Neue Zürcher Zeitung: Wasser predigen, Wein trinken – die Doppelmoral der „alten Tante“

Ausschüttungsverbot wegen staatlicher Entlastungsmassnahmen

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Was die Eigentümer einer Aktiengesellschaft interessiert, ist, welche Dividende ihr Engagement einbringt. Diese Information ist das Herzstück des Vorworts im Geschäftsbericht jeder AG. Im Vorwort von NZZ-Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod und CEO Felix Graf dazu: nichts. Warum nur? Weil die NZZ ihren Aktionärinnen und Aktionären für 2020 keine Dividende zahlt? Nichts zahlen darf? Dafür lesen wir Copypaste-Begriffe wie „Qualitätsjournalismus“ und Danksagungen an die Mitarbeitenden und ihren ausserordentlichen Einsatz. Und ja: Auch den Aktionärinnen und Aktionären wird für die Unterstützung gedankt, die Strategie mitzutragen.

Erfolgreicher Nutzermarkt
23,5% Wachstum der NZZ-Abonnenten im Pandemiejahr 2020. Bis 2030 soll die Zahl auf 400’000 verdoppelt werden. Quelle: Geschäftsbericht der NZZ

Diese Strategie ist erfolgreich, wenn man sich isoliert den Nutzermarkt – und hier auch nur die Anzahl der Nutzer – anschaut. Um 23,5% hat der Bestand an Abonnentinnen und Abonnenten zugenommen, eine stolze Zahl, die sowohl auf den Ausbau des Deutschlandgeschäfts als auch auf die Informations-Hungrigkeit während Pandemie-Zeiten zurückzuführen ist. Ein etwas anderes Bild zeigt sich, wenn man das entsprechende Umsatzwachstum analysiert: 23,5% mehr Abonnenten bedeuten ein Umsatzplus von nur 5%.

Einen deutlichen Einbruch hat die NZZ Mediengruppe – wieder einmal – im Werbemarkt Print zu verzeichnen, der weit über den erwarteten strukturell bedingten Einbussen gelegen habe, so der Geschäftsbericht. Der Umsatz ging um 22% gegenüber dem Vorjahr zurück. Insgesamt reduziert sich der betriebliche Gesamtertrag der NZZ Gruppe um 10 Mio. CHF auf 221 Mio. CHF (Vorjahr 231 Mio. CHF).

Da sich parallel zum Ertrag auch die Ausgabenseite um 10 Mio. CHF verminderte, ergibt sich unter dem Strich ein leicht gestiegenes EBIT von 17.6 Mio. CHF (Vorjahr: 17.5 Mio.).

Insbesondere das Finanzergebnis habe gegenüber dem Vorjahr deutlich abgenommen, was grossteils auf die Wertschriften-Performance zurückzuführen sei, die mit 5% im Vergleich zu 9% im Vorjahr tiefer ausgefallen sei, schreibt die NZZ. Das führt zu einem Gruppenergebnis von 15.3 Mio CHF nach 18.4 Mio. CHF in 2019.

Verwaltungsrat beantragt Dividendenverzicht

Ein Gewinn, an dem die Aktionäre, wie eingangs erwähnt, nicht partizipieren, nicht partizipieren dürfen. Der Verwaltungsrat beantragt einen Dividendenverzicht: „Dies aufgrund der Corona-bedingten Ausnahmesituation, deren wirtschaftliche Folgen ungewiss bleiben. Zudem konnte die NZZ im Jahr 2020 auch von staatlichen Entlastungsmassnahmen profitieren. Diese sind teilweise mit einem Dividenden-Ausschüttungsverbot verbunden“, schreibt das Unternehmen.

Was interessiert das Gerede der letzten 241 Jahre?

Staatliche Entlastungsmassnahmen! Man muss sich dieses Wort im Zusammenhang mit der NZZ, die sich seit 241 Jahren eine liberale, freisinnige Grundhaltung auf die Fahnen geschrieben hat und deren aktueller Chefredaktor Eric Gujer keine Gelegenheit auslässt, staatliche Subventionen zu geisseln, auf der Zunge zergehen lassen. Aber was interessiert mich mein Gerede der letzten 241 Jahre, wird man sich bei der „alten Tante“ an der Falkenstrasse denken. Wir nehmen mit, was geht: 1.6 Mio. CHF Kurzarbeitsgeld; Kulturbeiträge des Kanton Zürichs als Entschädigung für reduzierte Besucherzahlen am Zurich Film Festival (die NZZ hat 2020 ihre Beteiligungsquote am ZFF von 76% auf 100% ausgebaut); bei den konzessionierten TV-Gesellschaften Bundesnothilfen zur Abfederung der deutlichen Einbussen im Werbemarkt; dazu Fördergelder für die Direktzustellung der Zeitungen und Mediennothilfen der Agentur Keystone SDA. Die NZZ erhält Millionen vom Staat, wie viele, wird aus dem Geschäftsbericht nicht ersichtlich und auch auf Nachfrage hin nicht preisgegeben.

Wasser predigen, Wein trinken

Auch wenn man einwenden kann, dass es sich zumindest bei den Kurzarbeitsgeldern nicht um Subventionen, sondern um Versicherungsleistungen handelt, so legt die NZZ im Abgreifen von Staatsgeldern doch ein gehöriges Mass an Doppelmoral an den Tag. Wer nachfragt, warum Wasser gepredigt, aber Wein bei der NZZ getrunken werde, erhält von der Pressestelle eine denkwürdige Antwort: „Aus liberaler Sicht sind Fördergelder grundsätzlich problematisch, denn sie führen zu einer Wettbewerbsverzerrung. Wenn allerdings Medien-Angebote breitflächig gefördert werden, würde es auch wieder zu einer Wettbewerbsverzerrung führen, wenn nicht alle Anspruchsberechtigten die Gelder annehmen würden.“

Allerdings könnte man mit einer Eigenkapitalbasis von stolzen 76% –  ohne grossen wirtschaftlichen Schaden zu nehmen – auch die Grundsätze einer liberalen, von staatlichen Einflüssen unabhängigen Instanz beibehalten. 

Wer glaubt jetzt Chefredaktor Gujer noch ein Wort, wenn er wieder einmal z.B. die SRG und deren Bezug von öffentlichen Geldern kritisiert? Wenn er staatliche Interventionen in die Wirtschaft anprangert?   

Fazit und Ausblick

In Zeiten der Pandemie geschieht viel Unerwartetes, Unerhörtes, Unerfreuliches, aber natürlich hat eine solch ausserordentliche Situation auch Erfolgsgeschichten zu bieten. Zum Erfreulichen bei der NZZ gehört der Anstieg der Digital-Abonnenten; man hat sich vor allem in Deutschland eine Nische auf- und ausgebaut, auch wenn viele Kritiker darauf verweisen, dass dies am rechten Rand geschehe.

Soll die NZZ am Sonntag in die nächste digitale Phase führen: Jonas Projer, ex Chefredaktor von Blick TV. Bild: nzz.ch

Nicht ganz so rund läuft es in Personaldingen. Dass der langjährige Chefredaktor der NZZ am Sonntag, Luzi Bernet, mehr oder weniger out of the blue aus seinem Amt gedrängt wurde und von Jonas Projer ersetzt wird, wirft mehr Fragen als Antworten auf. Warum holt man einen TV-Journalisten, der bisher nicht durch  Autorenkommentare von sich reden gemacht hat, in die Chefposition einer Zeitung? Fakt ist, Projer soll laut NZZ das Sonntagsblatt in die „nächste digitale Phase“ führen, was immer das heisst.

Etienne Jornod und Felix Graf schwärmen von Projer als „charismatischer Führungspersönlichkeit“. Wenn das nur gut geht. Denn jetzt prallen mit Gujer und Projer zwei grosse Egos in den Chefredaktionen der NZZ und der NZZaS aufeinander, und das mit der Vorgabe, weitere Synergien zwischen den beiden Blättern zu schaffen.

Daneben bleiben die alten Probleme bestehen: der rückläufige Werbemarkt, der weitere Rückgang an gut bezahlenden Printabonnenten, die pandemiebedingten Verluste im Veranstaltungsgeschäft. „Im Veranstaltungsgeschäft werden die Auswirkungen der Corona-Pandemie im Jahr 2021 weiterhin spürbar bleiben“, so der Ausblick im Geschäftsbericht.

Allerdings hat so eine Pandemie auch ihr Gutes. In 2021 könnten wieder staatliche Gelder der NZZ zufliessen. Die Leserzahl bleibt hoch, weil die Medienkonsumenten in diesen Zeiten nach Informationen lechzen. Nur: Leer ausgehen dürften wiederum die Aktionärinnen und Aktionäre.

Die Aktie der NZZ wird auf OTC-X der BEKB gehandelt,  zuletzt zu einem Preis von 5‘370 CHF.

Der Autor ist KEIN Aktionär der Neuen Zürcher Zeitung. 

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