Mit der Corona-Pandemie kam es seit dem Frühjahr 2020 immer wieder zu längeren und kürzeren Lockdowns auf der ganzen Welt. Die Schweizer Wirtschaft hat diese Phasen bisher vergleichsweise gut überstanden. Jetzt machen den Unternehmen weltweit die Folgen des Wiederhochfahrens der Wirtschaft zu schaffen. Kurzum: Eine sprunghaft angestiegene Nachfrage stösst auf ein reduziertes Angebot. Engpässe bei Rohmaterialien, den Lieferketten, in der Logistik und auch bei der Energieversorgung sind die Folgen. Bereits seit Jahresbeginn haben sich die Grosshandelspreise für Strom stark verteuert; pro MwH müssen für Lieferungen in 2022 mittlerweile weit über 100 EUR bezahlt werden. Anfang Jahr lagen die Preise noch bei 55 EUR und darunter.
Wir haben bei Eugen Perger, Head Equity Strategy bei Research Partners und Analyst für Aktien von börsenkotierten Energiefirmen, nachgefragt und wollten wissen, wo die Ursachen liegen und welche Auswirkungen die explodierenden Energiepreise auf die Schweizer Energieproduzenten haben.
Was genau sind die Gründe für den plötzlichen Anstieg der Energiepreise?
Es gibt hier nicht nur eine einzige Ursache. Der Hauptgrund ist die gesunde, starke Erholung der Weltwirtschaft. Diese hat dazu beigetragen, dass die Nachfrage nach Energie sprunghaft angestiegen, aber auf ein knappes Angebot gestossen ist. Hier verhält es sich ähnlich wie bei den Lieferkettenproblemen, die sich derzeit in der ganzen Welt zeigen. Anders als in früheren Krisen haben wir derzeit keinen Nachfrageüberhang, sondern ein Logistikproblem. Energie ist ausreichend vorhanden, aber bei den Verbrauchern nicht ausreichend verfügbar. Im Gegensatz zum Rohstoffboom der frühen 2010er-Jahre können die OPEC und andere Anbieter mehr Öl fördern, falls es für sie opportun ist. Damals war die Restkapazität sehr viel geringer und fast gänzlich auf Saudi-Arabien beschränkt.
Also spielen geopolitische Gründe, wie die zurückhaltenden Gaslieferungen Russlands oder die Energiewende keine grosse Rolle?
Doch. Allerdings kommt zu diesen beiden Faktoren, die schon länger zu den Rahmenbedingungen für die Energiewirtschaft gehören, der Nachfrageschub aus der anziehenden Konjunktur nach den Lockdowns hinzu. Dies war schlussendlich der Auslöser für den explosionsartigen Anstieg der Energiepreise.
Ist dieser Effekt temporärer Natur oder müssen wir uns dauerhaft auf höhere Energiepreise einstellen?
Die extrem hohen Preise sind sicherlich temporärer Natur. Dennoch werden wir uns generell wieder auf höhere Energiepreise einstellen müssen. Preise von unter 50 USD pro Barrel Öl waren einfach zu niedrig; ein normaler Preis liegt bei 80 USD. Aufgrund der geringeren Preise im letzten Jahr sind allerdings auch die Investitionen der Erdölindustrie zurückgegangen, was sich nun in einem geringeren Angebot zeigt. Jetzt sind die Preise auf einem Niveau, auf dem sich die Investitionen wieder lohnen. Auch neue Investitionen werden mittelfristig zu einer gewissen Entspannung beitragen. Erdöl ist immer noch der weltweite Taktgeber. Die Preise für Gas, Kohle, CO2-Emissionszertifikate und damit für den Strom sind davon auch heute noch stark beeinflusst.
In welchen Bereichen ist die Schweiz betroffen?
Die Schweiz bezieht so gut wie kein russisches Gas. Ein grosser Teil kommt aus Algerien. Allerdings bezieht die Schweiz je nach Marktlage Strom aus Kohle- oder Gaskraftwerken in Deutschland und Italien, die zur BKW gehören. Weitere fossile Kraftwerke mit Schweizer Beteiligung stehen in Italien, Spanien und bei Budapest. Diese sind auf russische Gaslieferungen angewiesen. Zusätzliche Atomenergie bezieht die Schweiz über Bezugsrechte im Ausland, beispielsweise aus dem französischen Kernkraftwerk in Cattenom, wo die BKW über Bezugsrechte verfügt.
Ein grosser Vorteil für die Schweiz sind die vielen Wasserkraftwerke. Hier sehe ich das grösste Potenzial für die Pumpspeicherkraftwerke. Das sind vereinfacht ausgedrückt riesige Batterien. Die bekanntesten sind sicherlich Linth-Limmern und Nant-de-Drance, aber auch Dixence und der grosse Kraftwerkskomplex am Grimsel liefern bei Bedarf begehrte und entsprechend teure Spitzenenergie. Leeren sich die Stauseen, kann in der Nacht, bei mildem Wetter oder viel Wind günstiger Strom eingekauft werden, um Wasser aus den Ausgleichsbecken wieder hochzupumpen und den Stausee für den nächsten Spitzenbedarf zu füllen.
Welchen Effekt hat der Anstieg der Preise auf die Schweizer Energiewirtschaft?
Die Betreiber von Schweizer Wasserkraftwerken haben lange unter Druck gestanden, was auch auf die niedrigen Strommarktpreise zurückzuführen war. Jetzt haben sie sich aus dem Tal der Tränen gelöst. Der Strompreis liegt seit ca. 2019 auf einem Niveau, welches einen profitablen Betrieb so gut wie aller Schweizer Kraftwerke ermöglicht, also Stauseen, Fluss- und Kernkraftwerke. Die guten Börsen sind auch willkommen, denn die Kernkraft muss zur Vorbereitung der Stilllegung in staatliche Fonds investieren, ähnlich wie es eine Pensionskasse tut.
Welche Unternehmen profitieren, welche leiden unter dem Preisanstieg?
Profitieren werden alle klassischen Energieerzeuger, die eigene Wasserkraftwerke betreiben. Diese werden durch den stark gestiegenen Strommarktpreis noch profitabler. Dieser Effekt wird sich allerdings erst ab 2023 zeigen, denn die 2021er-Lieferungen sind abgesichert, die 2022er-Lieferungen ebenfalls zum grossen Teil. Erst ab 2023 oder 2024 werden diese Effekte in den Erfolgsrechnungen spürbar sein, denn die Lieferverträge werden heute zu den vorteilhaften Preisen abgeschlossen.
Sind Pleiten wie in Grossbritannien bei den Gasversorgern möglich?
Nein, dazu ist der Markt viel zu stark reguliert. Ich sehe da keinerlei Risiken.
Welches sind die Aktien-Empfehlungen von Research Partners in der Energiebranche?
BKW ist ein Must-have. Der für 2023 bzw. 2024 zu erwartende Effekt aus den gestiegenen Strommarktpreisen ist in den aktuellen Kursen noch nicht enthalten, da der Zeitraum zu weit weg ist. Romande Energie ist als Produzent ein ähnlicher Fall. Interessant ist auch die Energiedienst Gruppe, die in Deutschland und im Wallis grosse Kraftwerke betreibt. Dort kann Energiedienst zu rekordtiefen Kosten Strom produzieren. Ausserdem verfügt Energiedienst über ein eigenes Gasnetz, das ausschliesslich Biogas liefert. Im Vergleich zu anderen Energieunternehmen, wie beispielweise der österreichischen Gruppe «Der Verbund», hat sich die neue Hausse an den Strommärkten noch nicht in den Aktienkursen der Schweizer Versorger niedergeschlagen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Neben den drei börsenkotierten Energiefirmen BKW, Romande Energie und Energiedienst Holding werden auch ausserbörslich Aktien von Energie- und Versorgungsunternehmen gehandelt. Der von der BEKB errechnete OTC-X-Energie-Index, der insgesamt 21 Werte umfasst, legte seit Jahresbeginn um 9.7% zu. Allerdings zeigt sich bei einem genaueren Hinsehen ein differenziertes Bild. Gewinner sind auch hier die Energieunternehmen mit einer eigenen Stromproduktion aus Wasserkraft, wie dies bei den kotierten Titeln der Fall ist. Dazu zählen die Eniwa Holding (+ 63,3%), die ein eigenes Flusswasserkraftwerkt in der Aare und seit 2020 zusätzlich ein Dotierkraftwerk betreibt, und die Repower AG (+ 30,1%) mit ihren 15 eigenen Wasserkraftwerken in Graubünden.
Weniger Bewegung zeigte sich hingegen bei die regionalen Versorgungsunternehmen, die oftmals über keine oder nur eine kleine eigene Produktion verfügen. Sie können daher nicht von den steigenden Preisen profitieren. Je länger die Strommarktpreise auf dem aktuellen Niveau bleiben oder sogar noch weiter steigen, desto stärker dürfte der positive Effekt auf die Erfolgsrechnung der Produzenten in zwei oder drei Jahren sein. Angesichts der drohenden Versorgungslücken sind dann die Betreiber von Wasserkraftwerken, und hier insbesondere von Pumpspeicherkraftwerken, am besten positioniert.