«Alles was lediglich wahrscheinlich ist, ist wahrscheinlich falsch.» René Descartes, Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler, 1596-1650
Die USA als stärkste Supermacht, grösste Volkswirtschaft und wichtigster Kapitalmarkt stehen eigentlich immer im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit. Mal mehr, mal weniger. 2024 dürften die USA eindeutig die Schlagzeilen dominieren. Und die Gemengelage lässt keine einfachen Lösungen für die zahlreichen nationalen und internationalen Krisen und Herausforderungen erwarten. Die Implikationen sind weitreichend – ob beim Vertrauen in die Bonität staatlicher Emittenten, den Fortbestand der Demokratie oder mit Blick auf Eskalationen kriegerischer Aktivitäten rund um den Globus.
Die Welt braucht die USA. Das Land hat die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts beendet, ein internationales Handels- und Finanzsystem etabliert und nicht zuletzt die Bedrohungen für Freiheit und Demokratie wie durch die totalitäre Sowjetunion abgewehrt. Das war zum Nutzen aller Länder der westlichen Hemisphäre, die seit 1945 einen beispiellosen Wohlstand erreichten. Die Epoche hat jedoch auch Schattenseiten, die meist nicht bedacht werden, wie die zahlreichen schmutzigen Kriege und Stellvertreterkriege in Südost-Asien, Afrika und Lateinamerika oder die Initiierung von Staatsstreichen durch Militärs.
Wohlstand und Freiheit
In diesen Teilen der Welt ist das Ansehen der Supermacht nicht besonders gut. Und obwohl die USA nie Kolonien hatten, agieren sie doch stets zum eigenen Nutzen wie in der Vergangenheit bei den «Bananenrepubliken» in Lateinamerika. In den ehemaligen Kolonien der Europäer in Afrika und Asien werden die Interessen kaum anders als von den tatsächlichen ehemaligen Kolonialmächten vertreten. Die Versprechen von Freiheit und Wohlstand haben sich für den grössten Teil der Bevölkerung und die meisten Emerging Markets nicht erfüllt. Manche Regionen wurden mit Kriegen überzogen, wie Irak oder Afghanistan, viele Länder wie Libyen, Somalia, Libanon, Haiti oder Venezuela sind «failed states», in denen fast nichts funktioniert und Gangs, Banden oder Milizen herrschen.
Das autokratische Modell
Russland und China haben keine Historie als Kolonialmächte des 20. Jahrhunderts. Die beiden marxistisch-leninistisch geführten Mächte haben jedoch seit den 1950er Jahren viele Kolonialländer in ihrem Unabhängigkeitsstreben direkt oder indirekt unterstützt. Obwohl aus der Sowjetunion vor 30 Jahren das heutige Russland hervorging und auch China starke Veränderungen erfahren hat, wurden doch die Beziehungen langfristig gepflegt und auch durch Kooperationen und Partnerschaften ausgebaut, wie etwa im Rahmen des Projekts der Neuen Seidenstrasse durch China. Russlands Unterstützung gilt heute meist dem Militär, um dieses an der Macht zu halten wie im Sudan oder Putschisten dorthin zu bringen wie in der Sahelzone.
Historische Bindungen
Diese «Soft Power» ist weitreichend. Die Relevanz besteht darin, dass beispielsweise Afrika 54 Stimmen in der UN hat und auch im UN-Sicherheitsrat vertreten ist. Die vom Westen verhängten Sanktionen gegen Russland greifen daher nicht. Im Gegenteil, in Ländern wie Indien oder Thailand ist dadurch sogar eine Sonderkonjunktur in Gang gekommen. Auch in Ländern wie Südafrika oder Ägypten ist nicht vergessen worden, dass einst das Streben nach Unabhängigkeit von den Kolonialmächten von der Sowjetunion unterstützt wurde, auch wenn das Motiv eher dem Hegemonialstreben der UdSSR entsprungen ist.
Konfliktpotenziale nehmen zu
Der Gaza-Konflikt ist zwischenzeitlich in eine neue Nahost-Krise mutiert, die militärischen Aktionen weiten sich auf Libanon, Syrien, Iran und Jemen aus. Und zahlreiche alte Konflikte sind neu aufgebrochen wie zwischen Iran und Pakistan. Seit sich die USA von ihrer Rolle als Weltpolizist zurückgezogen haben, nehmen kriegerische Konflikte zu. Problematisch ist, dass die Zahl der Nuklearmächte zugenommen hat, darunter sind schwer kalkulierbare Länder wie Nordkorea und Pakistan.
Nukleare Eskalation
Putin kündigte vor kurzem eine Reise nach Nordkorea an. Dort werden ständig neue Langstreckenraketen getestet. Gleichzeitig droht Russland dem Westen, der die Ukraine mit Rüstungsgütern und Geld unterstützt, offen mit dem Einsatz taktischer Nuklearwaffen. Die haben Reichweiten bis zu 5500 km und können ein beschränktes Zerstörungspotenzial wie gegen Städte oder Regionen entfalten.
Lagerbildung
Inzwischen sind viele Friedensinitiativen sowohl mit Blick auf den Ukraine-Krieg wie auf den Gaza-Krieg ins Leere gelaufen. Vereinzelte Erfolge ändern jedoch nichts am Gesamtbild. Weder die USA noch die EU verfügen über genügend Einfluss, um die Situation nachhaltig zu entschärfen. China hält sich heraus, ist jedoch in einer grenzenlosen Partnerschaft mit Russland. Das zeigt sich in gemeinsamen Manövern, ausgeweiteten Handelsbeziehungen und wohl noch manchem mehr. Noch vor China ist Indien der grösste Abnehmer von Öl aus Russland geworden.
Die US-Präsidentenwahl
Die Situation ist brenzlig und voller Dilemmata. Dazu tragen ganz wesentlich die politischen Umbrüche bei, die sich überall in der Welt ereignen. In den USA steht die Wahl des Präsidenten an. Wie es gegenwärtig aussieht, werden erneut Biden und Trump um das Amt konkurrieren. Das allein zeigt schon, wie sich die USA verändert haben. Trotz etlicher Anklagen und laufender Verfahren zu 91 Strafrechtsbeständen, u.a. wegen Aufruf zu und Teilnahme am verschwörerischen Aufstand und Sturm des Capitols wurde Trump nicht von der Kandidatur ausgeschlossen. Aktuell liegen die beiden Kandidaten in den Umfragen fast gleichauf.
Trump oder Biden?
Je nachdem wird die weitere Politik der USA geprägt sein. Ein Präsident Trump würde insbesondere anders mit Putin umgehen und die Bedeutung Europas und der NATO wieder herunterschrauben. Die Politik wäre isolationistisch. So viel anders ist die Politik Bidens auch nicht. Auch er betreibt eine Politik der Abschottung, vor allem an der südlichen Grenze zu Mexiko. Auch in seiner Regierungszeit haben Zölle, Subventionen und Handelshemmnisse den Wettbewerb verzerrt. Die internationalen Ambitionen sind allerdings beschränkt, da ohne republikanische Stimmen die Unterstützung von Ukraine und Israel nicht geleistet werden kann.
US-Staatsfinanzen in Schieflage
Überhaupt ist das finanzielle Standing der Supermacht prekär geworden. Die Staatsschulden in Prozent des BIP erreichen 129%. Das Haushaltsdefizit liegt bei 5,8% des BIP und das Zahlungsbilanzdefizit bei 3,7% des BIP. Demgegenüber macht der private Sektor einen überraschend guten Eindruck. Die Konsumentenstimmung bleibt gut, die Stimmung der Unternehmen bessert sich, und die Arbeitsmärkte bleiben eng. An der Börse war 2023 ein ausgesprochen gutes Jahr, gemessen an den Indizes. Und auch im noch jungen Jahr 2024 setzten Dow-Jones und S&P 500 bereits neue Rekordmarken.
US-Aktien – Priced for Perfection
Das Jahr der Präsidentschaftswahl ist für die Börse stets chancen- und risikoreich. Angesichts des bereits jetzt erreichten Rekordstandes und der durchaus gedehnten Bewertungen überwiegt der Optimismus. Man könnte sagen, dass die US-Börsen «priced for perfection» sind. Genau hier liegen die Risiken. Die Konsumentenstimmung ist auch deshalb so gut, weil die Konsumenten sich kaum in ihren Ausgaben einschränken und deshalb immer tiefer verschuldet sind. Die Kreditkartenschulden werden immer öfter nicht mehr bedient, die «Delinquency Rates» steigen, der Abschreibungsbedarf bei den Kreditgebern wächst.
Hohe Partizipationsrate der Privatanleger
Ein weiterer Indikator, der zur Vorsicht mahnt, ist die Tatsache, dass die US-Bevölkerung schon so breit und stark in die Märkte investiert ist, dass diese Partizipationsquote kaum noch steigerbar scheint. Zudem erweist sich eine solche extrem hohe Popularität von Aktien-Investments bei der Öffentlichkeit, ob nun direkt oder indirekt, im Rückblick immer als Wendepunkt. Das letzte Hoch ereignete sich, bevor die «Dot-com-Blase» geplatzt ist. Bedenklich stimmt auch, dass die Aktien-Hausse von nur wenigen hochkapitalisierten Titeln getragen wird.
Perspektiven unter Trump
Trump will die Steuern senken, was die Haushaltslage und die Verschuldungsquote weiter belasten würde. Der Welthandel würde schrumpfen, weil Zölle, Handelshemmnisse und Exportverbote für High-Tech zunehmen würden. Nationalistische Töne und die Herabwürdigung aller anderen – Mexikaner, Chinesen, Europäer – ist Teil des Erfolgsrezeptes von Trump und wird überall nachgeahmt, beispielsweise von den reaktionären und rechtsextremen Kreisen in Europa. Die zentralen Bestandteile sind Feindbilder, Nepotismus, Rechtsbeugung, Propaganda, Gewalt.
Der Weg in die Diktatur
Die Aushöhlung der Demokratie von innen ist aber nichts Neues. Der Populismus als Erfolgsrezept zur Abschaffung der Demokratie wurde bekanntlich von Benito Mussolini seit 1922 in Italien entwickelt und dann ab 1933 in Deutschland weiter perfektioniert. Wessen Geistes Kind Trump ist, lässt sich leicht ermitteln, wie die Washington Post dokumentiert. Schon vor seiner Wahl zum US-Präsidenten tweetete «The Donald» Zitate von Mussolini. Wie er will Trump die Wahlen abschaffen. Er sieht die Feinde, die er «Ungeziefer» nennt und vernichten will, im Inneren und hält sie für gefährlicher als Nordkorea, Russland und China. Alles, was Amerika braucht, ist ein starker Führer, ein Diktator, der mit Putin und anderen Autokraten auf Augenhöhe ist.
Raum für Überraschungen bei der Präsidentenwahl
Die Welt steht also an einem Scheidepunkt. Natürlich ist die US-Präsidentenwahl noch lange nicht entschieden. Beide bekannten Kandidaten sind in biblischem Alter – und könnten altersbedingt ableben oder dem Amt nicht gewachsen sein. Und es könnten Kandidaten antreten, die keiner der beiden Parteien angehören. Viele Konservative haben die republikanische Partei verlassen, weil sie mit Trumps Linie nicht einverstanden sind. Auch progressive oder liberale Kandidaten könnten antreten. Bis zur Wahl im November ist mit Propagandaschlachten, Desinformation und weiterer Polarisierung zu rechnen. Bestimmt werden sich auch die Russen wieder einmischen. Zudem ist die internationale Lage hochdynamisch und kann Wendungen nehmen, die gegenwärtig schwer vorstellbar sind.
Prognoseunsicherheiten
Diese Unsicherheiten machen auch eine Börsenprognose schwierig. Es ist nicht damit getan zu sagen, dass politische Börsen kurze Beine haben, denn das mag für vorübergehende Krisen oder einmalige Ereignisse wie den Sturz eines Premiers oder einen Korruptionsskandal gelten, nicht aber, wenn Demokratie und freie Marktwirtschaft sowie der Weltfrieden von allen Seiten attackiert werden. Die hohe Verschuldung der westlichen Länder limitiert die Möglichkeiten bereits beträchtlich. Die Unterwanderung durch verfassungsfeindliche Kräfte ist ein Sprengstoff im Inneren. Strategisch agierende Gegner wie Russland und China werden daraus Vorteile zu ziehen wissen. Weiterer finanzieller Spielraum im Westen kann nur durch staatliche Zwangsmassnahmen wie Steuererhöhungen gewonnen werden. Das mag nicht ins Weltbild der meisten passen, ist aber in Kriegszeiten die Regel.
Auf jeden Fall gilt auch heute noch Descartes Erkenntnis: «Es ist nicht genug, einen guten Kopf zu haben; die Hauptsache ist, ihn richtig anzuwenden.»
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