Die Primärmarktaktivität ist extrem prozyklisch. Läuft die Börse gut, so wie in den letzten Jahren, boomt auch das Geschäft mit den Neuemissionen. Wenn der Markt aber fällt, ist auch das Interesse der Anleger gedämpft. Und so fallen die IPO-Statistiken dieses Jahr eher deprimierend aus. Die Anzahl der Börsengänge beläuft sich nach den ersten neun Monaten laut dem EY IPO-Report auf 992, das sind 44% weniger als im Vorjahr. Die Emissionserträge kollabierten sogar um 57% auf 146 Mrd. USD.
Die Wall Street in New York setzt als Welt-Leitbörse auch am Primärmarkt die Trends. Und im dritten Quartal 2022 fanden gerade noch fünf IPOs statt, die 2 Mrd. USD an Emissionserlösen generierten. Dazu kommen noch 6 SPAC-IPOs mit 500 Mio. USD an Erlösen. Laut PWC wurden 2022 über 60% der geplanten Börsengänge in den USA abgesagt. Die Gründe sind unterschiedlicher Natur. So halten sich Private-Equity-Gesellschaften angesichts der tieferen Bewertungen mit IPO-Plänen für ihre Beteiligungen zurück. In den letzten Jahren waren rund 30% der Börsendebütanten PE-finanziert.
SPAC-Manie wird zur SPAC-Depression
Weniger grenzüberschreitende IPOs sowie Mega-Emissionen mit mehr als 1 Mrd. USD an Erlösen und die grosse Ernüchterung am SPAC-Markt vervollständigen das eingetrübte IPO-Klima. Während der SPAC-Manie seit Beginn der Pandemie kamen mehr SPACs durch IPO an den Markt als traditionelle operative Gesellschaften. Inzwischen läuft die meist 24 Monate währende Periode für die SPACs ab, die keine Akquisitionsziele gefunden haben. Mittlerweile suchen noch 528 SPACs mit über 137 Mrd. USD in der Kasse nach Zielgesellschaften, aber 118 wurden bereits liquidiert. Sie zahlten 24 Mrd. USD an ihre Investoren zurück.
Peloton, Delivery Hero & Co enttäuschen
Auf der Nachfrageseite herrscht Unsicherheit wegen der steigenden Inflation, höheren Zinsen und dem Krieg in der Ukraine, aber auch, weil viele IPOs der letzten Jahre die hohen Erwartungen nicht erfüllt, sondern teilweise beträchtliche Verluste verursacht haben. Ein typisches Beispiel ist Peloton. Nach dem IPO 2019 stieg die Aktie von 25 USD auf über 160 USD, liegt inzwischen aber 95% tiefer bei 8 USD. Ebenfalls stark in Mode waren Essenslieferdienste, von denen keiner bisher die Gewinnschwelle nachhaltig überschritten hat. Deliveroo, ein IPO in London von 2021, liegt 85% unter dem Hoch und Delivery Hero, ein IPO in Frankfurt von 2018, dümpelt fast 80% unter dem Höchstkurs.
Desaströse Bilanz der US-IPOs 2022
Eine Übersicht zur Aftermarket-Performance der US-Neuemissionen von iposcoop zeigt in aller Deutlichkeit, dass, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nahezu alle Börsendebütanten des Jahres 2022 kräftige Verluste verzeichnen.
Asien-Pazifik mit 69% des globalen Emissionsvolumens
An den US-Börsen fiel das Emissionsvolumen in den ersten neun Monaten um 94% auf 7.5 Mrd. USD. Das ist das schlechteste Jahr, so weit, seit 2003! In der EMEIA-Region sank es um 52% auf 37.7 Mrd. USD, in Europa um 76%. Relativ besser erging es Asien-Pazifik. Die Erlöse sanken nur um 22% auf 100.8 Mrd. USD. Fünf der zehn grössten IPOs des Jahres kamen laut EY aus dieser Region. Somit entfallen nochmals gesteigerte 69% der weltweiten Emissionserträge auf Asien-Pazifik.
Das Porsche-IPO
Ungeachtet der schlechten Stimmung ging die Porsche AG mit Vorzugsaktien im historisch nach Marktkapitalisierung grössten IPO Europas an den Markt. Am 29. September war der erste Handelstag. Der Preis der Aktien lag bei 82.50 Euro. Daraus resultiert eine Marktkapitalisierung von 75 Mrd. Euro. Der Kurs zog bislang auf 92 Euro an.
Ruhe am Primärmarkt der Schweiz
In der Schweiz tut sich nichts mit Blick auf den IPO-Markt. Der letzte Börsengang war im Mai. Das Immobilienunternehmen EPIC Suisse zapfte den Kapitalmarkt an. Der Kurs lief lange seitwärts, ist inzwischen allerdings um 10% abgestürzt. Am 3. Oktober kam mit Accelleron zwar ein weiterer Neuzugang an die SIX, jedoch ohne IPO. ABB verteilte die Accelleron-Aktien im Verhältnis 20:1 an die Aktionäre. Der erste Kurs lag bei 18 CHF, mittlerweile ist die Aktie jedoch auf 15.70 CHF gesunken.
Perspektiven von Abwarten geprägt
Der Ausblick bleibt fürs Erste eingetrübt. Es scheint, als ob die Bücher für 2022 bereits geschlossen sind. ABB hat die IPO-Pläne für die Ladestationen-Tochter aufgeschoben. Sonstige Kandidaten halten sich bedeckt. Das Börsenklima müsste sich wohl erst einmal klar aufhellen durch ein Abflachen der Inflationsraten, positive Konjunktursignale oder ein Ende des Kriegs in der Ukraine. Kurzfristig sieht es aber danach nicht aus.
Bereit sein für die Trendwende
Bestimmt bereiten sich einige reifere Marktführer mit konjunkturunabhängigem Wachstumsprofil sowie hoher Gewinnvisibilität auf den Börsengang vor. Egal, ob im Besitz der Gründerfamilie oder von Private-Equity-Gesellschaften, sie werden erst dann ihre Pläne publik machen, wenn sich eine Trendwende an der Börse manifestiert. Die Preisvorstellungen werden allerdings um einiges tiefer ausfallen müssen, da sich die Bewertungs-Multiples am Markt ausrichten.