur Anwendung komme, benötigten Unternehmen eine statutarische Grundlage, um GVs ohne physische Präsenz durchführen zu können.

Die Identifikation des Aktionärs ist das Kernthema
Peter Schnürer, CEO daura ag

Das Kernthema bei der virtuell durchgeführten GV sei die Identifikation des Aktionärs, so Peter Schnürer, CEO der daura AG. Seine Firma führt bereits eine Reihe von digitalen Aktienbüchern auf Blockchain-Basis, z.B. das der Swisscom. So könne z.B. ein Stimmrechtsvertreter auf einen digitalen Stimmrechtsausweis eines Aktionärs zugreifen, der in einer sicheren Infrastruktur, z.B. bei der Swisscom oder der Schweizerischen Post, gehostet sei. Der Stimmrechtsvertreter erhalte damit eine vorstrukturierte Instruktion der Aktionäre und müsse nicht mehr aufwendig mit Excel-Tabellen operieren, erklärte Schnürer.

EZL mit „Nimbus“ und die Titlis Bahnen mit „Netvote“ verfügen beide bereits seit ein paar Jahren über ein digitalisiertes Aktienregister. Das half entscheidend mit, innert kurzer Zeit und mit verhältnismässig überschaubarem Aufwand von der physischen zur digitalen GV zu switchen.

Nachträgliche Traktandenänderung nicht erlaubt
Marc Leu, CFO der Titlis Bahnen

Gerade die Titlis Bahnen hatten Mitte März andere Sorgen, denn das Skigebiet und die Hotels rund um den Titlis mussten nach der ersten Covid-19-Verordnung unmittelbar geschlossen werden. Dazu kam der in den Medien breit wiedergegebene Aufruf mancher Exponenten zum Dividendenverzicht. Da hatte man jedoch bereits eine Dividende zugesagt. Erst zwei Tage vor der GV entschieden sich der VR und die operative Leitung der Titlis Bahnen trotz des grossen öffentlichen Drucks zur Beibehaltung der Dividendenzahlung, wie Leu berichtete.

Ein nachträgliches Ändern der Traktanden, z.B. ein Beschluss zur Streichung von Dividendenzahlungen, sei normalerweise nicht zulässig, beantwortete Rechtsanwalt Rudolf eine entsprechende Frage eines Webinar-Teilnehmers. Rudolf wollte aber auch nicht ausschliessen, dass in einer dramatischen Situation eine Änderung der Traktanden möglich sei.

GVs ohne Aktionäre sparen Geld und Zeit

Wird es in Zukunft nur noch digitale GVs geben? Haben die Unternehmen wegen der Einsparungen bei Zeit und Mitteln Blut gerochen, die aufwendigen GVs mit Hunderten bzw. Tausenden von Aktionären in Zukunft nicht mehr abhalten zu müssen? Ganz zu schweigen davon, dass dann VR und GL keine langatmigen Voten unzufriedener Aktionäre mehr über sich ergehen lassen müssen.

Viele grosse Unternehmen hätten gejubelt, dass es zurzeit keine GVs mit Aktionärspräsenz gäbe, so RA Rudolf. Jetzt wäre man in 30 Minuten durch, was ansonsten locker vier Stunden dauern würde.

Und auch für kleinere Unternehmen hätte die digitale Abwicklung z.B. einer ausserordentlichen GV grosse Vorteile. Da sei ein Zusammenkommen von einer Handvoll Aktionäre oft ineffizient.

Unbedingtes Festhalten an der traditionellen GV

Bei EZL und den Titlis Bahnen möchte man unbedingt an der bisherigen Form der Aktionärsversammlung festhalten. Gross- und Kleinaktionäre müssten gleich behandelt werden, so Marco Leu. „Die Verbundenheit der Aktionäre mit unserem Unternehmen, der Region, der Berge“, das sei ungemein wichtig für ein Unternehmen wie die Titlis Bahnen und müsse entsprechend erlebbar sein.

Ähnlich äussert sich auch Markus Näf: „Die Aktionäre müssen wieder an einen Tisch kommen. Und sie kommen auch und nicht zuletzt wegen des gesellschaftlichen Teils.“ Der Dialog zwischen Unternehmen und Anteilseignern müsse stattfinden können, und zwar mit physischer Nähe.

Peter Schnürer seinerseits geht davon aus, dass sich bezüglich GVs eine Hybridform durchsetzen wird. Und er ist sicher: „Mit digitalen GVs können wir auch Digital Natives, also den Jungen, den Zugang zu Aktien aufzeigen“.

Weitere Unterlagen zum Webinar von schweizeraktien.net:

Aufzeichnung des Webinars vom 12. Mai 2020 (59 Min.)

Referat Dr. Andreas Rudolf, Rechtsanwalt MME Legal

Referat Markus Näf, CFO Energie Zürichsee Linth

Referat Peter Schnürer, CEO daura AG

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