Bislang verlief der globale Börsenaufschwung weitgehend synchron, mit der Wall Street in der üblichen Führungsrolle. Technologie- und Finanzwerte waren die Zugpferde. Doch der bisherige Jahresverlauf zeigt auch Trendwenden, Verwerfungen und neue Favoriten auf. Vieles spricht dafür, dass der Sektor Healthcare weiterhin in die Gunst der Investoren kommen wird, vor allem in Europa.
Seit Jahrzehnten geistert immer wieder die Mär durch die Köpfe der Marktteilnehmer in Europa, dass sich die Börsen von der Entwicklung in New York abkoppeln können werden. Tatsächlich war dies, abgesehen von dem kurzen Strohfeuer nach der deutschen Wiedervereinigung, jedoch nie der Fall. Die Korrelationen von Frankfurt, Zürich, Paris oder Amsterdam zu New York sprechen eine klare Sprache.
Marktineffizienzen – Chancen für Anleger
Dennoch gibt es trotz der hohen Vernetzung zwischen den grossen Börsenplätzen immer wieder Ineffizienzen in Form von nicht gerechtfertigten Bewertungsunterschieden zwischen den einzelnen Märkten, die für versierte Arbitrageure gute Anlagechancen bringen. So ist unter den Large Caps im Pharma-Sektor die Bewertungsdiskrepanz zwischen den US-Giganten Pfizer, Merck & Co auf der einen Seite und Roche, Novartis und Glaxo auf der anderen Seite augenscheinlich.
Zwar ist der Geschäftsverlauf in den letzten Jahren bei allen genannten Pharma-Riesen, mit Ausnahme von Roche, bestenfalls stagnierend, wenn nicht gar rückläufig, dennoch sind die beiden US-Aktien von der Wall-Street-Hausse mit nach oben gezogen worden und erscheinen nun mit KGVs von 24x und 38x überbewertet. Ein Grund hierfür mag sein, dass Merck und Pfizer trotz schrumpfender Gewinne und erheblicher Aktienrückkäufe immer noch hohe Dividenden ausschütten, welche sogar die Gewinne je Aktie fast oder ganz umfassen. Das ist nicht nachhaltig, und angesichts weiterer Patentablauftermine und nicht mehr so vieler vielversprechender neuer Wirkstoffe in der Pipeline ist fraglich, was auf die Aktionäre wartet.
Novartis und Roche mit Kurspotenzial
Obwohl durchaus vergleichbar, sind die europäischen Pharma-Aktien relativ günstig bewertet und wurden von der Hausse in New York wenig berührt. So liegen die Dividendenrenditen von Novartis mit 3.3%, Roche mit 3.4% und Glaxo mit 5% deutlich über denen der US-Titel mit knapp unter 3%. Dabei ist die Ausschüttungsquote bei den beiden Schweizern niedriger, und die Pipelines sehen im Vergleich attraktiver aus.
Unterbewertete Biotech-Marktführer
Eine weitere Bewertungsdiskrepanz besteht zwischen klassischen chemo-pharmazeutischen Herstellern und den reifen und profitablen bio-pharmazeutischen Produzenten wie Amgen, Biogen oder Celgene. Denn obwohl Amgen in den letzten fünf Jahren die Umsätze immerhin von 17 auf fast 23 Mrd. USD gesteigert hat und den Gewinn auf 7.7 Mrd. USD fast verdoppelt, liegt das KGV heute bei nur 15x und damit signifikant unter dem der weitgehend stagnierenden Pharma-Riesen.
Bisher war es in der Regel umgekehrt, weil höhere Wachstumsraten auch eine höhere Bewertung verdienen. Daran hat sich nichts geändert. Durch die langjährige Nullzinspolitik konnten jedoch die grossen US-Pharmakonzerne mit Financial Engineering ihre Kurse nach oben bewegen. Aktienrückkäufe mit Kredite finanziert verringern die Aktienanzahl und weisen auf per-share-Basis eine bessere Performance auf. Im seit der Finanzkrise von 2008/2009 herrschenden Niedrigzinsumfeld zwingt eine hohe Dividendenrendite, selbst wenn sie teilweise kreditfinanziert ist, viele institutionelle Anleger, vor allem passiv operierende, investiert zu bleiben. Solange die Market Caps hoch sind, bleiben auch die Indexgewichtungen erhalten, was weiteres Anlagekapital bindet.
Doch Amgen ist keine Dow-Jones-30-Aktie und immer noch kein Name, den jeder Haushalt kennt, sondern lediglich eine Nasdaq-Aktie eines innovativen und hochprofitablen Biotech-Unternehmens mit trotzdem 122 Mrd. USD Börsenbewertung. Das ist nicht weit von Merck mit 170 Mrd. USD, allerdings bei in den letzten fünf Jahren von 47 Mrd. USD auf 39 Mrd. USD rückläufigen Umsätzen und einem Gewinn, der von 6.2 Mrd. USD auf 3.9 Mrd. USD zusammenschrumpfte.
Die inzwischen höheren und weiter steigenden Gewinne von Amgen sollten in einem effizienten Markt auch zu einer höheren Bewertung im Vergleich zu Merck mit der rückläufigen Gewinnreihe führen.
Ausgesuchte Arbitragemöglichkeiten
Die Arbitrage-Möglichkeiten soweit bestehen also in der Unterbewertung ausgesuchter europäischer Pharma-Aktien vs. ihren US-Äquivalenten einerseits und in der Unterbewertung der Aktien reifer und profitabler Biotech-Unternehmen vs. den Aktien der alten Pharma-Unternehmen, was aber nur die USA betrifft.
Nach der Akquisition von Actelion bietet die SIX zwar einige Biotech-Aktien, bei denen die Profitabilität nicht ausser Sichtweite ist, doch deren Bewertungsfindung an der Börse erfolgt durch andere Einflussfaktoren.
Medizintechnik bleibt attraktiv
Schwieriger ist der heterogene Bereich Medizintechnik einzuschätzen. Anfang des Jahres war auf die aufkommende Bewegung in dem Sektor und Anlageopportunitäten hingewiesen worden. Wenngleich das IPO der Siemens Healthcare-Aktivitäten noch auf sich warten lässt, dem direkten Wettbewerber Philips ist die Konzentration auf die Gesundheit bestens bekommen. Die Aktie stieg seit Juli 2016 von 24 USD auf 37 USD. In QII 2017 stiegen der Umsatz um 4% und der Gewinn um 36%. Der Auftragseingang kletterte um 8%. Zudem kauft Philips ab QIII für 1.5 Mrd. USD eigene Aktien zurück. Ziel ist eine Erhöhung der EBITDA-Marge um 1% p.a.
Die Traum-Aktie Stryker legte seit Jahresanfang weiter von 120 USD auf aktuell 146 USD zu. Und Medtronic kletterte von 71 USD auf nun 83 USD. Die KGVs der Starperformer liegen im Bereich 30x, allerdings bei einer seit Jahren positiven Umsatz- und Gewinnentwicklung.
Schweizer Starperformer
Ähnlich gut sieht es bei einigen der an der SIX kotierten Branchenvertreter aus. So legte die Aktie des Dentalunternehmens Coltene seit Jahresbeginn um 35% zu und stieg in den letzten fünf Jahren um über 300%. Auch Straumann setzte den langfristigen Aufwärtstrend in 2017 fort. Die Aktie legte seit Anfang Januar von 400 CHF auf nun 530 CHF zu. Das Hoch hatte allerdings bei 570 CHF gelegen. Nach der Kursexplosion seit Jahresbeginn und somit einem KGV nahe 40x gab es zuletzt eine Gegenreaktion. Auch Coltene ist mit einem KGV von 25x nicht mehr wirklich attraktiv bewertet.
Ypsomed – eine Chance nach dem Absturz?
Einen Kursabsturz erlebte dagegen Ypsomed. Jahrelang war der Kurs des Diabetes-Spezialisten stetig nach oben gegangen, allein seit Anfang Januar von 185 CHF auf 228 CHF. Dann jedoch wurde die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Insulet zum Vertrieb deren schlauchloser Insulinpumpe OmniPod Ende Juli per 30. Juni 2018 beendet. Der zur Erneuerung anstehende Vertrag mit seinen neuen Konditionen habe die Wirtschaftlichkeit für Ypsomed nicht mehr gewährleistet, so das Unternehmen. Obwohl der Vertrag noch ein Jahr läuft, stürzte die Aktie von 195 CHF auf 133 CHF ab. Inzwischen erholte sich der Titel wieder auf 150 CHF. Ein Verwaltungsratsmitglied nutzte die Gelegenheit und erwarb für 28 Mio. CHF Aktien, was als positives Signal zu werten ist.
Allerdings ist die Ypsomed-Aktie auch auf dem ermässigten Kursniveau immer noch mit dem 40fachen Jahresgewinn bewertet, so dass auch Potenzial für weitere Rückschläge gegeben ist, insbesondere, wenn der geplante Ersatz für OmniPod aus dem Haus Ypsomed unter den Erwartungen bleibt. Ypsomed hat 120 Mio. CHF Jahresumsatz und 24 Mio. CHF Betriebsgewinn aufgegeben und erhält noch eine Kompensationszahlung von ca. 50 Mio. USD für den erfolgreichen Aufbau des Geschäfts seit 2010. Sollten die Befreiung aus der Kooperationsvereinbarung und die erfolgreiche Substitution durch ein eigenes gleichwertiges Produkt mittelfristig zu mehr Dynamik und einer Margenstärkung führen, könnte die Aktie jedoch abermals positiv überraschen. Nur 27.6% der Aktien sind in Streubesitz, so dass eine wieder erstarkende Nachfrage der Anleger auf ein geringes Aktienangebot stossen wird.
Sonova und Tecan setzen Aufwärtstrend fort
Auch die weiteren SIX-Aktien Sonova und Tecan setzten ihren langfristigen Aufwärtstrend in 2017 fort. Die Aktie des Marktführers bei Hörgeräten stieg seit Jahresanfang von 123 CHF auf aktuell 155 CHF, die des OEM-Herstellers für die Klinische Diagnostik kletterte von 73 CHF auf 82 CHF. Einer der grossen Vorteile im Medtech-Segment für Anleger ist die meist hohe Prognostizierbarkeit der Geschäftsentwicklung, von Ausnahmen wie der Beendigung des Ypsomed-Vertriebsvertrags abgesehen. So lieferte Sonova im Geschäftsjahr 2016/2017 fast punktgenau die prognostizierten Wachstumsraten von 15% beim Umsatz und beeindruckende Gewinnzahlen. Aufgrund der säkularen Trends und der Expansion in Märkten, die nur wenige Wettbewerber aufweisen, sind und bleiben die Perspektiven der an der SIX kotierten Branchenvertreter gut. Dennoch erscheinen die Bewertungen durchweg ambitioniert und auf einem Niveau mit den amerikanischen Trendsettern. Echte Opportunitäten für Anleger sehen anders aus.
Hohe Erwartungen an Cendres+Metaux
Bei der auf OTC-X ausserbörslich gehandelten Cendres+Metaux (C+M) gibt es von der Medtech-Tochter zwar kaum Neuigkeiten, doch der Aktienkurs ist seit Anfang Januar von 6’200 CHF auf aktuell 10’500 CHF angestiegen. Die innovative Eigenentwicklung „Bone-anchored Port“ für den Dialysemarkt ist in Phase I der klinischen Erprobung. Bleibt zu wünschen, dass C+M die hohen Erwartungen der neuen Aktionäre auch erfüllen wird.
Kurs am 17.8.17 | MarketCap in Mrd. | Div.-Rendite | Performance seit 3.1.17 | |
Novartis N | 80.65 CHF | 215.6 USD | 3.4% | 7.8% |
Roche GS | 244.20 CHF | 213.5 USD | 3.4% | 3.2% |
Amgen | 171.39 USD | 122.4 USD | 2.7% | 14.8% |