Abspaltungen: Was sagen die Transaktionen von Novartis und ABB?

Werden Spin-offs, Ausgliederungen, Verselbständigung und IPOs von Tochtergesellschaften zum Trend?

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Generika nehmen einen immer grösseren Platz in der Medikamentenversorgung ein. Bild: stock.adobe.com

Die Börse dient nicht nur der Kapitalbeschaffung von Unternehmen, sie ist auch und vor allem ein Marktplatz. Mit Novartis und ABB bringen aktuell zwei Schwergewichte der Schweizer Börse Tochtergesellschaften an den Markt. Doch die Transaktionen sind unterschiedlich motiviert. Wie sind die Chancen und die Risiken für Investoren einzuschätzen?

Der Kerngedanke der meisten Unternehmenstransaktionen ist die Beschleunigung von Umsatz- und Gewinnwachstum, die Verbesserung der strategischen Position im Wettbewerb und die Steigerung des Unternehmenswerts. Dies kann auch durch Ab- und Aufspaltungen geschehen. In der langfristigen Betrachtung wechseln an den Börsen die Vorlieben zwischen verschiedenen Paradigmen. Mal sind breit diversifizierte Industriekonglomerate «en vogue» und damit überdurchschnittlich bewertet, dann fokussierte Unternehmen, dann wieder vertikal integrierte. Nicht zuletzt bestimmen auch technologische Innovationen sowie der Zinszyklus das Börsengeschehen wesentlich – und somit auch die wechselnden Vorlieben der Anleger.

Spin-off von Sandoz durch Novartis

Der Fall des Spin-offs von Sandoz durch Novartis folgt einer klaren industriellen Logik. Seit 10 Jahren hat sich Novartis konsequent von den Aktivitäten getrennt, die nicht Teil des Kerngeschäfts der innovativen Arzneimittel sind. 2013 wurden das Vakzingeschäft und der Bereich OTC-Gesundheitsprodukte abgestossen. 2017 erfolgte der Spin-off der Augenheilsparte Alcon. Erst nach dem geplanten Spin-off der Generika-Tochter Sandoz wird Novartis ein lupenreiner Pharma-Player sein, der sich zu 100% auf innovative Medikamente konzentriert.

Seit 10 Jahren hat sich Novartis konsequent von Aktivitäten getrennt, die nicht zum Kerngeschäft der innovativen Arzneimittel gehören. Chart: six-group.com
Verbesserte Wachstumsprognose

Novartis wird dann schneller wachsen, eine höhere Gewinnspanne aufweisen und deshalb auch eine höhere Börsenbewertung beanspruchen. Während sich die EBIT-Marge im Generikageschäft im Durchschnitt der letzten Jahre bei 12% bewegt, erzielte das forschungsintensive Medikamentengeschäft mit 25% das Doppelte. Und während die Pharmaumsätze seit 2017 von 33 Mrd. CHF auf 42 Mrd. CHF stiegen, fielen die von Sandoz um 500 Mio. CHF auf 9.6 Mrd. CHF.

Steigerungsfähiges KGV

Im Jahr 2021 lag der Konzernumsatz bei 47.2 Mrd. CHF, die aktuelle Marktkapitalisierung beträgt 164 Mrd. CHF. Auf Basis des für 2022 geschätzten Gewinns bewegt sich das KGV knapp über 13. Sowohl KGV wie KUV liegen somit nahe dem unteren Ende der für Pharma-Unternehmen üblichen Bewertungsbandbreiten. Bei Lilly liegt das KGV bei über 50, bei Bristol Myers Squibb immerhin bei 24. Beide sind lupenreine Vertreter der forschenden Arzneimittelindustrie. Das Langfristziel von Novartis unter dem gegenwärtigen CEO ist es, eine branchenübliche Bewertung für innovative Medikamentenhersteller am Markt zu erreichen. Es geht um Milliarden. Schon ein KGV von 20 würde eine um 80 Mrd. CHF höhere Market Cap bringen.

Intensiver Wettbewerb im Generikamarkt

Der Charme von Sandoz als stand-alone company ist nicht sehr überzeugend. In Europa ist Sandoz zwar Marktführer bei Nachahmermedikamenten, doch in den anderen wichtigen Weltregionen dominieren die israelische Teva Pharmaceuticals sowie die amerikanische Viatris. Wie schwierig das Generika-Geschäft ist, zeigt der Chart von Teva, der über 80% unter dem historischen Hoch liegt. Die Market Cap beträgt gerade noch 8.8 Mrd. USD, bei 51.2 Mrd. USD Umsatz im vergangenen Jahr.

Der Kurs von Teva liegt über 80% unter dem historischen Hoch. Chart: nasdaq.com
Indien und China mit Wettbewerbsvorteilen

Ein wichtiger Punkt unter Wettbewerbsaspekten ist die wachsende Konkurrenz aus Indien und China, gerade im Bereich der Generika. Hier zählen die geringeren Lohnkosten und die weniger strenge Regulierung noch, denn die Margen sind enger als im Bereich der patentgeschützten Arzneimittel. Es bleibt auch abzuwarten, ob die in Aussicht gestellte hohe Dividendenrendite von Sandoz von dauerhafter Natur sein wird.

Novartis vielversprechender als Sandoz

Theoretisch könnte es zwar zu einer Übernahme von Sandoz nach dem Spin-off an die Aktionäre kommen, doch die Preisfantasie ist beschränkt. Sandoz ist ja vor der Entscheidung zum Spin-off am privaten Markt angeboten worden. 20 Mrd. CHF kursierten als Preisvorstellung. Interesse wurde beispielsweise den Strüngmann Brüdern nachgesagt, doch weiter ging es nicht. Die sinnvolle Nutzung des Spin-offs besteht somit für die Aktionäre darin, sich von Sandoz zu trennen und die Erlöse in Novartis zu reinvestieren, da die Aktie von einer Neubewertung und höheren Wachstumsprognosen profitieren sollte.

Accelleron – Neuzugang an der SIX

Bei ABB liegt der Fall nicht grundsätzlich anders. Auch ABB will sich auf das Kerngeschäft fokussieren: Elektrifizierung und Automatisierung. Das Turboladergeschäft, Accelleron genannt, ist eine Randaktivität, aber mit guter Marktstellung und soliden Wachstumsperspektiven. Der Umsatz lag vergangenes Jahr bei 756 Mio. USD. Der ABB-Konzern verzeichnete einen Jahresumsatz von 26.5 Mrd. CHF.

Weltmarktführerschaft

Accelleron ist mit 180’000 Installationen Weltmarktführer in Entwicklung, Produktion und Wartung von Turboladern und Komponenten in der Schiffbau-, Bahn- und Energie-Industrie. 7% des Umsatzes fliessen in F&E, um die Konkurrenzfähigkeit zu erhalten und zu steigern. Schon der Unternehmensname sagt, dass es um Beschleunigung geht. Dadurch wird der für die Grossmotoren benötigte Treibstoff effizienter eingesetzt, was Kosten und Emissionen senkt. Durch die Verselbständigung sollen die Wachstumspotenziale freigesetzt werden.

Gute Perspektiven

Die Accelleron-Aktie wurde als Sachdividende an die ABB-Aktionäre verteilt. Das Verhältnis beträgt 20:1, für 20 ABB-Aktien gab es also 1 Accelleron-Aktie. Erster Handelstag an der SIX ist der heutige 3. Oktober. Der Eröffnungskurs betrug 18 CHF. Das Unternehmen profitiert von den gesteigerten Bestrebungen in den genannten Industrien, den CO2-Fussabruck zu vermindern. Die Regulierung fordert diese durch neue Schwellenwerte auch in zunehmendem Mass. 75% des Umsatzes entfällt auf den Servicebereich, was hohe wiederkehrende Einnahmen impliziert. In über 50 Ländern werden insgesamt 100 Servicestationen betrieben Die Bruttomarge von Accelleron liegt laut ABB bei 25%. Die Perspektiven sind sowohl für ABB als auch den Spin-off Accelleron gut und durch die Fokussierung noch verbessert worden.

Fazit

Beide Transaktionen passen in die Zeit. Die Börse ist im Abwärtsstrudel aus Rezessionsängsten, Zinssteigerungen und hoher Inflation gefangen. Zuvor künstlich inflationierte Spekulationsblasen sind geplatzt. In einem solchen Umfeld zählen Qualität, gute Namen und eine auch im gegeben schwierigen Umfeld hohe Visibilität der Gewinnentwicklung. Die grossen Konzerne Novartis und ABB erhöhen durch die Abspaltungen ihren Konzentrationsgrad auf ihr Kerngeschäft und erhoffen sich dadurch eine verbesserte Wahrnehmung ihrer starken Fundamentals. So unterschiedlich die Geschäftsfelder Pharma einerseits und Automatisierung/Elektrifizierung andererseits auch sind, so ist ihnen doch gemein, dass ihre Industrien auch in der aktuellen Krise wachsen und sowohl ABB wie Novartis mit ihrer starken globalen Stellung als Innovations- und Marktführer auch über Pricing Power verfügen. Insbesondere bei Novartis sollte sich der Discount zur Bewertung der Peer-Group sukzessive vermindern.

Die abgespaltenen Unternehmen weisen dagegen unterschiedliche Wachstumsprofile auf. Während Sandoz seit Jahren ein leicht rückläufiges Umsatzvolumen verzeichnet und auch der Ausblick vom verschärften Wettbewerb gekennzeichnet ist, verfügt Accelleron über starke Wachstumstreiber, insbesondere das neue Primat der Energieeffizienz und der Reduzierung der Emissionen. Insofern passt die Equity Story gut in die aktuelle Börsenlandschaft. Beide Neuzugänge an der SIX kommen ohne IPO aus, die Unternehmen sind profitabel und haben keinen aktuellen Kapitalbedarf. Ähnlich gelagerte Fälle könnten angesichts der Börsenlage und -stimmung in der nächsten Zeit für mehr Neuzugänge an der SIX sorgen als echte IPOs.

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